Mutlos, unverschämt, verzweifelt Ton im Wahlkampf wird rauer
17.08.2009, 20:15 Uhr
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Union und SPD gehen im Bundestagswahlkampf immer stärker auf Konfrontationskurs. SPD-Chef Franz Müntefering wirft Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut vor, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei ihr egal. Sie verhalte sich "mutlos und unverschämt". Die CDU-Spitze keilt zurück - Müntefering sei "hypernervös", heißt es.
Neben CDU-Chefin Merkel schießen sich die Sozialdemokraten auch zunehmend auf CSU-Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ein. Die SPD-Spitze griff den Wirtschaftsminister massiv wegen der Vorschläge zur Industrie- und Arbeitsmarktpolitik aus seinem Haus an. "Was Herr zu Guttenberg anstrebt, lässt mich grausen: Arbeitnehmerrechte beschneiden, Mindestlöhne wieder abschaffen und Mehrwertsteuer erhöhen. Was im Guttenberg-Papier steht, führt zu mehr Arbeitslosigkeit", sagte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Trotz aller Dementis: Das Papier aus Guttenbergs Ministerium stört Merkels Wahlkampf.
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Mit diesem Konzept habe Guttenberg "die Katze aus dem Sack gelassen", erklärte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil nach einer Sitzung des Parteirats in Berlin. Der Ressortchef traue sich, das zu sagen, was in der Union gedacht werde, aber vor der Wahl verschwiegen werden solle. Die Kanzlerin dürfe sich vor diesen Plänen nicht "wegducken", sondern müsse dazu unverzüglich Stellung nehmen. SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel warf Guttenberg vor, er habe sein "neoliberales Gesicht" gezeigt und sich als "Lobbyist der großen Energiekonzerne" geoutet.
Papier spielt "keine Rolle"
Guttenberg wies die SPD-Kritik als Wahlkampfmanöver zurück. Er habe sich längst von dem Entwurf aus seinem Haus distanziert. "Das, was gerade kursiert, ist blanker Unsinn. Das ist auch von mir verworfen und hat keine Rolle bei meiner Entscheidungsfindung gespielt", sagte er im Saarländischen Rundfunk. Nach Angaben seines Sprechers wird an dem Konzept aber weiter gearbeitet. Offen sei, ob Vorschläge noch vor der Bundestagswahl Ende September veröffentlicht werden.
In einem Entwurf (Stand Juli) hatten Guttenbergs Beamte unter anderem eine Lockerung des Kündigungsschutzes, das Zurückdrehen von Mindestlöhnen, niedrigere Einkommensteuern sowie Steuervergünstigungen für die Industrie vorgeschlagen. Auch sollten Klima-Auflagen für Unternehmen gestrichen werden.
"Horrorkatalog für die Beschäftigten"
Nach Angaben von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm gab es für das Papier keinen Auftrag der Kanzlerin. In der Wirtschaftspolitik gelte das Regierungsprogramm von CDU und CSU. Auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla betonte, das industriepolitische Papier aus dem Wirtschaftsministerium habe nichts mit Unions-Plänen für die nächste Wahlperiode zu tun. Er widersprach damit Behauptungen Steinmeiers.
Die IG Metall warf Guttenberg vor, er wolle sich "als Abwrackminister von Arbeitnehmerrechten" profilieren. Das sieht auch die Linke so. "Niedriglöhne, Kopfpauschale, Hire and Fire, das ist ein Horrorkatalog für die Beschäftigten und ein Wunschzettel der Arbeitgeberverbände", sagte der Linke-Wirtschaftspolitiker Herbert Schui.
Die SPD versucht seit einigen Wochen, das strahlende Bild des CSU-Stars Guttenberg in der Öffentlichkeit zu beschädigen. Für Wirbel sorgte zuletzt ein Gesetzentwurf zur staatlichen Zwangsverwaltung maroder Banken, den eine britische Anwaltskanzlei im Auftrag von Guttenberg erarbeitet hatte. SPD-Justizministerin Brigitte Zypries sah darin eine Verschwendung von Steuergeld.
