Der Kriegstag im Überblick Ukraine registriert weitere russische Raketenangriffe - Berlin lehnt Putin-Angebot ab
12.10.2022, 21:13 Uhr
Die Spuren eines Raketenangriffs auf den Schewtschenko-Park in Kiew.
(Foto: picture alliance / AA)
Die russische Armee greift die nächsten zivilen Ziele in der Ukraine an. Die westlichen Verbündeten sichern Kiew mehr Luftabwehrsysteme zu - und zwar möglichst schnell. Derweil sorgt ein weiteres Pipeline-Leck für Wirbel. Ein Lieferangebot von Kremlchef Putin stößt in Deutschland auf wenig Gegenliebe. Der 231. Kriegstag im Überblick.
Ukraine meldet russische Raketenangriffe
Der ukrainische Generalstab registriert weitere russische Raketen- und Luftangriffe auf Wohnhäuser und Objekte der zivilen Infrastruktur. Im abendlichen Lagebericht aus Kiew war die Rede von drei Raketenangriffen und vier Fällen von Beschuss durch Flugzeuge. Zehnmal seien Mehrfachraketenwerfer eingesetzt worden. Von den zehn getroffenen Zielen lagen die meisten in den frontnahen Gebieten Saporischschja und Mykolajiw im Süden. Außerdem setze die russische Armee weiter Kampfdrohnen iranischer Bauart ein, von denen zehn abgeschossen worden seien. Die ukrainischen Militärangaben sind nicht unabhängig überprüfbar.
An der Donbass-Front im Osten der Ukraine setzten die russischen Truppen nach Kiewer Angaben im Laufe des Tages ihre Angriffe auf die Stadt Bachmut fort. Sie seien aber abgewehrt worden, hieß es. Die "Kyiv Post" berichtete zudem auf Twitter, dass die ukrainische Armee fünf weitere Ortschaften in der Oblast Cherson befreit habe. Dazu postete das Medium ein Foto, das Soldaten in Chervone zeigen soll.
NATO-Kreise: Russland hat viel präzise Munition verbraucht
Nach Angaben aus NATO-Kreisen kann die russische Armee bei ihren Angriffen nicht mehr auf Unmengen von präzisionsgelenkter Munition zurückgreifen, weil diese inzwischen zu einem erheblichen Teil verbraucht sei. Aufgrund der westlichen Sanktionen könne die russische Industrie nun nicht alle Munitionsarten und Waffensysteme herstellen, sagte ein Insider. Der britische Geheimdienst hatte sich am Dienstag ähnlich geäußert. "Wir wissen, und das wissen auch russische Kommandeure im Krieg, dass ihnen die Ausrüstung und Munition ausgeht", sagte der Direktor des GCHQ, Jeremy Fleming. Der russische Präsident Wladimir Putin mache Fehleinschätzungen und strategische Fehler.
Kiew soll möglichst rasch mehr Luftabwehrsysteme erhalten
Doch noch attackiert Russland die Ukraine massiv. Angesichts der anhaltenden Serie von Luftangriffen wollen die Verbündeten des Landes daher so schnell wie möglich weitere Abwehrsysteme zur Verfügung stellen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte nach einem Treffen der 30 NATO-Länder mit rund 20 weiteren Partnern der Ukraine-Kontaktgruppe, die Staaten würden "alles in ihrer Macht stehende tun". Austin lobte in diesem Kontext Deutschland für die Lieferung eines ersten modernen Luftabwehr-Systems. Die Bundesrepublik wie die USA müssen die meisten der zugesagten Waffen allerdings erst noch herstellen.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bestätigte in Brüssel, dass Deutschland ein erstes Luftabwehrsystem vom Typ IRIS-T SLM an die Ukraine geliefert hat. Drei weitere dieser Systeme, über welche die Bundeswehr bisher nicht verfügt, sollen dann im kommenden Jahr folgen. "Wir tun alles, damit es so schnell wie möglich geht", sagte Lambrecht. Solche "hochkomplexen, hochmodernen Systeme" wie IRIS-T SLM seien aber aufwändig herzustellen. "Da bin ich auf die Industrie angewiesen, dass dort auch ein bisschen schneller produziert wird", sagte sie mit Blick auf den Hersteller Diehl Defense vom Bodensee.
Bätzing: Waffenlieferungen vereinbar mit katholischer Friedenslehre
Für die bisherige Strategie der westlichen Verbündeten gibt es Unterstützung von ganz oben. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hält nach eigenem Bekunden Waffenlieferungen an die Ukraine für legitim. Zwar falle es vom christlichen Standpunkt aus schwer, die Lieferung todbringender Waffen an eine Kriegspartei zu bejahen, sagte Bätzing beim St. Michael-Jahresempfang der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin. "Aber wir kommen nicht umhin festzustellen: Wenn ein Staat gewaltsam zur Beute eines anderen gemacht werden soll, so besitzt er das natürliche Recht auf Selbstverteidigung. Und die Ermöglichung dieser Selbstverteidigung durch andere Länder ist legitim." Das sage auch die katholische Friedenslehre.
