"Abführtee für die FDP" Steinbrück attackiert und appelliert
06.12.2011, 10:48 Uhr
"Wir müssen zurück zu einer sozialen Marktwirtschaft", fordert Steinbrück.
(Foto: REUTERS)
Mit scharfen Attacken gegen die Koalition beginnt Ex-Finanzminister Steinbrück auf dem SPD-Parteitag seine Rede, er beendet sie mit der Forderung, das "ganze Sinnen und Trachten der SPD" müsse sein, "unsere Regierungsfähigkeit zu belegen und unseren Regierungswillen zu dokumentieren". Inhaltlich folgen ihm die Delegierten. Doch der Beifall ist verhalten.
Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat vor einem Scheitern der Euro-Zone gewarnt. "Ein Zerfall der Euro-Zone hätte schnell die politische Renationalisierung zufolge", sagte Steinbrück, der als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gehandelt wird, auf dem SPD-Parteitag in Berlin.
Steinbrück betonte, Europa stehe am Scheideweg. "Zerfällt die europäische Union in einen losen Staatenbund, reduziert auf einen Binnenmarkt?" Oder gehe man den Weg einer vertieften Integration, fragte der 64-Jährige.
"Schwachsinn"
Hart attackierte er die Politik der schwarz-gelben Koalition. Er ärgere sich über den "schamlosen Betrug der CDU" bei der Einführung einer Lohnuntergrenze. Ebenso ärgere ihn, dass die Regierung zu wenig tue, um rasch eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.
Das Betreuungsgeld geißelte er als "dämliche und skandalöse Fernhalteprämie". Diese sei auch unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Erwerbstätigkeit der Frauen "reiner Schwachsinn". Auch die geplanten Steuersenkungen seien "fiskalpolitischer Schwachsinn". Diese seien "nichts anderes als ein Pausentee für die FDP auf der Wegstrecke zur nächsten Wahl", sagte Steinbrück. "Manche sagen Abführtee", ergänzte er unter dem Applaus der Delegierten.
"Europa ist nicht Physik"
Steinbrück warf Bundeskanzlerin Angela Merkel fehlenden Zugang zur europäischen Geschichte vor. "Europa ist nicht Physik", sagte er unter Anspielung auf ihren beruflichen Hintergrund. "Europa ist viel mehr." In Europa trete die Bundesregierung als Schulmeister auf, zu Hause verteile sie Steuergeschenke und erhöhe die Neuverschuldung.
Angesichts des Einflusses von Rating-Agenturen und Finanzmärkten mahnte Steinbrück an, den Primat der Politik zurückzugewinnen. "Bei wem liegt eigentlich der Taktstock des Geschehens?", fragte er. "Wir müssen zurück zu einer sozialen Marktwirtschaft." Es sei eine Ironie der Geschichte, dass die SPD die CDU an die Grundsätze von Ludwig Erhard erinnern müsse.
Selbstbewusstsein und Selbstkritik
Die SPD rief Steinbrück dazu auf, mit mehr Selbstbewusstsein darüber zu reden, was die Partei in den letzten Jahren erreicht habe. Zugleich sagte er mit Blick auf Deregulierungen der Finanzmärkte unter der rot-grünen Regierung, auch die SPD habe sich dem Glauben an die Kraft des freien Marktes "zu lange, zu widerstandslos ergeben". Ähnlich hatte sich am Vortag bereits SPD-Chef Sigmar Gabriel in seiner Parteitagsrede geäußert.

Die "Troika" funktioniert: Gabriel, Steinbrück und Steinmeier zeigen sich bislang sehr harmonisch.
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Nach seiner Rede bekam Steinbrück nur verhaltenen Beifall. Erst auf Aufforderung Gabriels erhoben sich die meisten Delegierten von den Sitzen. Er habe eben an die Vernunft der SPD appelliert, Gabriel an ihr Gefühl, sagte der Ex-Finanzminister hinterher.
Steinbrück brachte auf dem Parteitag das Steuerkonzept ein, über das heute diskutiert und abgestimmt wird. Dabei dürfte es eine kontroverse Debatte geben: Die Parteiführung stemmt sich gegen Forderungen der Parteilinken, trotz Erhöhung des Spitzensteuersatzes an einer zusätzlichen Reichensteuer festzuhalten.
Reiche sollen mehr zahlen
Das Konzept des SPD-Vorstands sieht die Anhebung des Spitzensteuersatzes von derzeit 42 auf 49 Prozent vor. Die geltende Reichensteuer von zusätzlich drei Prozentpunkten soll nach dem Willen der Parteiführung entfallen.
Nach den Vorstellungen des Parteivorstands soll der neue Spitzensteuersatz von 49 Prozent bei einem Einkommen ab 100.000 Euro für Ledige (bisher rund 53.000) und 200.000 Euro für Doppelverdiener greifen. Dem Konzept zufolge soll bis zu einem Jahreseinkommen von 64.000/128.000 Euro niemand stärker belastet werden als bisher. Knapp fünf Prozent aller Steuerpflichtigen wären laut SPD davon betroffen.
"Sinnen und Trachten der SPD"
Die SPD müsse mit ihren Konzepten mehrheitsfähig werden, "um Frau Merkel und ihre Regierung in den Vorruhestand zu schicken", sagte Steinbrück. Dafür brauche die SPD aber realitätsnahe Konzepte, sagte er mit Blick auf Forderungen der Parteilinken nach einem Spitzensteuersatz von 52 Prozent. "Das muss das ganze Sinnen und Trachten der SPD sein: mit unseren Konzepten und unserer öffentlichen Darstellung unsere Regierungsfähigkeit zu belegen und unseren Regierungswillen zu dokumentieren."
"Der Maßstab ist die Öffnung", sagte Steinbrück. Nur so könnten Wahlen gewonnen werden. Die SPD dürfe sich nicht nur auf das Parteiverträgliche zurückziehen. Auch SPD-Chef Gabriel hatte davor gewarnt, bürgerliche Wähler durch zu hohe Steuersätze zu verschrecken.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/rts/AFP