Die letzte Chance genutzt Romney zurück im Spiel
04.10.2012, 09:42 Uhr
Bei tausenden Public Viewing-Partys verfolgten Wähler das Duell.
(Foto: AP)
Die US-Journalisten freuen sich: Endlich ist wieder Spannung und Dramatik im Wahlkampf. Denn Mitt Romney schafft es, den Präsidenten in die Defensive zu drängen: Barack Obama ist im TV-Duell einfach zu langweilig. Die Wahrheit bleibt in der Diskussion mehr als einmal auf der Strecke.
Zu defensiv, zu oberlehrerhaft, zu langweilig: Wenn das Weiße Haus ein Big-Brother-Container oder ein Promi-Dschungel ist, hat Präsident Barack Obama in der Nacht zum Donnerstag seinen Job verloren. Denn gemäß der Logik moderner US-Wahlkämpfe hat sein Herausforderer Mitt Romney in der ersten TV-Debatte eine Art Kennedy-Nixon-Doppelsieg eingefahren: Er sah nicht nur gut aus, er klang auch so.
1960, bei der ersten im Fernsehen übertragenen Präsidentschaftsdebatte, überzeugte der Demokrat John F. Kennedy vor allem visuell: gut gebräunt, strahlend, selbstsicher. Der Republikaner Richard Nixon hingegen schwitze, sah blass aus und wirkte nervös – und lag am Ende doch bei all jenen Wählern vorn, die die Debatte nur im Radio verfolgt hatten.
Lob von allen Seiten
Romney gelang auf dem Podium der Universität von Denver beides: angriffslustiger Blick und messerscharfe Argumente. Die meisten Beobachter waren sich nach 90 Minuten sicher: Der Ex-Gouverneur sei nicht wie ein Kandidat aufgetreten, der in den aktuellen Umfragen zurückliegt, sondern wie einer, der noch immer an seine Chancen glaubt. Auch eine schnelle CNN-Umfrage ergab, dass nur jeder vierte Wähler Obama vorne sah. Und sogar vom liberalen TV-Sender MSNBC gab es hinterher Anerkennung für den Herausforderer: Romney habe "alles erreicht, was er erreichen musste", urteilte Moderator Chuck Todd. Obama hingegen hielt sich zurück und kassierte dafür jede Menge Kritik. Statt Romney in die Augen zu schauen, habe der Präsident lieber auf seine Notizen oder in die Kamera geblickt. Dass er seinem Herausforderer keinen seiner verbalen Fehltritte der vergangenen Wochen vorhielt, missfiel sogar Demokraten. "Das war nicht seine beste Leistung", meinte James Carville, einst politischer Berater von Bill Clinton. Und CNN-Kommentator David Gergen jubelte: "Jetzt haben wir ein Pferderennen."
In der blumigen Sprache medialer Polit-Junkies bedeutet das: Es bleibt spannend, schalten sie wieder ein. Und tatsächlich passt Romneys solider Auftritt gut in die Dramatik einer engen Wahl: Nach Tagen, in denen fast ausschließlich von seinen verbalen Fehltritten und Obamas Vorsprung in den wichtigen "Swing States" die Rede war, wird nun ein neues Kapitel aufgeschlagen. Darin ist plötzlich der Präsident in der Bringschuld, während Romney endlich einmal durchatmen kann.
Fragwürdiger Mehrwert
Ob die Show in Denver jedoch Amerikas Wählern etwas gebracht hat, ist fraglich. Zwar tauchten Obama und Romney überraschend tief in wirtschafts- und sozialpolitische Themen ein. Besonders viel Klartext lieferte aber keiner der beiden Kandidaten – und mit der Wahrheit nahmen sie es erst recht nicht ernst.
Das Heer der Faktenprüfer deckte jedenfalls schon während der Debatte zahlreiche Falschaussagen auf. So klopfte sich Obama selbst für angeblich fünf Millionen neu geschaffene Jobs auf die Schultern, ohne dabei zu erwähnen, dass diese zuvor in der Krise verloren gegangen waren. Und Romney kramte den bereits widerlegten Vorwurf heraus, Obamas Gesundheitsreform würde quasi-diktatorische Expertenkommissionen und Rationierungen in der Patientenversorgung einführen. Auch beim Thema Schuldenabbau und Steuern schienen beide Kontrahenten in verschiedenen Welten zu leben: Obama schönte seinen Plan, nach dem in zehn Jahren rund vier Billionen US-Dollar eingespart werden sollen, während Romney kurzerhand positive Studien zu seiner Steuerreform aus dem Hut zauberte, die es gar nicht gibt.
Moderator Lehrer überfordert
Gegenstand der Debatte wurden die Behauptungen allerdings nicht. Moderator Jim Lehrer, ein altes Schlachtross der politischen Berichterstattung mit nunmehr zwölf Präsidentschaftsdebatten auf dem Buckel, ging auf keine der steilen Thesen ein. Ihm entglitt die Veranstaltung schon nach der ersten Fragerunde, in der Obama und Romney nach Herzenslust ihre Redezeiten überzogen. "Du machst einen guten Job, Jim", lobte Obama zwischendurch mit schelmischem Grinsen. Und Romney entschuldigte sich höflich, als er erklärte, er wolle Subventionen für Lehrers halbstaatlichen Heimatsender PBS kürzen, auf dem unter anderem die Kindersendung "Sesamstraße" läuft. "Ich liebe Bibo", scherzte Romney, "aber ich werde nicht weiter Geld für Sachen ausgeben, für die wir uns Geld in China leihen müssen."
Welche zukunftsweisende Vision Obama für eine zweite Amtszeit qualifizieren würde, haben die Debattenzuschauer nicht erfahren. Ebenso unklar blieben große Teile von Romneys Regierungsplan, vor allem bei der Steuer- und Haushaltspolitik. Zum Verhängnis wurde das keinem der beiden Kandidaten, denn statt einer Debatte lieferten Obama und Romney nur die in den vergangenen Monaten einstudierten Phrasen ab. Dass Romney dabei öfter den Präsidenten zu seiner Linken in den Blick nahm, während der lieber in seinem distanziert-professionellen Stil verharrte, spielte eigentlich keine Rolle. Inhaltlich lieferten beide Männer an diesem Abend nämlich kaum Nennenswertes – allein äußerlich machte Romney eine bessere Figur. Das reicht im US-Wahlkampf schon, um "ein oder zwei Punkte" zu gewinnen, wie Obamas Berater David Axelrod hinterher kalkulierte. Ein "Game Changer" aber war dieser Abend nicht.
Duell der Stellvertreter
Schon in der kommenden Woche, am 11. Oktober, steht die nächste Debatte an. Dann dürfen die beiden Männer aus der zweiten Reihe ran, Paul Ryan und Joe Biden: der aufstrebende Budgetexperte und klare Rechtsideologe gegen den ausgebufften Polit-Veteranen und emotionalen Geschichtenerzähler.
Eine Paarung, die Hoffnung auf eine echte Debatte macht. Schließlich hat für Ryan die politische Karriere gerade erst begonnen, seine Zukunft hängt nicht an Romneys Ergebnis im November. Und für Biden ist es wohl das letzte Amt, er wird nach Obamas Regentschaft in Rente gehen. Wirklich zu verlieren haben die beiden Nummer Zweien also nichts. Gute Voraussetzungen also für ein Duell, das diese Bezeichnung auch verdient.
Quelle: ntv.de