EU hofft auf neue Perspektiven Tunesier sollen bleiben
14.02.2011, 18:50 Uhr
Lampedusa und Italien sind mit den neuen Flüchtlingen total überfordert.
(Foto: REUTERS)
Überfüllte Auffanglager und verzweifelte Menschen: Italien ist mit dem Flüchtlingsstrom aus Tunesien überfordert. Nun schaltet sich die EU ein. Brüssel will Grenzschützer schicken; Europas Innenminister beraten. Tunesien verstärkt die Kontrolle an den Küsten.
Der Massenandrang von Flüchtlingen aus Tunesien versetzt Europa in Alarmbereitschaft. Die Übergangsregierung in Tunis hat mit der Abriegelung von Küstenstreifen begonnen. Obwohl keine weiteren Flüchtlinge auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ankamen, ist das einzige Aufnahmelager für Flüchtlinge vollkommen überfüllt. Nach Angaben aus Italien hielten sich noch immer mehr als 2000 Bootsflüchtlinge auf der sonst von nur 4500 Menschen bewohnten Insel auf.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte klar, dass es keine generelle Aufnahme für die Flüchtlinge in Deutschland geben werde. Natürlich könnten "nicht alle Menschen, die in Tunesien jetzt nicht sein wollen, jetzt nach Europa kommen", sagte Merkel in Berlin. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) forderte die tunesische Übergangsregierung auf, den Flüchtlingsstrom zu stoppen.
Nachrichten aus Tunis machten unterdessen erste Hoffnung auf ein Ende des Zuwandererstroms. In der Küstenregion Gabès sind nach Angaben der tunesischen Regierung mittlerweile alle möglichen Fluchtwege blockiert. Bereits am Wochenende verhinderte die Armee mit Unterstützung der Nationalgarde und von Fischern mehrere Überfahrten nach Lampedusa. In den Häfen von Gabès und Zarat seien Kontrollpunkte installiert worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TAP.
Frontex-Beamte bereiten sich vor
Die EU-Kommission macht sich nun daran, dem hoffnungslos überforderten Italien zu helfen und bereitet den Einsatz von Grenzschützern der EU-Agentur Frontex vor. Sie könnten die chaotische Lage überwachen. Die Weiterleitung der Flüchtlinge in andere EU-Staaten ist derzeit nicht möglich: Asylbewerber müssen nach Europarecht bis zur Prüfung ihrer Anträge in dem Land bleiben, in dem sie europäischen Boden betreten haben ("Dublin-II-Abkommen").
Auf Ablehnung in Brüssel und Berlin stieß der Vorschlag Italiens, Polizeikräfte aus EU-Ländern zur Bewältigung der Massenflucht nach Tunesien zu entsenden. Damit würde die Souveränität Tunesiens infrage gestellt, sagte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin. Die EU-Kommission betonte, dass bei allen Maßnahmen "die bestehenden Regeln und die Menschenwürde" beachtet werden müssten. "Frontex ist niemals dafür da, um illegale Flüchtlinge zurückzuschicken", betonte der Kommissions-Sprecher.
Ursachenbekämpfung gefragt
Der italienische Innenminister Roberto Maroni hatte angeboten, dass italienische Einsatzkräfte vor der nordafrikanischen Küste aktiv werden könnten, um den seit Tagen anhaltenden "biblischen Exodus" einzudämmen. Dies schloss die tunesische Übergangsregierung als "Einmischung in seine inneren Angelegenheit" aus. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sprach bei einem bereits länger geplanten Besuch in Tunis über EU-Hilfe beim demokratischen Wandel und die Flüchtlingsproblematik. Die EU-Grenzschützer seien innerhalb weniger Tage einsatzbereit, allerdings hat Italien bislang noch nicht um deren Hilfe gebeten, sagte ein Sprecher von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström.
Auch Bundesaußenminister Westerwelle versprach Tunesien Hilfe und erklärte: "Die beste Antwort auf die Flüchtlingsströme ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht aus Not und Armut das eigene Land verlassen." Nach Angaben des Bundesinnenministeriums könne man in Deutschland noch nicht feststellen, ob die Zahl der Flüchtlinge im Februar gestiegen sei.
Wie der Fall der Mauer
Europas Innenminister wollen bei ihrem Treffen nächste Woche in Brüssel über weitere Maßnahmen beraten. Italien habe darum gebeten, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, sagte ein EU-Diplomat. Der italienische Innenminister Roberto Maroni forderte unterdessen sogar die Einberufung einer Sondersitzung der europäischen Staats- und Regierungschefs. "Wir stehen vor dem Fall einer neuen Berliner Mauer, dem Maghreb, einem neuen 1989", sagte Maroni.
Hintergrund des Flüchtlingsstroms aus Tunesien ist der nach dem Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali vernachlässigte Grenzschutz im nordafrikanischen Mittelmeerland. Zahlreiche Menschen, vor allem Arbeitslose, sehen nun die Chance, ihr Glück in Ländern wie Italien, Frankreich oder Deutschland zu versuchen. Dabei ist das etwa 130 Kilometer von der Ostküste des Landes entfernte Lampedusa auch noch mit kleinen Booten vergleichsweise leicht zu erreichen.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP