Dietmar Bartsch über den Zustand der Linken "Unsere Positionen sind mehrheitsfähig"
08.01.2011, 14:55 Uhr
Dietmar Bartsch ist stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linken.
Die Linke legt einen denkbar schlechten Start in das Wahljahr 2011 hin. Die Parteiführung ist nicht erst seit Gesine Lötzsch Einlassungen zum Kommunismus umstritten, die Umfragewerte stagnieren. Vize-Fraktionschef Dietmar Bartsch glaubt trotzdem an Erfolge seiner Parteien bei den zahlreichen Urnengängen des Jahres. Im Interview mit n-tv.de spricht er aber auch offen über die Probleme seiner Partei und fordert mehr Willen zur Geschlossenheit.
n-tv.de: Ihre Partei bewegt sich in der Wählergunst seit Wochen um die elf Prozent. Warum schlägt sich die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung nicht in mehr Zuspruch für Ihre Partei um?
Dietmar Bartsch: Als jemand, der die Zeit noch gut kennt, in der wir um fünf Prozent gekämpft haben, finde ich annähernd zweistellige Umfragewerte beachtenswert. Das ist ein Riesenerfolg, den man nicht kleinreden sollte. Bei allen Problemen, die wir haben, befinden wir uns jetzt in einer Situation, die wir vor zehn Jahren für undenkbar hielten. Trotzdem können wir zulegen. Ich wünsche mir, dass wir in diesem Jahr mehr von der Schwäche dieser Regierung und unseren politischen Angeboten profitieren können.
Welches sind denn die Ziele für dieses Jahr?
Wir haben zwei große Herausforderungen zu bewältigen. Die eine ist die Programmdebatte, die wir im Herbst zu einem neuen Parteiprogramm führen wollen. Ich wünsche mir eine lebendige, kontroverse Debatte, die in der Sache und kulturvoll, aber nicht um Personen geführt werden sollte. Wir brauchen diese Diskussion, weil niemand die fertigen Antworten auf die Frage hat, was demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert ist. Das ist die Schlüsselfrage, um die sich vieles drehen muss.
Ihre Parteivorsitzende Gesine Lötzsch spricht nun vom Kommunismus als gesellschaftlicher Alternative. Ist der demokratische Sozialismus als Ziel Ihrer Partei damit passé?
Nein, ich bin mit Gesine Lötzsch einig, dass der demokratische Sozialismus als eine andere Ordnung der Gesellschaft, in der die Freiheit des Einzelnen die Voraussetzung für die Freiheit aller ist, Ziel der Linken ist und bleibt. Neben diesem Ziel ist der demokratische Sozialismus für uns gleichzeitig ein Wertesystem und der Weg, den wir gehen wollen.
Die zweite große Herausforderung sind die sieben Landtagswahlen. In Hamburg wollen und können wir zulegen, in Sachsen-Anhalt stärkste Partei werden, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erstmalig in die Landtage einziehen, in Berlin die rot-rote Koalition verteidigen. In meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern wollen wir die CDU aus der Regierungsverantwortung drängen. Auch in Bremen, wo wir dann erstmals in einem westdeutschen Bundesland über eine ganze Legislaturperiode vertreten gewesen sein werden, wollen wir hinzugewinnen. Diese beiden Herausforderungen werden auch der Maßstab für die weitere Entwicklung der Linken sein. Auf die bisherigen Ergebnisse des Projektes Die Linke können wir sehr stolz sein.
Wenn man aber auf die junge Partei Die Linke schaut, entstanden aus der vornehmlich ostdeutschen PDS und der überwiegend westdeutschen WASG hat man eher den Eindruck eines alten Ehepaares, das zusammenhält, sich aber ständig streitet.
D.B.: Streit um politische Fragen gehört dazu. Der Streit ist aber kein Ost-West-Konflikt. Da gibt es natürlich auch strittige Fragen, die man entscheiden muss. Aber wenn wir in Sachsen-Anhalt den Ministerpräsidenten stellen wollen, dann hat das politisch eine andere Akzentuierung als in Baden-Württemberg, wo wir erstmals in den Landtag einziehen wollen, zur Folge. Wenn dann aber der Eine oder Andere meint, eine bestimmte Richtung müsse obsiegen, da macht er einen Fehler. Die unterschiedlichen inhaltlichen und kulturellen Ansätze müssen wir produktiv machen. Aber es gibt mehr als 90 Prozent Verbindendes. Das ist entscheidend.
Ihre Partei hat Grundpositionen: Raus aus Afghanistan, weg mit der Rente mit 67, weg mit Hartz IV, bundesweiter Mindestlohn. Was ist sakrosankt, was wäre bei einer Koalition oder einem engerem Zusammengehen auf Bundesebene verhandelbar?
Es ist ja interessant, dass Positionen der Linken mehrheitsfähig geworden sind. Heute wollen alle Parteien, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht. Es geht nur noch um das Datum. Beim Mindestlohn gibt es in der Gesellschaft, und ich glaube auch im Parlament bald eine Mehrheit. Die Rente mit 67 wird auf den Prüfstand kommen. Hartz IV wird hier und da modifiziert. Da sollten wir als Linke stolz sagen, wir haben einiges bewirkt. Auch auf Bundesebene kommt es nicht nur auf drei, vier oder fünf Punkte an. Wir müssen von unseren politischen Vorstellungen möglichst viel durchsetzen. Das wäre gut für die Menschen und gut fürs Land.
Es ist völlig unbestritten: Wenn Die Linke jemals, und da sind wir weit von entfernt, in die Bundesregierung kommen sollte, wird natürlich ein gesetzlicher Mindestlohn durchgesetzt. Dazu gehören auch zukunfts- und armutsfeste Renten. Das wird in Angriff genommen werden müssen, aber nicht alles am ersten Tag. Dass wir dann schnellstmöglich aus Afghanistan heraus müssen, ist klar. Aber die Regierungsfrage stellt sich heute nicht. Sie entsteht auch nicht durch die Addition von Parteiergebnissen. Sie erwächst aus der Gesellschaft oder es gibt sie nicht. Wir müssen das eigene Profil schärfen und die Wahlergebnisse weiter verbessern. Wenn man hohe Wahlergebnisse hat, führt auch kein Weg an der Linken vorbei, wie wir in Berlin und Bandenburg gesehen haben.
Letzte Frage: Was bewegt Sie, wenn Sie an diesem Wochenende in Berlin-Friedrichsfelde Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts gedenken?
Das Gedenken an die feige Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist seit 1920 eine gute Tradition der Linken, wo wir den Stolz auf diese beiden Persönlichkeiten unserer Bewegung dokumentieren und die widersprüchliche Geschichte der Linken reflektieren. Gleichzeitig demonstrieren wir für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Freiheit.
Das Fernsehinterview sehen Sie am Sonntag, 09. Januar, um 09.15 Uhr bei n-tv.
Das Gespräch führte Manfred Bleskin
Quelle: ntv.de