Streit um Stasi-Unterlagen-Gesetz Thierse: Nur bei Verdacht prüfen
11.07.2011, 14:02 Uhr
"Unverhältnismäßig": Thierse will den Schlussstrich ziehen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der stellvertretende Bundestagspräsident Thierse spricht sich gegen die von Schwarz-Gelb geplante Ausweitung von Stasi-Überprüfungen aus. Es gehe schließlich um Leute, die "zwei Jahrzehnte in dieser Demokratie gelebt und gearbeitet und sich dabei offensichtlich bewährt haben". Die Regierung will eine Überprüfung bis 2019 ermöglichen und den Personenkreis deutlich ausweiten.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat sich gegen die von der schwarz-gelben Koalition geplante Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gewandt. "Zwei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution den Kreis der zu Überprüfenden noch einmal auszuweiten, halte ich für unverhältnismäßig", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung".
Die Regierungskoalition will Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst bis 2019 möglich machen und sie auf alle Beamten und Angestellten ab Gehaltsstufe A13 ausweiten. Im Jahr 2019 dann soll die Verantwortung für die Stasi-Unterlagen von der zuständigen Behörde ins Bundesarchiv überführt werden. Die Oppositionsparteien SPD und Grüne wollen nur Überprüfungen bei konkreten Verdachtsmomenten. Die Novelle wird voraussichtlich erst nach der parlamentarischen Sommerpause abschließend im Bundestag beraten. Die geplante Neuregelung ist auch unter Historikern und Juristen umstritten.
"Klarheit über Unrecht"
Der Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für den Aufbau Ost, Patrick Kurth, rechtfertigte den Plan. "Der Staat kann nicht vollständige Gerechtigkeit herstellen", erklärte er der Zeitung. "Aber er kann Klarheit über Unrecht herstellen - und über die, die an dem Unrecht beteiligt waren."
Kurth zog zudem einen Vergleich zur Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus. "Wenn wir 22 Jahre nach Kriegsende gesagt hätten, wir ziehen einen Schlussstrich, dann wäre die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit 1967 beendet worden", sagte er. "Wir wissen aber, dass die gesellschaftliche Aufarbeitung in den sechziger Jahren erst richtig losging."
Thierse dagegen sagte, man könne mit Hilfe des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nicht das während der DDR geschehene Unrecht beseitigen. "Es gehört zum Rechtsstaat dazu, dass er Zeithorizonte berücksichtigt. Wir haben zu bedenken, dass die Leute, die wir nochmals oder erweitert überprüfen wollen, zwei Jahrzehnte in dieser Demokratie gelebt und gearbeitet und sich dabei offensichtlich bewährt haben. Diese zwei Jahrzehnte sollten nicht weniger wiegen als die Zeit davor. Für angemessen halte ich, im Verdachtsfalle eine Überprüfung zu ermöglichen. Das dient dem Verdächtigen wie der auch der Institution, in der er arbeitet."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP