"Freitag der Wut" in Ägypten UN fordern "äußerste Zurückhaltung"
16.08.2013, 02:35 Uhr
Geräumtes Protestcamp in Kairo.
(Foto: REUTERS)
Die 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats verurteilen die Gewalt in Ägypten und fordern ein Ende der Aggressionen. Die Präsidentin des Gremiums spricht privat von einem Staatsstreich. Unterdessen wird für Freitag mit einer neuen Welle der Gewalt gerechnet. Die USA rufen ihre Bürger auf, das Land zu verlassen und sagen eine gemeinsame Militärübung mit Ägypten ab.
Der UN-Sicherheitsrat verurteilt die Gewalt in Ägypten und ruft zu "maximaler Zurückhaltung auf. Alle Seiten seien aufgerufen, die Aggressionen einzustellen, teilte Argentiniens Vertreterin Maria Cristina Perceval als derzeitige Ratspräsidentin nach einer Dringlichkeitssitzung des Gremiums mit. Der Rat hoffe auf ein Ende der Gewalt und Fortschritte in Richtung einer nationalen Aussöhnung. Die 15 Mitgliedstaaten hätten während der Dringlichkeitssitzung den Verlust von Menschenleben in Ägypten beklagt. Zuvor hatte die ägyptische Regierung die Zahl der Toten nach übereinstimmenden Medienberichten auf 638 nach oben korrigiert. Verletzt worden seien 4201 Menschen. Neue Opferzahlen waren zuvor praktisch stündlich veröffentlicht worden.
Bei dem Treffen in New York wurden die Ratsmitglieder vom stellvertretenden UN-Generalsekretär Jan Eliasson über die jüngsten Entwicklungen informiert und erörterten die Lage. Sie hätten darin übereingestimmt, dass "es wichtig ist, die Gewalt in Ägypten zu beenden, dass die Parteien äußerste Zurückhaltung üben", sagte Perceval. Aus ihrer persönlichen nationalen Sicht verurteilte sie den Sturz von Präsident Mohammed Mursi durch das Militär und sprach von einem "Staatsstreich".
"Friday of Anger"
Am Vortag waren bei der Räumung zweier Protestlager von Anhängern der Muslimbruderschaft in der ägyptischen Hauptstadt Kairo und darauf folgenden Unruhen im ganzen Land viele Menschen getötet worden. Die islamistischen Muslimbrüder fordern die Wiedereinsetzung des Anfang Juli von der Armee gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi. Sie kündigten neue Kundgebungen gegen die Übergangsregierung an und sprachen von einem "Freitag der Wut".
Von allen Moscheen der Hauptstadt Kairo würden nach dem Freitagsgebet Demonstrationszüge starten, schrieb der Sprecher der islamistischen Muslimbrüder, Gehad al-Haddad, auf Twitter. Die Teilnehmer des Protests würden zum zentral gelegenen Ramses-Platz ziehen. Al-Haddad sprach von "Anti-Putsch-Kundgebungen" und verwies damit auf den Sturz des islamistischen Staatspräsidenten Mohammed Mursi durch die Armee Anfang Juli. Er befindet sich an einem geheimen Ort. Seine Untersuchungshaft wurde am Donnerstag um 30 Tage verlängert.
USA ruft eigene Bürger zum Verlassen Ägyptens auf
Unterdessen haben die USA ihre Bürger zum Verlassen des Landes aufgerufen. Alle dort lebenden US-Amerikaner seien angehalten, aus dem nordafrikanischen Staat auszureisen, teilte das Außenministerium in Washington mit. Kanada schloss vorerst seine Botschaft. Die Sicherheitslage werde in den kommenden Tagen beobachtet, sagte eine Sprecherin des kanadischen Außenministeriums. Je nach Entwicklung könne die Botschaft bereits am Sonntag wieder geöffnet werden.
Zuvor hatten bereits Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien die jeweiligen ägyptischen Botschafter einbestellt. Frankreichs Präsident François Hollande ließ den ägyptischen Vertreter direkt zu sich kommen. Die Türkei berief ihren Botschafter in Ägypten zu einem Gespräch ein. Der Diplomat sei in die Türkei beordert worden, "um die jüngsten Entwicklungen zu besprechen", sagte ein Sprecher des Außenministeriums.
Obama verurteilt Gewalt
US-Präsident Obama verurteilte das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten: Nach der Militärintervention gegen Präsident Mohammed Mursi am 3. Juli habe es zunächst die Chance auf Versöhnung gegeben, doch stattdessen habe Ägypten einen "gefährlicheren Weg" genommen, sagte er.
