Politik

Der dritte Mann im SPD-Wahlkampf Steinmeier kämpft um sein Amt

Frank-Walter Steinmeier bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kassel.

Frank-Walter Steinmeier bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kassel.

(Foto: imago stock&people)

Peer Steinbrück kämpft unermüdlich auf den Marktplätzen, ebenso Parteichef Gabriel. Doch was macht eigentlich der dritte Mann der SPD-Troika, Fraktionschef Steinmeier? Auch er kämpft. Auch um sein Amt.

Der Esel hatte schon lange Jahre die Säcke zur Mühle getragen. Seine Kräfte gingen dem Ende zu, "so dass er zur Arbeit immer untauglicher ward", heißt es in den ersten Sätzen der "Bremer Stadtmusikanten" von den Gebrüdern Grimm. Also befreite sich der Esel aus dieser Sklavenschaft, traf Hund, Katze und Hahn, die ebenfalls ihren Herren den Rücken kehrten, und machte sich auf nach Bremen. Jüngst beim Deutschlandfest las die sogenannte Troika der SPD zusammen mit Schatzmeisterin Barbara Hendricks diese Geschichte vor.

Als Esel agierte Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier. "Das ist eine tragende Rolle", befand er mit Blick auf das Auftürmen der anderen Tiere auf seinem Rücken. Aber wird Steinmeier auch im realen Leben nach der Bundestagswahl am 22. September noch eine tragende Rolle in der SPD spielen? Oder, bei einem Ergebnis in der Nähe der aktuellen Umfragewerte, zusammen mit Parteichef Sigmar Gabriel hinweggefegt werden?

Steinmeier sitzt in einem Glaskasten im tiefsten Sauerland, draußen eröffnet sich das Panorama sanft geschwungener Hügel. Der 57-Jährige begutachtet eine Zapfpistole. Das Unternehmen Elaflex Hiby in Plettenberg ist Weltmarktführer bei der Herstellung von Tankarmaturen. In der Halle werden gerade Pistolen für Tankstellen in Australien verpackt. Hans Schulte war hier 43 Jahre Betriebsratschef, er ist beim Fabrikrundgang gerührt, wie Steinmeier sich für seinen Werdegang interessiert. Arm in Arm stehen sie da, es werden Dutzende Erinnerungsbilder geschossen. "Man denkt ja nach 23 Jahren in der Politik, man kennt schon fast alles", ist der gebürtige Westfale Steinmeier überrascht über diese mittelständische Erfolgsgeschichte.

Kritik an Merkels Gipfel-Politik

Aber: Es fehlen junge Fachkräfte für die Gießerei. Dabei wird bei der Wohnungssuche geholfen, mit günstigen Fitnessstudio-Abos und Zahnzusatzversicherungen gelockt. Angesprochen auf die Politik, sagt auch Steinmeier, man bekomme in manchen Regionen kaum noch die Listen voll. Neben ihm sitzt Dagmar Freitag, Direktkandidatin für den Wahlkreis Märkischer Kreis II. Sie schaffte 2009 mit 12,3 Punkten Differenz den bundesweit größten SPD-Unterschied zwischen Erststimme (41 Prozent für sie) und Zweitstimme (28,7 Prozent für die SPD). Dennoch ist sie 2013 nicht über die Landesliste abgesichert - es geht um alles oder nichts für die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. Sie ist Steinmeier daher dankbar, dass er hier ist.

Später am Abend beeindruckt er 400 Bürger in einem Theatersaal in Iserlohn. "Da gibt es ein Problem, und wir erwarten von der Kanzlerin einen Lösungsvorschlag", erzählt Steinmeier aus seinem politischen Alltag. "Und was macht Frau Merkel? Sie macht einen Gipfel." Da sehe der Zuschauer in der "Tagesschau" 20 schwarze Limousinen am Kanzleramt vorfahren. Und in den "Tagesthemen" wieder abfahren. "Da hat Politik stattgefunden", denke der TV-Zuschauer. Aber die rund 45 Gipfel seit 2009 - vom Krippen- bis zum Elektrogipfel - seien nichts als Inszenierung gewesen. Steinmeier dröselt die Unterschiede zur Union auf - Mindestlöhne, Renten, Bildungsausgaben etc. Er will die Demobilisierungsstrategie Merkels und ihren Politikstil demaskieren.

"Ich bin in Gegenden unterwegs gewesen, wo sich die Menschen die Köpfe eingeschlagen haben, um einmal wählen zu können", erzählt der frühere Außenminister. Gleichgültigkeit und Wahlverweigerung seien ein schlechtes Zeichen für die Demokratie. Steinmeier macht einen besonderen Wahlkampf: Rund 100 Wahlkreise seiner Abgeordneten besucht er - das hilft nicht nur der SPD, sondern auch ihm selbst. Dagmar Freitag kann er wohl auf seiner Unterstützerliste verbuchen, sollte jemand nach dem 22. September versuchen, ihn zu stürzen. "Wer ihn hier erlebt hat, der weiß, warum ich auch die nächsten vier Jahre unbedingt mit diesem Mann weiterarbeiten will", sagt Freitag.

Größere Chancen als Gabriel

In gewöhnlich gut informierten SPD-Kreisen werden Steinmeiers Chancen auf eine weiterhin führende Rolle bei einem Wahldebakel inzwischen größer eingeschätzt als die von Gabriel. Weil der die ganze Kampagne immer wieder eigenmächtig in die Defensive gebracht habe (Stichworte: Steuerdebatte, Tempolimit) und im Vorstand eine wachsende Zahl an Widersachern gerade aus den Ländern haben soll.

2009 rettete sich der damalige Kanzlerkandidat Steinmeier trotz des 23-Prozent-Debakels, indem er noch am Wahlabend erklärte, er wolle sich zum Fraktionschef wählen lassen. Klar ist bisher nur: Reicht es nicht für eine rot-grüne Koalition, wird Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Privatier.

Steinmeier würde gerne Fraktionschef bleiben - womöglich würde er auch noch einmal Minister in einer Großen Koalition. Aber Steinmeiers Konsens-Kurs gerade in Sachen Euro-Rettung ist nicht unumstritten - viele hätten sich mehr "klare Kante" erwünscht. Das Verhältnis zwischen Gabriel und Steinmeier gilt als schwierig. Es könnte zur Kraftprobe zwischen beiden kommen. In der SPD wird bezweifelt, dass sie nach der Wahl gemeinsam weiter als Führungstandem agieren können.

Bei Neubesetzungen dürften besonders Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz ein gewichtiges Wort mitreden - beide SPD-Spitzenpolitiker sind vom Stil her näher an Steinmeier. Er erweckt dieser Tage nicht den Eindruck, von der Last der bundespolitischen Arbeit müde zu sein. Eines weisen sie im Gabriel-Lager entrüstet zurück: Dass der SPD-Vorsitzende bewusst auf Steinmeier-Auftritte verzichtet habe oder dieser sich gezielt aus dem bisher suboptimalen Wahlkampf raushalte. Es habe zwischen den beiden "nie den Hauch eines Konflikts" bei der Wahlkampfplanung gegeben.

Quelle: ntv.de, Georg Ismar, dpa

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