Atomkraftbetreiber stoppen Zahlungen Union streitet um Ausstiegs-Kosten
11.04.2011, 19:48 Uhr
Brüderle und Röttgen legen Pläne vor, die hoch gelobt werden, deren Finanzierung aber unklar ist.
(Foto: picture alliance / dpa)
Einen Monat nach der Atomkatastrophe in Fukushima rufen die Deutschen nach der Energiewende und die Parteien wetteifern um den schnelleren Ausstieg aus der Atomkraft. Bundesumweltminister Röttgen möchte gerne die Laufzeitverlängerung kippen und das Umweltbundesamt hält einen Ausstieg sogar bis 2017 für machbar.
Die Union streitet heftig darüber, ob sich die Bundesregierung bereits jetzt auf einen beschleunigten Atomausstieg festlegen soll - und wie sie diesen finanzieren will. Im CDU-Präsidium kritisierte etwa Finanzminister Wolfgang Schäuble nach Angaben von Teilnehmern die Pläne von Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium, wonach der Energie- und Klimafonds 2012 aus Bundesmitteln auf eine Milliarde Euro aufgestockt werden soll. Die vier großen Energieversorger hatten zuvor angekündigt, ihre Einzahlungen in den Fond zu stoppen. In dem Öko-Fonds sollen sich bisher nach Angaben des Finanzministeriums erst 75 Millionen Euro befinden. 2011 und 2012 sollten zusammen 600 Millionen Euro in den Fonds fließen, dann bis 2016 jährlich 200 Millionen.
Die CDU-Spitze bremste zunächst den Versuch, in der Frage des Ausstiegs schon vor Ende des Moratoriums zu Vorfestlegungen zu kommen. Umweltminister Norbert Röttgen hatte einen beschleunigten Ausstieg aus der Kernkraft gefordert und begrüßt, dass der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft selbst einen Ausstieg aus der Atomenergie bis 2020 angeboten hatte. Dies schaffe Planungssicherheit. Dieser Position schloss sich auch Bayerns Umweltminister Markus Söder an. "Deswegen sollte man versuchen, die gesamte Energiestrategie auf das Jahr 2020 auszurichten", sagte Söder.
"Ausstieg bis 2017 möglich"
Der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Jochen Flasbarth, hält einen Ausstieg aus der Atomkraft sogar bis 2017 für möglich. "Wir können es bis zum Jahr 2017 schaffen", sagte Flasbarth der "Frankfurter Rundschau". Sehr viel höhere Strompreise seien dabei nicht zu erwarten. Flasbarth zufolge können die acht alten Atomkraftwerke, die im Zuge des Moratoriums vom Netz genommenen wurden, "abgeschaltet bleiben." Ein Blackout sei dabei nicht zu befürchten. Um den Komplettausstieg bis 2017 zu schaffen, werde es eventuell nötig sein, neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien noch einige zusätzliche Gaskraftwerke zu bauen, erklärte der Energieexperte.
"Wer am lautesten und schnellsten nach Jahreszahlen ruft, greift zu kurz", betonte dagegen CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nach der Sitzung von Präsidium und Bundesvorstand. Man dürfe nicht die drei großen Ziele gegeneinander ausspielen: Deutschland als wettbewerbsfähigen Industriestandort zu erhalten sowie die Klimaschutz- und die Haushaltsziele zu erreichen. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert, EU-Energiekommissar Günther Oettinger und Fraktionschef Volker Kauder mahnten, vor den Empfehlungen etwa der eingesetzten Ethik-Kommission zur Energiewende dürften keine Entscheidungen gefällt werden.