NATO hat keine Hinweise auf bevorstehenden Kriegseintritt von Belarus
Die NATO-Staaten zeigen sich indes nicht sonderlich nervös angesichts der Stationierung von belarussischen Truppen an der Grenze zur Ukraine. Man sehe derzeit keine Hinweise darauf, dass sich Belarus aktiv am russischen Angriffskrieg beteiligen will, sagte ein Vertreter des Militärbündnisses. Als einen möglichen Grund nannte er die dann drohenden Sanktionsmaßnahmen des Westens. Mit Blick auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko sagte er: "Ich glaube nicht, dass wir daran zweifeln sollten, dass Lukaschenko versteht, dass die volle Wucht der Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden, auch gegen Belarus angewandt werde, wenn die belarussischen Streitkräfte dieselbe Art von Operationen gegen die Ukraine durchführen würden."
Lukaschenko hatte zuletzt die Bildung einer gemeinsamen regionalen Militäreinheit der Streitkräfte seines Landes mit der russischen Armee angekündigt. Aktiv nimmt das Zehn-Millionen-Einwohner-Land jedoch bislang nicht am Angriffskrieg teil. Nach Auffassung des Westens dient Belarus Russland allerdings als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet.
Deutschland vor UN: Annexionen Gefahr für alle
Deutschland stellt die im Zuge des Krieges völkerrechtswidrigen Annexionen Russlands vor der UN-Vollversammlung als Gefahr für alle Staaten dar. "Heute ist es die Ukraine - morgen könnte es jeder von uns sein. Die souveräne Gleichheit und territoriale Integrität eines jeden von uns wäre der Gnade unserer Nachbarn ausgesetzt", sagte der deutsche Diplomat Michael Geisler vor dem größten UN-Gremium. Jedes Land sei verpflichtet, die Scheinreferenden und rechtswidrigen Annexionen Moskaus zurückzuweisen.
Kreml rechnet mit türkischem Vermittlungsvorschlag
Am Donnerstag treffen die beiden Staatschefs Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan aufeinander. Der Kreml rechnet anlässlich der Zusammenkunft in Kasachstan mit einem konkreten Vermittlungsvorschlag der Türkei. "Erdogan wird wahrscheinlich offiziell etwas vorschlagen", sagte Kreml-Berater Juri Uschakow vor Journalisten. Er erwarte eine "interessante und nützliche Diskussion". Sollten russisch-ukrainische Kontakte stattfinden, würde dies auf türkischem Gebiet geschehen, sagte Uschakow. Der Kreml-Berater lobte erneut die Position der Türkei, die sich "aus Prinzip nicht den illegitimen westlichen Sanktionen" gegen Russland anschließe. Das NATO-Mitglied Türkei ist stark von russischem Öl und Gas abhängig.
Öl-Lieferungen über Druschba-Pipeline nicht unterbrochen
Auch Staaten wie Deutschland sind noch immer - im geringeren Umfang - von Energielieferungen aus Russland abhängig. Da kommt ein nächstes Leck an einer Pipeline zur Unzeit. Doch nach den gemeldeten Schäden an einer der beiden Druschba-Leitungen zwischen Russland und Deutschland gab es Entwarnung. Die Öl-Lieferungen sind nach Angaben der Bundesregierung nicht unterbrochen. "Die beiden Raffinerien Schwedt und Leuna erhalten aktuell weiter Rohöl über die Druschba Pipeline 'Freundschaft 1' über Polen. Diese Lieferungen sind nicht unterbrochen", erklärte das Bundeswirtschaftsministerium. Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei damit "aktuell gewährleistet". Nach ersten Informationen der polnischen Behörden gehe "man von einer unbeabsichtigten Beschädigung aus, nicht von einer Sabotage".
Bundesregierung lehnt Putins Nord-Stream-2-Angebot ab
Kremlchef Putin machte Deutschland angesichts der sehr wahrscheinlich durch Sabotage verursachten Lecks an den Ostseeröhren Nord Stream 1 und 2 ein fragwürdiges Angebot: Gaslieferungen seien durch den noch betriebsfähigen Strang der Pipeline Nord Stream 2 möglich. "Man muss nur den Hahn aufdrehen", sagte Putin bei einem Auftritt auf der russischen Energiewoche in Moskau. Die Röhre sei wohl nicht so beschädigt worden, dass sie nicht mehr genutzt werden könne, sagte er.
Die Bundesregierung machte aber erneut klar, dass eine Gaslieferung über Nord Stream 2 für sie nicht infrage komme. Auf die Frage, ob sie Nord Stream 2 ausschließe, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann: "Ja." Man habe unabhängig von der möglichen Sabotage an den beiden Pipelines feststellen müssen, dass Russland kein zuverlässiger Energielieferant mehr sei, sagte Hoffmann. Sie verwies darauf, dass schon vor der Beschädigung kein Gas mehr durch Nord Stream 1 geflossen ist.
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Quelle: ntv.de, fzö/dpa/AFP/rts