"Mutlos und unverschämt"
Müntefering hielt Merkel erneut vor, Steinmeiers detaillierte Pläne zum Abbau der Arbeitslosigkeit unredlich genannt zu haben. Wer so reagiere, sei nicht glaubwürdig. "Und dem ist vor allen Dingen egal, wie hoch die Arbeitslosigkeit dann letztendlich sein wird." Müntefering hatte Merkel bereits am Wochenende vorgeworfen, die große Zahl der Arbeitslosen in Deutschland sei ihr "egal".
Merkels Kritik an Steinmeiers Deutschlandplan sei "unverschämt" gewesen und habe daher eine "deutliche Antwort" verdient, sagte Müntefering weiter. Dabei sei seine Reaktion nicht unsachlich ausgefallen. "Wahlkampf ist deutlich", das gehöre nun einmal zur Demokratie, fügte der SPD-Chef hinzu. Dieser Auseinandersetzung im Wahlkampf werde sich Merkel nicht entziehen können. "Ich bin da nicht prinzipiell dabei, sie zu attackieren", sagte Müntefering. "Aber da wo sie in solcher Weise mutlos und auch unverschämt sich verhält zu solchen Dingen, dann muss das auch deutlich gesagt werden." Steinmeier will mit seinem Deutschlandplan bis zum Jahr 2020 vier Millionen Arbeitsplätze schaffen.
"Ausruf der Verzweiflung" und "hypernervös"
Als "Ausruf der Verzweiflung" bezeichnete Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) die Vorhaltungen Münteferings. "Wir haben in der großen Koalition eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Arbeitslosigkeit zu verhindern", sagte er. Ähnlich äußerte sich Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff. Nordrhein-Westfalens Regierungschef Jürgen Rüttgers nannte Müntefering "hypernervös".
Pofalla erklärte: "Wir verstehen unter Wahlkampf nicht das Diffamieren und notorische Schlechtmachen des politischen Gegners. Das überlassen wir Herrn Müntefering und der SPD." Pofalla warf zudem Steinmeier vor, mit seinem "Deutschland-Plan" von der CDU abgeschrieben zu haben.
Steg warnt vor Diffamierungen
Die CDU-Chefin sagte bei einem Wahlkampfauftritt in Bremen mit Blick auf die Kritik Münteferings: "Ich halte nichts davon, davon zu leben, dass man den anderen für dumm erklärt." Merkel hatte sich zuvor zur Schaffung von Arbeitsplätzen als wichtigste Aufgabe bekannt: "Das Ziel, dass wir alle miteinander verfolgen ..., ist das wir möglichst viel Arbeit, Arbeit für alle, schaffen wollen", sagte sie in Berlin. Inhaltlich grenzte sich die Kanzlerin klar von den arbeitsmarktpolitischen Konzepten des Koalitionspartners ab. "Ich glaube, dass man Arbeit nicht durch mehr Restriktionen schafft, weder durch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, noch mit anderen Regelungen", sagte Merkel. "Wir wollen ein Mindesteinkommen als ein Mindestniveau." Das beinhalte gegebenenfalls Lohnzuschüsse für Niedrigverdiener.

Nichts von einer Schmutzkampagne hält Steinmeiers Berater Steg. (Steinmeier beim Besuch der Zeche Prosper Haniel in Bottrop)
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Steinmeiers Wahlkampf-Chefberater Thomas Steg warnte die SPD vor überzogenen persönlichen Attacken auf Merkel. Von Herabsetzungen oder Verunglimpfungen könne er nur dringend abraten, sagte Steg dem Magazin "Cicero". Solche Polemik führe nur dazu, dass sich die Wähler mit Merkel solidarisierten. Steg stellte aber klar, dass sich seine Warnung nicht an Müntefering gerichtet habe. "Das Interview ist vor zwei Wochen geführt worden", sagte Steg auf Anfrage. "Mit der Veröffentlichung jetzt wollen die den Eindruck erwecken, das sei auf Müntefering gemünzt. Das ist nicht der Fall."
Quelle: ntv.de, mli/dpa/rts/AFP