Politik

Kobane ist eine Geisterstadt Terrormiliz treibt Tausende in die Türkei

Tausende syrische Kurden warten hinter Stacheldraht auf das Okay der türkischen Grenzsoldaten.

Tausende syrische Kurden warten hinter Stacheldraht auf das Okay der türkischen Grenzsoldaten.

(Foto: AP)

Innerhalb weniger Tage kommen so viele Menschen aus Syrien in die Türkei wie zuvor im Laufe von Monaten. An der Grenze herrscht Chaos. Augenzeugen stellen die Hilfsbereitschaft der Türkei in Frage und richten heftige Vorwürfe an die Sicherheitskräfte.

Der Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Norden Syriens hat mehr als 130.000 Menschen zur Flucht in die angrenzende Türkei getrieben. Insgesamt seien sogar 150.000 Menschen vertrieben worden, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit.

Die IS-Extremisten rücken unterdessen weiter auf die kurdische Enklave Ain al-Arab (Kurdisch: Kobane) vor. Die Enklave im Norden Syriens ist jetzt von drei Seiten eingekesselt. "Der Ort ist wie eine Geisterstadt", sagte Rami Abdel Rahman von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Über 150.000 Menschen seien geflohen, aber noch nicht alle hätten es über die Grenze in die Türkei geschafft. Die IS-Kämpfer würden Ain al-Arab mittlerweile von Süden, Osten und Westen einkeilen. An einigen Stellen stünden die Kämpfer 14 Kilometer vor der Stadt, an anderen nur zehn.

Ein Sprecher der Rebellengruppe Kurdenfront berichtete, mehr als 80 IS-Kämpfer seien bei Gefechten südlich und östlich von Ain al-Arab getötet worden. Andere Einheiten hätten sich in der Stadt Asas nördlich von Aleppo Kämpfe mit der IS-Miliz geliefert. Dabei seien acht IS-Kämpfer getötet worden. Die Kurdenfront ist eine im syrischen Bürgerkrieg gegründete Rebellengruppe, die vor allem in Nordsyrien gegen Soldaten des Regimes von Baschar al-Assad sowie gegen die IS-Miliz kämpft.

n-tv Korrespondent Dirk Emmerich ist gerade an der türkisch-syrischen Grenze bei Kobani und berichtet auch via Twitter von dort.

Vorwürfe gegen Ankara

Der türkische Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus sagte, sein Land bereite sich auf eine neue Flüchtlingswelle mit möglicherweise Hunderttausenden Menschen vor - abhängig von weiteren Angriffen des IS. Schon bisher hat die Türkei nach Regierungsangaben rund 1,3 Millionen Flüchtlinge vor allem aus Syrien aufgenommen.

Die Linkspartei indes erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Ankara. Die Armee lasse keine fliehenden Kurden aus Syrien mehr ins Land, beklagte die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel nach einem Besuch vor Ort. Die türkische Armee habe zahlreiche Zelte zerstört und Nahrungsmittel beschlagnahmt. Sie habe am Sonntag selbst gesehen, "wie diese Kräfte gegen die zu Hilfe eilende Dorfbevölkerung auf türkischer Seite mit Tränengas vorgehen", sagte Hänsel, die im Bundestag den Unterausschuss für die Vereinten Nationen leitet. "Die Grenzen sind bei weitem nicht für die kurdischen Flüchtlinge geöffnet worden, wie dies offiziell zugesagt worden ist."

Die türkische Polizei ist mit Tränengas gegen Türken vorgegangen, die kurdische Flüchtlinge aus Syrien mit Wasser versorgen wollten. Das berichten mehrere Quellen.

Die türkische Polizei ist mit Tränengas gegen Türken vorgegangen, die kurdische Flüchtlinge aus Syrien mit Wasser versorgen wollten. Das berichten mehrere Quellen.

(Foto: imago/Xinhua)

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke wirft der türkischen Regierung vor, die IS-Milizen insgeheim "mit Waffen, Munition und Geheimdienstinformationen" zu versorgen. Ankara nutze die IS-Offensive als Vorwand für eine Zerschlagung der kurdischen Selbstverwaltung und für eine direkte militärische Einflussnahme in Syrien. Jelpke rief die Bundesregierung auf, dies durch politischen Druck "bis hin zu Sanktionsdrohungen gegen die politisch Verantwortlichen in Ankara" zu unterbinden.

Die Bundesregierung hat indes der Forderung nach Waffenlieferungen an Rebellengruppen in Syrien eine Absage erteilt. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, das "Restrisiko", dass diese Waffen in die falschen Hände geraten könnten, sei in Syrien wesentlich größer als im Irak. Deshalb habe sich die Regierung gegen Waffenlieferungen an Rebellen entschieden. Die USA haben dagegen vergangene Woche beschlossen, "moderate Rebellen", die in Syrien gegen den IS kämpfen, auszubilden und zu bewaffnen.

Nur 10 EU-Staaten nehmen Flüchtlinge auf

Bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa will die Bundesregierung mehr Solidarität von allen EU-Staaten einfordern. Ein Sprecher des Innenministeriums stellte fest, dass "überhaupt nur 10 von 28 EU-Staaten Flüchtlinge in nennenswertem Umfang aufnehmen". Dies müsse verbessert werden, etwa indem ein Asylbewerber nach seiner Registrierung in einem EU-Staat vorübergehend in einem anderen Staat untergebracht wird.

Der Sprecher betonte, Innenminister Thomas de Maizière habe aber nicht die Absicht, das sogenannte Dublin-Verfahren aufzukündigen. Dieses Verfahren regelt, welches EU-Mitgliedsland für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth forderte eine verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen. Das Vorgehen des IS habe eine Tragödie nie dagewesenen Ausmaßes ausgelöst, sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk.

Quelle: ntv.de, nsc/dpa/AFP

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