Techniker enthüllt Geheimdienst-Heimlichkeit USA überwachen Europas Internetnutzer
09.06.2013, 18:54 Uhr
Über ein geheimes Überwachungsprogramm sammeln US-Geheimdienste angeblich seit Jahren private Mails, Fotos und Dokumente von Millionen Internetnutzern. Ein 29-jähriger Techniker ging damit an die Öffentlichkeit. Deutsche Politiker fordern nun, dass die Affäre aufgeklärt wird.
Die weltweite Sammlung von Internetdaten durch US-Geheimdienste sorgt in Europa für Empörung. Britische und amerikanische Medien hatten die Existenz eines geheimen Überwachungssystems mit dem Namen "PRISM" enthüllt. Über das Programm sollen die NSA (National Security Agency) und das FBI auf die Server mehrerer großer US-Internetkonzerne wie Google, Facebook und Apple zugreifen. So können sie die Internetaktivität von Nutzern weltweit überwachen. Mehrere Internetkonzerne bestreiten, davon gewusst zu haben.
Obama hatte das Vorgehen mit dem Hinweis verteidigt, dass eine Balance zwischen Privatsphäre und Sicherheitsanforderungen gefunden werden müsse. US-Geheimdienstkoordinator James Clapper bezeichnete die Überwachungssoftware als "regierungsinternes Computerprogramm zur Vereinfachung der Sammlung ausländischer Geheimdienstinformationen". Um ein geheimes System zur Sammlung von Daten handele es sich jedenfalls nicht. Er attackierte seinerseits die Medien und warf ihnen "leichtsinnige Enthüllungen" vor. Die Veröffentlichungen seien wegen des "enormen Schadens" für die Geheimdienstarbeit "geradezu herzzerreißend", sagte er dem Sender NBC News.
"Ich bin bereit, alles zu opfern"
Wie der britische "Guardian" berichtete, enthüllte der Techniker Edward Snowden das Spähprogramm der US-Geheimdienste. "Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die solche Dinge tut", sagte der 29-Jährige. Er sei die vergangenen vier Jahre als Mitarbeiter anderer Unternehmen in dem US-Geheimdienst NSA tätig gewesen. Auf Hawaii habe er zuletzt 200.000 Dollar im Jahr verdient. Dieses angenehme Leben habe er aufgegeben.
"Ich bin bereit, das alles zu opfern, weil ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, dass die US-Regierung mit dem Bau dieser riesigen Überwachungsmaschine die Privatsphäre, die Freiheit des Internets und die Grundrechte von Menschen in aller Welt zerstört." Der Geheimdienst könne bereits einen Großteil der menschlichen Kommunikation automatisch aufsaugen, so Snowden. "Wenn ich in Ihre E-Mails oder in das Telefon Ihrer Frau hineinsehen wollte, müsste ich nur die abgefangenen Daten aufrufen."
Einer der größten Skandale hinsichtlich Daten-Weitergabe?
Die Absicht, sich zu verstecken, habe er nicht, sagte Snowden dem Blatt. "Weil ich weiß, dass ich nichts Falsches gemacht habe." Jedoch ist er sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst. Er gehe nicht davon aus, mit seiner Familie oder seinen Freunden noch einmal Kontakt aufnehmen zu können. Mit den belastenden Dokumenten ist er in ein Hotel in Hongkong geflohen. Dort hofft er auf Asyl. Clapper hatte bereits strafrechtliche Ermittlungen gegen die Urheber der Enthüllungen angekündigt. Snowdens größte Befüchtung jedoch ist, dass sein Handeln gänzlich ohne Folgen bleiben könnte. "Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich mache und sage, aufgenommen wird."
Der Überwachungsskandal überschattet den bevorstehenden Deutschlandbesuch von US-Präsident Barack Obama. Politiker von CDU, Grünen und SPD forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu auf, das Thema beim geplanten Treffen am 19.Juni anzusprechen. "Diese Affäre hat den Anschein, einer der größten Skandale in puncto Datenweitergabe zu werden. Da kann Frau Merkel nicht einfach drüber wegsehen und einen auf 'nichts passiert' machen. Es ist die Pflicht der Bundesregierung, ihre Bürger vor solchen Bespitzelungen zu schützen" meinte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast.
Rechtschaffene Bürger haben "nichts zu befürchten"
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), geht davon aus, dass die Kanzlerin Obama um Aufklärung der Vorwürfe bitten wird. Sollten tatsächlich Daten von Bundesbürgern betroffen sein, müssten die in Deutschland geltenden Gesetze berücksichtigt werden. Aus deutschen Sicherheitskreisen heißt es unterdessen, dass die Bundesrepublik keine Rohdaten aus der amerikanischen Überwachung von Telefon- und Internetdaten erhalte. "Wir bekommen von den Amerikanern regelmäßig Hinweise auf Gefährdungen oder verdächtige Personen in Deutschland. Aber woher diese Erkenntnisse kommen, ist daraus nicht ersichtlich."
Auch in Großbritannien hatte die Labour-Opposition von der Regierung verlangt, zu Berichten über die angebliche Nutzung von Daten des US-Programms "PRISM" durch die britische Abhöragentur GCHQ Stellung zu nehmen. Außenminister Hague wollte allerdings weder bestätigen noch dementieren, dass die britische Regierung von den US-Abhörmechanismen Kenntnis hatte. In dieser Angelegenheit gehe es um die Sicherheit aller britischen Bürger, sagte er. Rechtschaffene britische Bürger hätten "nichts zu befürchten". Mögliche "Terroristen", Mitglieder krimineller Netzwerke oder ausländische Geheimdienste sollten dagegen vor den britischen Diensten auf der Hut sein.
Die geheimdienstliche Aufklärungsarbeit unterliege "sehr strengen gesetzlichen Rahmenbedingungen", um das "Gleichgewicht" zwischen den Freiheiten und der Privatsphäre der Menschen einerseits und der Sicherheit des Landes andererseits zu gewährleisten, beteuerte Hague. Alle Überwachungsaktionen müssten von ihm oder von Innenministerin Theresa May persönlich gebilligt werden. Ihre Entscheidungen würden regelmäßig von dritter Seite geprüft und vom parteiübergreifenden Geheimdienstausschuss kontrolliert. Die Berichte über die Arbeit der US-Dienste nehme der Ausschuss jedoch zum Anlass, die Arbeit der GCHQ noch einmal unter die Lupe zu nehmen.
Quelle: ntv.de, ame/dpa/reuters