Kurnaz-Affäre Steinmeier bestreitet Fehler
27.01.2007, 10:31 UhrFührende Mitglieder der früheren Bundesregierung haben ihr Verhalten in der Affäre um die langjährige Inhaftierung des Bremer Türken Murat Kurnaz vehement verteidigt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, er würde heute genauso handeln wie damals. Ex-Innenminister Otto Schily nannte die Vorwürfe infam und heuchlerisch, Rot-Grün habe die frühzeitige Freilassung Kurnaz' hintertrieben.
Unterdessen wurden neue Zweifel an der Darstellung Steinmeiers in einem zentralen Punkt der Affäre laut: Entgegen Äußerungen des SPD-Politikers, über eine Freilassung des im US-Lager Guantanamo gefangenen Kurnaz schon 2002 sei nur auf mittlerer Geheimdienstebene gesprochen worden, sei auch das zuständige US-Verteidigungsministerium eingebunden gewesen, meldete der "Spiegel". Das Pentagon habe keine grundsätzlichen Einwände gehabt, den zu diesem Zeitpunkt erst seit einigen Monaten in Guantanamo festgehaltenen Kurnaz freizulassen und in Deutschland als Spitzel einzusetzen.
Der Türke kam schließlich erst im Sommer vergangenen Jahres nach mehr als vier Jahren Haft in Guantanamo frei, wo er nach eigenen Worten gefoltert und misshandelt wurde. Nach einem Bericht der "Berliner Zeitung" wandten deutsche Geheimdienstler bei einem Verhör Kurnaz' in Guantanamo zudem verbotene Vernehmungsmethoden an.
Steinmeier würde heute genauso handeln
Im "Spiegel" verteidigt sich Steinmeier erneut mit der damaligen Terrorgefahr nach den Anschlägen vom September 2001 und der Einstufung des Türken als Sicherheitsproblem durch die Behörden. Zur Entscheidung, Kurnaz 2002 nicht nach Deutschland zu lassen, sagte der Minister nach einem Vorabbericht des Magazins: "Ich würde mich heute nicht anders entscheiden... Man muss sich ja nur vorstellen, was geschehen würde, wenn es zu einem Anschlag gekommen wäre und nachher stellte sich heraus: Wir hätten ihn verhindern können", zitiert das Magazin Steinmeier. Schily bestritt in der "Bild am Sonntag" ebenfalls jedes Fehlverhalten. "Die frühere Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt auch nur andeutungsweise den Versuch gemacht, die Freilassung von Kurnaz zu verhindern oder auch nur zu behindern."
Das Auswärtige Amt hatte allerdings am Freitag bestätigt, dass Steinmeier als Kanzleramtschef Ende Oktober 2002 an einem Treffen mit den Chefs von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden teilnahm, bei dem sich die Runde gegen Kurnaz' Wiedereinreise aussprach, wie aus einem vertraulichen Regierungsbericht hervorgeht. Stattdessen wurde eine Abschiebung in die Türkei befürwortet.
Offenbar Rumsfelds Büro informiert
Während Steinmeier in den vergangenen Tagen stets betonte, es habe 2002 kein Angebot der USA für eine Freilassung Kurnaz' gegeben und entsprechende Überlegungen seien nur auf mittlerer Ebene der Geheimdienste beider Staaten angestellt worden, berichtet der "Spiegel", auch die Leitung des US-Verteidigungsministeriums sei eingeweiht gewesen. "Die CIA plädierte dafür, Kurnaz zu entlassen und, und auch der Leitungsstab des Pentagon...hat offenbar keine grundlegenden Einwände", schreibt das Magazin. "Angeblich soll auch das Vorzimmer des damaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld informiert gewesen sein."
Die Opposition im Bundestag hielt an ihren Vorwürfen gegen Steinmeier fest. Deutsche Beamte seien von der Vernehmung Kurnaz' auf Kuba mit der Erkenntnis zurückgekehrt, dass die Amerikaner bereit seien, den Gefangenen freizulassen, sagte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste, der FDP-Abgeordnete Max Stadler. "Dennoch hat die Geheimdienstrunde mit Steinmeier diese Chance nicht genützt", sagte Stadler der Berliner Zeitung B.Z. (Sonntagausgabe).
Die "Berliner Zeitung" meldete, bei der Vernehmung des Türken in Guantanamo durch die deutschen Beamten seien illegale Methoden angewandt worden. So sei Kurnaz verheimlicht worden, dass auch ein US-Geheimdienstler an der Befragung teilnahm. Stadler wertete dies als "eindeutig rechtswidrig". "Auch wenn in Guantanamo ein rechtsfreier Raum existiert, entbindet das deutsche Beamte nicht davon, sich an die gesetzlichen Regeln zu halten", sagte er.
Anzeige gegen Steinmeier
Bei der Berliner Staatsanwaltschaft ging nach Angaben eines Sprechers eine Strafanzeige gegen Steinmeier ein. Dem SPD-Politiker wird darin unter anderem Freiheitsberaubung und Körperverletzung vorgeworfen. Die Anzeige habe ein Hamburger Rechtsanwalt gestellt. Zur Stichhaltigkeit der darin erhobenen Vorwürfe könnten noch keine Angaben gemacht werden, sagte der Justizsprecher. Das Schreiben werde zunächst geprüft. Erst danach könne entschieden werden, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden müsse.
Quelle: ntv.de