Keine "Toleranz fürs Trinken" Tusk will Promille-Gesetze ändern
05.01.2014, 02:41 Uhr
Donald Tusk will härter gegen Alkohol-Sünder vorgehen.
(Foto: REUTERS)
Polens Regierungschef Tusk will die Promille-Grenze für Autofahrer senken. Grund ist ein schwerer Unfall am Neujahrstag. Ein betrunkener Autofahrer war in eine Gruppe Fußgänger gefahren und tötete sechs Menschen. Tusk fordert ein Umdenken.
Seit dem Neujahrstag liegt der achtjährige Hubert im Koma, kämpft in einer Stettiner Klinik in Polen ums Überleben. Er weiß noch nicht, dass seine Eltern und sein ein Jahr älterer Bruder tot sind, Opfer eines Horrorunfalls mit insgesamt sechs Toten. Der Neujahrsspaziergang zweier Familien im westpommerschen Kamien Pomorski endete tragisch, als ein Autofahrer mit einer Geschwindigkeit von rund 70 Kilometern in der Stunde in die Fußgängergruppe fuhr. Der 26 Jahre alte Fahrer, dem bereits 2006 wegen Alkohols am Steuer ein Jahr lang der Führerschein entzogen wurde, war betrunken. Nun sitzt er in Untersuchungshaft und muss mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen.
In polnischen Internetforen kocht seitdem die Volksseele, Forderungen nach härteren Strafen für alkoholisierte Fahrer werden laut. "Nehmt ihnen das Auto weg, steckt sie lebenslang ins Gefängnis wie Mörder!" heißt es so oder ähnlich in zahlreichen Kommentaren. Andere wollen die Alkoholfahrer im Internet oder in Zeitungen an den "Pranger" stellen lassen. Der gesetzliche Promille-Grenzwert für Alkohol am Steuer beträgt in Polen 0,2 Prozent - eigentlich also sollte Autofahren nach dem ersten Glas tabu sein.
Mentalität muss sich ändern
Die Regierung will am Dienstag einen Maßnahmenkatalog vorstellen. Regierungschef Donald Tusk betonte allerdings schon zuvor, dass mit höheren Strafen allein nichts erreicht wird: "Wir werden die Plage betrunkener Autofahrer nicht erfolgreich bekämpfen, wenn es weiter bei einer weit verbreiteten Toleranz fürs Trinken, vor allem von Autofahrern, bleibt. Was nötig ist, ist ein Wandel der Mentalität", sagte er in einer Pressekonferenz in Warschau.
Das dürfte nicht leicht sein in einem Land, in dem schon die Kommunisten Jahrzehnte lang vergeblich versucht hatten, den Alkoholkonsum zu drosseln. Höhere Alkoholsteuern und Verkaufspreise haben auch in jüngster Zeit nur wenig Wirkung gezeigt - vor allem in ländlichen Regionen kennen viele eine preiswerte Quelle für "Bimber", den selbst gebrannten Schnaps.
"Ein Pole ist kein Pilz, er steht nicht auf einem Bein", lautet ein polnisches Sprichwort, das immer dann zu hören ist, wenn Gäste zu einem weiteren Glas Wodka überredet werden sollen. Restaurants, die in den vergangenen Wochen für ihre Silvesterveranstaltungen warben, boten pro Paar eine Flasche kostenlosen Wodka zum Menü.
Auch wenn es nicht immer hochprozentig hergeht, für viele Polen ist Alkohol nicht nur nach Feierabend ein Begleiter. Es sind nicht nur die Arbeits- und Hoffnungslosen in den strukturschwächsten Gebieten des Landes mit mehr als 30 Prozent Arbeitslosigkeit, die ihren Frust in billigem Schnaps ertränken. Auch Anzugträger mit Aktenkoffer und Smartphone lassen sich an Arbeitstagen zu einem zweiten Frühstück in Form von Bier am frühen Vormittag in den Straßencafés und -restaurants von Warschau, Krakau oder Breslau nieder.
"Echte Kerle" durch Alkohol
Trinkfestigkeit und "Brawura" (Draufgängertum) machen in den Augen vieler Polen einen "echten Kerl" aus. Doch wo einst Kavalleristen im Wodkanebel in den Sattel taumelten, sitzen ihre Nachkommen heute am Steuer.
Alkohol am Steuer ist kein Problem bestimmter Gesellschaftsgruppen - in den vergangenen zwölf Monaten verlor ein Bischof sein Amt wegen eines Unfalls mit Alkohol. Auch ein Polizeichef verursachte alkoholisiert einen Unfall. "Es gab auch Vorfälle mit Politikern", räumte Tusk auf der Pressekonferenz ein. Alkohol ist offenbar so häufig eine der Unfallursachen, dass Polizeiberichte regelmäßig extra betonen, wenn ein Fahrer nüchtern war.
Doch das gesellschaftliche Umdenken, das viele nun fordern, ist zumindest bei Betroffenen wohl nicht in Sicht: Nur einen Tag nach dem Unfall in Kamien Pomorski stoppte die Polizei im masurischen Ketrzyn einen 22-Jährigen, der mit 111 Kilometern in der Stunde durch den Ort raste. Er hatte demnach 2,5 Promille im Blut. In Niederschlesien zog die Polizei einen Busfahrer aus dem Verkehr, der mit 1,9 Promille einen städtischen Linienbus steuerte. In der Nacht zum Samstag starb ein 38 Jahre alter Beifahrer eines betrunkenen Fahrers, der vor einer Polizeikontrolle floh und gegen einen Baum fuhr.
Quelle: ntv.de, Eva Krafczyk, dpa