Die US-Militärhilfen von jährlich 1,3 Milliarden Dollar ließ Obama zwar unangetastet, Verteidigungsminister Chuck Hagel warnte nach einem Telefonat mit Ägyptens Militärchef Abdel Fattah al-Sisi jedoch: "Die Gewalt und unangemessene Maßnahmen zur Versöhnung gefährden wichtige Elemente unserer langjährigen Kooperation." Obama sagte, angesichts der Geschehnisse könnten die Vereinigten Staaten ihre Beziehung zu dem Land derzeit nicht wie gewohnt weiterführen. Eine Militärübung mit den Streitkräften Ägyptens wurde abgesagt. Das Trainingsmanöver "Bright Star" mit Zehntausenden US-amerikanischen und ägyptischen Soldaten sowie Streitkräften anderer Länder findet normalerweise alle zwei Jahre statt.
Das Amt des ägyptischen Übergangspräsidenten kritisierte die Äußerungen Obamas scharf. Ägypten habe es mit terroristischen Handlungen zu tun, die sich gegen Regierungsgebäude und lebenswichtige Einrichtung richteten. In der Erklärung des Büros von Übergangspräsident Adli Mansur hieß es weiter: "Die Präsidentschaft fürchtet, dass Erklärungen, die nicht auf korrekten Fakten basieren, gewalttätige bewaffnete Gruppen stärken und sie in ihrem Widerstand gegen Stabilität und den demokratischen Übergang bestärken könnten."
Westerwelle für internationale Abstimmung
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, er habe die Lage mit seinem US-Kollegen John Kerry am Telefon besprochen. Es gelte nun, das weitere Vorgehen international abzustimmen. Das Auswärtige Amt hat bislang eine Teilreisewarnung für Ägypten erlassen und rät von Reisen in das Land ab.
Ungeachtet der zahlreichen Opfer dauert die Gewalt an: Im Norden der Sinai-Halbinsel töteten mutmaßliche Extremisten fünf ägyptische Soldaten in Al-Arisch. In der Stadt starb zudem ein Polizist, als Extremisten das Feuer auf den Offiziersclub der Polizei eröffneten. Im Kairoer Stadtteil Giza stürmten Hunderte Islamisten das Gebäude der Provinzverwaltung. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen brach ein Feuer aus. In der Hauptstadt sperrten ferner etwa 3000 Islamisten die Straße vor der Al-Iman-Moschee, in der Dutzende Opfer der Gewaltexzesse vom Mittwoch aufgebahrt waren.
Das Innenministerium wies die Polizei an, ab sofort mit scharfer Munition auf Plünderer und Saboteure zu schießen. In einer Erklärung hieß es, der Anlass dafür seien "Terrorattacken der Organisation der Muslimbrüder auf verschiedene Einrichtungen von Regierung und Polizei in mehreren Provinzen". Damit solle verhindert werden, dass öffentliche Gebäude in Brand gesetzt und Waffen aus Polizeistationen gestohlen werden. Die Regierung hatte bereits zuvor trotz massiver internationaler Kritik das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte verteidigt. In mehreren Landesteilen gilt der Notstand.
Skandinavien holt seine Urlauber heim
Die Ferienorte an der Küste des Roten Meeres blieben von Gewalt zwar bislang verschont. Im Badeort Hurghada starb allerdings ein Anhänger der Muslimbruderschaft bei Zusammenstößen. Dem Reisekonzern TUI zufolge müssen Urlauber bisher zwar kaum mit Einschränkungen rechnen, dennoch sinkt die Nachfrage nach Reisen in das Land nach Branchenangaben spürbar.
Dagegen haben skandinavische Reiseveranstalter entschieden, ihre Urlauber aus dem Land zurückzuholen, wie die dänische Nachrichtenagentur Ritzau meldete. Betroffen seien mehrere hundert Dänen, Norweger und Schweden, die bis spätestens Montag wieder nach Hause geholt werden sollen. Künftige Reisen nach Ägypten würden bis Anfang Oktober eingestellt. Anlass sei eine Reisewarnung der jeweiligen Regierungen.
Die Angriffe der Extremisten richteten sich nicht allein gegen öffentliche Gebäude und Polizeiwachen. Auch christliche Kirchen wurden Ziel der Attacken. Aus Sicherheitskreisen hieß es, in Abanub in der Provinz Assiut sei eine koptische Kirche niedergebrannt worden. Nach Angaben der christlichen Zeitung "Watani" attackierten die Islamisten insgesamt 35 Kirchen oder andere Einrichtungen der Kopten.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP