Ritual nach dem Ritual Streit um Einsatz am 1. Mai
02.05.2002, 00:01 UhrNicht nur die Krawalle rund um den 1. Mai in Berlin sind zu einem Ritual geworden, sondern auch die anschließende politische Auseinandersetzung über Erfolg oder Misserfolg des Polizeieinsatzes bei den Randalen. Während Politiker von SPD und PDS die diesjährige Deeskaltionsstrategie verteidigten, warf die Opposition der Regierung vor, kläglich gescheitert zu sein.
Auch die Polizei ist sich uneinig: Während es in Berlin hieß, man sei "nicht unzufrieden" mit dem Einsatz, ging das Konzept der Deeskalation nach Meinung der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) nicht auf. Rund 180 Beamte seien in den beiden Krawall-Nächten verletzt worden, berichtete die Gewerkschaft, und ihr Vorsitzender, Gerhard Vogler, unterstrich: "Wir sind es leid, von einem Innensenator an jedem 1. Mai in Berlin zur Steinigung freigegeben zu werden."
Regierung zieht positive Bilanz
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hingegen zog eine positive Bilanz des Polizeieinsatzes. „Das Konzept hat funktioniert“, sagte Wowereit am Donnerstag. Es sei richtig gewesen, die Demonstrationen nicht zu verbieten. Anders als in den vergangenen Jahren seien die Proteste weitestgehend friedlich verlaufen. „Aus dem Zug heraus gab es keine Gewalt“, stellte Wowereit fest. Leider hätten bestimmte Gruppen den 1. Mai zum „Tumult-Tag“ gemacht. Gegen diese Gewalttäter sei die Polizei zu Recht entschlossen vorgegangen.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sagte, es gebe auch im nächsten Jahr keinen Anlass, von dem eingeschlagenen Weg abzuweichen. Das Problem der Gewalt sei nicht mit Schuldzuweisungen an Politik oder Polizei zu lösen.
Auch die mitregierende PDS hat das Konzept der Deeskalation verteidigt. Die Strategie sei weitgehend erfolgreich und richtig gewesen, sagte PDS-Landeschef Stefan Liebich am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. „Alle politischen Veranstaltungen zum 1. Mai konnten friedlich stattfinden.“ Danach sei es in der Nacht leider wieder zu Randale gekommen. Die Polizei habe daraufhin zugegriffen, was „angemessen“ gewesen sei.
Berlins CDU machte Körting für die Ausschreitungen verantwortlich. „Ich glaube, das hatte mit Deeskalation nichts mehr zu tun. Das war schlicht die Kapitulation des Rechtsstaates. Es hat in einigen Fällen kein Eingreifen der Polizei mehr stattgefunden“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Roland Gewalt, im Berliner Inforadio.
Körting hatte auf einen zurückhaltenden Einsatz der Polizei gesetzt. Die CDU hatte dies bereits vorab massiv kritisiert.
Randale nach Demo
Nach den schweren Krawallen am 1. Mai war es am Tag darauf in Berlin ruhig. Etwa seit Mitternacht hatten sich die Demonstranten bei einsetzendem Regen zurückgezogen, sagte ein Polizeisprecher.
Am Abend des 1. Mai war es nach mehreren linken Demonstrationen in Berlin-Kreuzberg und -Mitte wieder zu schweren Zusammenstößen zwischen Randalierern und Polizei gekommen. Um Mitternacht hatte sich die Lage weitgehend beruhigt. Hin und wieder kam es noch zu kleineren Auseinandersetzungen.
Hunderte Randalierer hatten am Mittwoch Steine gegen die Polizisten und deren Fahrzeuge geworfen, Autos angezündet und Telefonzellen zertrümmert. An mehreren Stellen brannten Barrikaden. Zuvor war ein Supermarkt am Oranienplatz, der bereits in der Walpurgisnacht geplündert worden war, erneut aufgebrochen worden.
Polizei-Bilanz
Berlins Polizei erklärte in einer ersten Bilanz, man sei "nicht unzufrieden" mit dem Einsatz. Die Ausschreitungen am Abend seien nicht wie befürchtet so schwer gewesen wie in der Walpurgisnacht, sagte der Leiter des Führungsstabes im Landespolizeiamt, Alfred Markowski.
Es sei ein positives Zeichen, dass erstmals von der traditionellen „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ keine Gewalt ausgegangen sei, sagte Markowski. Bei den Randalierern habe es sich ausschließlich um „unpolitische, eventsuchende Jugendliche“ gehandelt. Nach ersten Erkenntnissen wurden 158 Personen festgenommen. 81 Sachschäden wurden registriert.
Die Polizei hatte die Randalierer mit einem massiven Aufgebot an Personal und Wasserwerfern in alle Richtungen auseinander getrieben. Nach Polizeiangaben gab es eine größere Zahl von Festnahmen. Augenzeugen berichteten von mehreren Verletzten sowohl unter den Randalierern als auch unter den Polizisten.
Trotz der zurückhaltenden Taktik der Polizei bot sich am Abend ein ähnliches Schadensbild wie in den Vorjahren. Allerdings berichteten Augenzeugen von einem defensiven Polizeieinsatz. Die Beamten benutzten beispielsweise keine Schlagstöcke.
Quelle: ntv.de