Politik

Behörden wittern "Geheimnisverrat" Streit um ungeschwärzte Akten

Die Akten aus Thüringen sollen vorerst unangetastet bleiben - bis der Streit beigelegt ist.

Die Akten aus Thüringen sollen vorerst unangetastet bleiben - bis der Streit beigelegt ist.

(Foto: dpa)

Thüringen will zur Aufarbeitung der NSU-Mordserie beitragen und schickt Akten an den Untersuchungsausschuss des Bundestages. Bei den Verfassungsschützern der Länder kommt das gar nicht gut an - denn Teile der Akten sind ungeschwärzt und enthalten Geheiminformationen. Thüringen jedoch hält an seiner Linie fest.

Thüringen will auch künftig ungeschwärzte Geheimakten an die NSU-Untersuchungsausschüsse von Bundestag und Landtag liefern. "Wir bleiben unserer Linie weiter treu", sagte ein Sprecher des Thüringer Innenministeriums in Erfurt. Thüringen komme damit den Beweisbeschlüssen der Parlamentsausschüsse nach und seiner Ankündigung, für Transparenz bei der Aufklärung der NSU-Terrorserie zu sorgen. Die ungeschwärzten Akten seien schließlich weiter als Verschlusssache eingestuft und würden der Geheimschutzverordnung des Bundestages und des Landtages unterliegen, hieß es weiter.

Die Stadt Kassel hat einen Platz nach dem 2006 mutmaßlich von der NSU erschossenen Halit Yozgat benannt. Ein Gedenkstein erinnert an die zehn Opfer der Mordserie.

Die Stadt Kassel hat einen Platz nach dem 2006 mutmaßlich von der NSU erschossenen Halit Yozgat benannt. Ein Gedenkstein erinnert an die zehn Opfer der Mordserie.

(Foto: dapd)

Das Vorgehen Thüringens hatte nach einem Bericht des "Spiegel" unter Verfassungsschützern anderer Bundesländer und des Bundes für Empörung gesorgt. Demnach kam es innerhalb der Sicherheitsbehörden zu einem heftigen Streit über den Umgang mit den 778 Akten, die unter anderem die Klarnamen von V-Mann-Führern und anderen Verfassungsschutzmitarbeitern enthalten sollen. Dabei war auch die Rede von "Geheimnisverrat". Das Material, das Thüringens Innenminister Jörg Geibert von der CDU dem Ausschuss zur Aufarbeitung der NSU-Terrorserie übermittelt habe, soll als "vertraulich" oder "geheim" eingestufte Dokumente enthalten.

Auch Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht von der CDU verteidigte die Weitergabe der Geheimakten. "Wer nicht aufklärt, fliegt auf", sagte die Regierungschefin auf ihrem Flug zu einem Russland-Besuch. Es dürfe keinen "parlamentarisch kontrollfreien Raum" geben. Schließlich unterlägen auch die Abgeordneten in den Kontrollgremien der Geheimhaltungspflicht.

Die Thüringer Landesregierung hatte sich in den vergangenen Monaten immer wieder verpflichtet, die Aufklärung der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und möglicher Pannen bei den Sicherheitsbehörden voranzubringen. Lieberknecht hatte wiederholt für eine starke parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste plädiert. "Die Klarnamen der V-Leute sollten künftig den Parlamentarischen Kontrollkommissionen (PKK) vorliegen", sagte sie kürzlich.

Drohung mit "strafrechtlichen Konsequenzen"

Ein solches Vorgehen, das sie jetzt in der Zeitschrift "Superillu" bekräftigte, ist zwischen Bund und Ländern umstritten. Die Untersuchungsausschüsse von Bundestag und mehreren Landtagen beschäftigen sich auch mit der möglichen Rolle von V-Leuten im Umfeld der NSU, deren Mitglieder aus Thüringen stammen. Sie werden für zehn Morde - an Migranten und einer Polizistin - verantwortlich gemacht.

Die jetzt von Geibert nach Berlin geschickten Akten sollen laut "Spiegel" neben Unterlagen des Thüringer Verfassungsschutzes auch solche anderer Landesämter sowie des Bundesamts für Verfassungsschutz enthalten. In einer Telefonkonferenz der Verfassungsschutzchefs am 28. September soll deshalb von "Geheimnisverrat" und möglichen "strafrechtlichen Konsequenzen" die Rede gewesen sein. Auch in einer weiteren Schaltkonferenz zwischen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU und seinen Länderkollegen soll das Vorgehen Geiberts kritisiert worden sein.

Der Thüringer Minister habe sein Vorgehen verteidigt und erklärt, dass er mit der Offenlegung der Akten nur der Auffassung der Rechtsprechung nachkomme. Da im Berliner Untersuchungsausschuss die gleiche Geheimhaltungspflicht wie im Erfurter Verfassungsschutz gelte, habe die Regierung niemanden um Erlaubnis fragen müssen.

Bleiben die Akten unangetastet?

Inzwischen soll sich der Bundesinnenminister mit dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy von der SPD, darauf verständigt haben, Akten aus Thüringen zunächst unangetastet zu lassen. Geplant sein soll die Einsetzung eines Sonderermittlers, der das brisante Material vorab prüfen und dann die Einsicht koordinieren könnte. Die "Thüringer Allgemeine" berichtete ebenfalls über die Sicherheitsbedenken bei den Akten aus Thüringen. Nach Angaben der Zeitung haben sich die Obleute des Ausschusses in der vergangenen Woche dagegen ausgesprochen, die Akten zurückzugeben.

Für Ende Oktober oder Anfang November kündigte das Thüringer Innenministerium eine weitere Lieferung von etwa 1000 Akten an, die Unterlagen zum Rechtsextremismus von Thüringer Sicherheitsbehörden aus der Zeit 2003 bis 2012 enthalten. Die Linke-Landtagsabgeordnete Martina Renner unterstützte das Thüringer Vorgehen. Es sei unverständlich, warum Sicherheitsbehörden weiter versuchten, sich der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen, erklärte sie. Es sei beschämend, wenn dadurch die parlamentarische Aufklärung "der Mitverantwortung der Sicherheitsbehörden an der rechtsterroristischen Mordserie" blockiert würde.

Quelle: ntv.de, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen