"Die sehen sich als Opfer" Romney verachtet die Hälfte der Wähler
18.09.2012, 10:13 Uhr
Von Angriff auf Verteidigung: Romney muss umschalten.
(Foto: REUTERS)
Ein Video bringt Mitt Romney in Schwierigkeiten. Es zeigt, wie der Republikaner vor reichen Spendern abfällig über Sozialhilfeempfänger spricht. Für Romney ein weiterer Rückschlag bei seinem Versuch, als "mitfühlend" wahrgenommen zu werden.
Er wäre so gerne beliebter bei seinen Landsleuten, und fast hätte Mitt Romney sie auch überzeugt. Drei Tage lang ließ sich der republikanische Präsidentschaftskandidat Ende August von seinen Parteifreunden als warmherziger Familienvater und fürsorglicher Polit-Patriarch feiern. In den Umfragen konnte er danach auch leicht zulegen. Doch das Bild vom vertrauenswürdigen "Mr. Mitt" hängt spätestens seit Montag wieder schief. Der Grund: Jemand hat Romney bei einem Auftritt vor reichen Spendern in Florida gefilmt. Und da war er ehrlicher, als ihm nun lieb sein dürfte.
Denn hinter verschlossenen Türen klingt Romney nicht wie ein mitfühlender Staatsmann, sondern wie ein verbitterter Schnösel. Das lässt zumindest ein Video vermuten, das ein anonymer Informant dem liberalen Magazin "Mother Jones" zugespielt hat. Der Zeitschrift zufolge zeigt es Romney bei einer Spendengala im Mai in Boca Raton, Florida, wo der Eintrittspreis pro Person bis zu 50.000 US-Dollar betragen haben soll.
Vor betuchten Spendern gab Romney dort so eine Art Strategiesitzung für den bevorstehenden Wahlkampf gegen Präsident Barack Obama. Der genieße einen gewaltigen Vorteil, so Romney: 47 Prozent der US-amerikanischen Wähler würden ihn unterstützen, "egal, was kommt".
Die seien Wähler, "die von der Regierung abhängig sind, die glauben, dass sie Opfer sind, die glauben, dass die Regierung die Verantwortung hat, sich um sie zu kümmern, die glauben, dass sie ein Recht auf medizinische Versorgung haben, auf Nahrung, auf Wohnraum, auf was auch immer".
Dies seien die Menschen, so Romney weiter, die keine Einkommenssteuer zahlten, und deswegen könne man sie auch nicht vom Sinn großzügiger Steuererleichterungen überzeugen. "Es ist nicht mein Job, mir Gedanken über diese Leute zu machen. Ich werde sie nie davon überzeugen, dass sie Verantwortung für sich selbst übernehmen müssen."
Kampf um die Enttäuschten
Die Zahl stimmt gar nicht: Nach Angaben des überparteilichen "TaxPolicy Center" zahlen nicht 47, sondern 46,4 Prozent der Haushalte keineEinkommensteuer. Die "New York Times" weistdarauf hin, dass die Hälfte dieser 46,4 Prozent deshalb keineEinkommensteuer bezahlen, weil sie schlicht zu arm seien. Die andere Hälfteprofitiere von Steuererleichterungen. Betroffen seien hier vor allem ältereBürger und Familien mit geringen Einkommen. "Um es deutlich zu sagen, diessind keine Haushalte, die sich vor ihren steuerlichen Verpflichtungendrücken." (hvo)
Sein Ziel sei es, die "5 bis 10 Prozent" der Wähler in der politischen Mitte zu gewinnen. Denen dürfe man jedoch nicht das Gefühl geben, dass sie mit ihrer Wahl von Obama 2008 einen Fehler gemacht haben. "Die wollen nicht gesagt bekommen, dass sie falsch lagen, dass er ein schlechter Kerl ist, dass er Schlechtes getan hat und korrupt ist", sagte Romney. Vielmehr müsse man die Wechselwähler daran erinnern, wie enttäuscht sie mit der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und der flauen Wirtschaftsentwicklung seien.
Arme, die den Staat aussaugen, gegen Reiche, die die Zeche zahlen: Aussagen wie diese hört man oft von konservativen US-Kommentatoren, vor allem jenen, die nach Steuererleichterungen für alle Einkommensstufen rufen und die heilende Kraft des freien Marktes preisen. Sie muss Romney nicht mehr überzeugen, ihre Stimmen hat er im November sicher. Doch ihre aggressive Rhetorik hat er in der Öffentlichkeit bisher vermieden. Stattdessen spricht er lieber von individueller Freiheit und dem Potenzial des geschäftstüchtigen Mittelstands. Das Video aus Florida scheint nun jedoch zu zeigen, was er wirklich denkt.
Romney beschwichtigt, Demokraten feiern
Dass das nicht gut ankommt, erkannte Romney wohl sofort. Noch in der Nacht zum Dienstag übte sich seine Kampagne in Schadensbegrenzung. "Es ist nicht sehr elegant ausgedrückt", sagte Romney vor Journalisten. Er habe über Wahlkampfstrategien gesprochen, nicht über seine politische Vision für die USA. Spender würden stets hören wollen, "dass du gewinnen kannst, und darum ging es mir". Natürlich würden Menschen Verantwortung übernehmen, sagte der Ex-Gouverneur. Ihm ginge es darum, diesen Leuten zu helfen, einen Job zu finden.
Doch da war das Kind schon in den Brunnen gefallen. Die offenherzigen Aussagen Romneys sind wie maßgeschneidert für die Botschaft seiner Gegner, die ihm das Image des mitleidslosen Turbokapitalisten anhängen wollen. Das Obama-Team meldete zwar zunächst Zweifel an Romneys Führungsqualitäten an. "Es ist schwer, Präsident aller US-Amerikaner zu sein, wenn man abfällig die Hälfte der Nation abgeschrieben hat", sagte Obamas Wahlkampfmanager Jim Messina. Doch in den Wochen bis zur Wahl werden sie sich wohl vor allem auf Romney als wohlhabenden Klassenkämpfer konzentrieren.
Der soll laut der Zeitung "Washington Post" rund 4 Millionen US-Dollar bei der von Finanzinvestor Marc Leder organisierten Veranstaltung in Florida verdient haben. Geld, das er nun mehr denn je für Werbung braucht. Denn in den aktuellen Umfragen fiel Romney zuletzt klar zurück. Vor allem in Bundesstaaten, in denen Minderheiten stark vertreten sind, dürften ihm seine Aussagen weiter Schaden zufügen. Die nämlich sind häufiger als andere Bevölkerungsgruppen auf Sozialleistungen angewiesen.
Quelle: ntv.de