Merkel wiegelt ab
Man befinde sich mitten im dreimonatigen Atom-Moratorium, sagte Seibert. "Jetzt kann natürlich nicht die Zeit sein, dieses oder jenes Einzelthema als das große Hindernis herauszupicken." Anfang Juni würden auch die finanziellen Auswirkungen geklärt. "Die Bundesregierung hat die Entscheidungen der Kernkraftwerksbetreiber, die Zahlungen vorerst einzustellen beziehungsweise sie auf ein Sperrkonto zu überweisen zur Kenntnis genommen", sagte Seibert auch im Namen von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Eine der großen Streitfragen innerhalb der schwarz-gelben Koalition ist, wer die erwarteten Mehrkosten für ein schnelleres Umschwenken von der Kernenergie auf Erneuerbare Energien bezahlen soll. Unumstritten scheint dabei, dass aus dem Bundeshaushalt zusätzliches Geld etwa in die Erforschung und den Bau von Stromnetzen und -speichern fließen muss.
Röttgen und Brüderle legen vor
Der gemeinsame Sechs-Punkte-Plan von Umwelt- und Wirtschaftsministerium geht von einem zusätzlichen Finanzierungsbedarf von rund vier Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode aus. Dem Entwurf zufolge soll der Umstieg auf erneuerbare Energien unter anderem durch die massive Förderung von Windparks vor der Küste und den Ausbau der Stromnetze beschleunigt werden. Das Thema der Finanzierung soll am Freitag auch beim Treffen von Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder besprochen werden.
Röttgen hatte sich am Wochenende für die dauerhafte Abkehr von der erst Ende 2010 beschlossenen Laufzeitenverlängerung für Atomkraftwerke ausgesprochen. Union und FDP müssten klar sagen: "Wir korrigieren unsere Beschlüsse vom vergangenen Herbst", sagte der CDU-Politiker der Zeitschrift "Super Illu". Bundeskanzlerin Merkel lehnt einen so klaren Bruch mit ihrer Politik bislang ab.
Schwarz-Gelb streitet
"Niemand soll glauben, der Umstieg sei kostenlos zu haben. Jede Regierung ist auch gut beraten, die sozialen Kosten im Blick zu haben und sich zu fragen, wer kann sich Energie noch leisten und wie viele Arbeitsplätze gehen verloren", sagte der FDP-Haushälter Volker Wissing. Auch der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Michael Meister, warnte: "Ein neues Gesamtkonzept wird nicht zum Nulltarif zu haben sein." Meister forderte, aber auch bestehende Förderungen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls umzuschichten.
FDP-Generalsekretär Christian Lindner betonte dagegen, es sei noch nicht über Zahlen oder Finanzierungsfragen gesprochen worden, "weil ja noch nicht klar ist, wie wird der Pfad sein" - etwa, zu welchem Zeitpunkt wie viel Kernenergie technisch ersetzt werden könne und wie die planerischen Voraussetzungen seien.
SPD fordert sofortige Abschaltung
Das gemeinsame Papier von Umwelt- und Wirtschaftsministerium stieß in der Opposition auf Kritik. Das SPD-Präsidium forderte die sofortige und dauerhafte Abschaltung der acht ältesten Atomkraftwerke, eine neue Endlagersuche auch in Süddeutschland und erhebliche Investitionen in mehr Energieeffizienz.
"Leider fehlen in dem bisher bekanntgewordenen Maßnahmenkatalog konkrete Zeitvorgaben für den Atomausstieg", kritisierte auch der Vorsitzende des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE), Björn Klusmann. "Ein verlässlicher Zeitrahmen ist aber für die Investitionsplanung der Erneuerbaren-Branche unerlässlich." Positiv sei die Ankündigung einer gemeinsamen Offensive von Bund und Ländern zur Ausweisung neuer Flächen für Windkraftanlagen. Die Ansätze im Bereich Energieeffizienz und Erneuerbare Wärme blieben jedoch weit hinter dem Erforderlichen zurück.
Zwischen 1990 und 2010 hat Deutschland den Anteil erneuerbarer Energien vervierfacht. Inzwischen liegt ihr Anteil am Stromverbrauch laut Statistischem Bundesamt bei 17 Prozent.
Quelle: ntv.de, rts/dpa