Politik

Störfall im Münsterland Uran im Urin

Nach der Verstrahlung eines Arbeiters in der Uranfabrik in Gronau wissen die Ärzte noch nicht, ob mit Frühschäden zu rechnen ist. Umweltaktivisten sind der Auffassung, dass die nachgewiesenen Uran-Spuren auf eine "wesentlich schlimmere Kontamination" hindeuten. Der Protest gegen die Atompolitik der Bundesregierung wächst derweil.

Proteste in Duisburg gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung.

Proteste in Duisburg gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung.

(Foto: dpa)

Nach dem Störfall in Deutschlands einziger Uranfabrik in Gronau haben Mediziner Spuren von Uran im Urin eines radioaktiv verstrahlten Arbeiters nachgewiesen. Derzeit könne jedoch noch nicht gesagt werden, ob mit Frühschäden bei dem 45-Jährigen zu rechnen sei, sagte ein Sprecher des Universitätsklinikums in Münster. Erst am Montag könnten erste Aussagen dazu gemacht werden. Für eine langfristige Prognose sei es ohnehin zu früh.

Kontinuierlich würden weitere Proben von Blut, Speichel und Urin des Mannes zur Auswertung in das regionale Strahlenschutzzentrum nach Jülich geschickt. Dem Patienten, der seit dem Störfall am vergangenen Donnerstagnachmittag in der Klinik für Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Münster behandelt wird, gehe es weiterhin gut. Der Mann erhalte Infusionen und trinke viel, um die aufgenommenen Substanzen schneller auszuscheiden. Über seinen weiteren Aufenthalt in der Klinik wollen die Ärzte Anfang der Woche entscheiden.

Störfall im Münsterland

Die Urananreicherungsanlage der Urenco Deutschland GmbH in Gronau (Archivfoto 2003).

Die Urananreicherungsanlage der Urenco Deutschland GmbH in Gronau (Archivfoto 2003).

(Foto: dpa)

Der Arbeiter war bei dem Störfall in der Urananreicherungsanlage Gronau (UAG) laut Atomaufsicht durch freigesetztes Uranhexafluorid in noch unbekannter Menge an Armen und Beinen kontaminiert worden. Nach Angaben des behandelnden Arztes Professor Otmar Schober drohen bei einer Verstrahlung Schäden in Niere und Leber sowie in der Lunge durch Einatmen des Stoffes.

Schlimmer kontaminiert als zugegeben

Die nachgewiesenen Uran-Spuren deuteten auf eine "wesentlich schlimmere Kontamination" hin, als bisher zugegeben wurde, erklärte Willi Hesters vom Aktionsbündnis Münsterland. Die Staatsanwaltschaft müsse ermitteln, ob der Anlagenbetreiber Urenco seine Mitarbeiter angemessen geschützt habe.

Greenpeace verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass tödliche Risiken bei der Nutzung von Atomenergie nicht nur von Reaktoren, sondern von der gesamten Produktionskette ausgingen. In Gronau wird Uran zur Herstellung von Brennstäben für Atomkraftwerke angereichert. Aufschluss über die genaue Ursache des Zwischenfalls sollen Untersuchungen des TÜV bringen.

Die frühere nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) forderte eine "unabhängige Untersuchung" des Vorfalls. Es stelle sich die Frage, "ob Sicherheitsmaßnahmen nicht beachtet wurden", sagte Höhn dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Die Betreiber der Anlage hätten "immer wieder betont, dass die Urananreicherung absolut sicher sei". Höhn: "Mal wieder hat sich eine solche Behauptung in Luft aufgelöst."

Proteste gegen Atompolitik

Nach dem Zwischenfall wächst der Protest gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Regierung: An mehreren Orten mit Atomanlagen zogen am Wochenende hunderte Menschen auf die Straße. In Gronau demonstrierten Umweltschützer an der Uranfabrik für ein Festhalten am Atomausstieg. Aktivisten von Greenpeace projizierten den Schriftzug "Atomausstieg schützt!"

Nach Angaben des Bündnisses Münsterland gegen Atomanlagen demonstrierten Anti-Atomkraft-Initiativen und Umweltverbände aus Nordrhein-Westfalen gegen neue Atommülltransporte. In Duisburg versammelten sich demnach etwa 200 Menschen vor der Atommüll-Konditionierungsanlage in Wanheim, in Jülich zogen 150 Menschen zum Haupttor des Forschungszentrums. Von dort sollen ab dem Frühjahr 152 Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll in das Zwischenlager in Ahaus rollen.

Laufzeiten-Deal mit Energiekonzernen

Die Bundesregierung wies derweil Berichte zurück, nach denen die 17 deutschen Atommeiler vorerst alle am Netz bleiben sollen. Über die im Koalitionsvertrag vorgesehene Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken (AKW) sei auch bei der Sitzung mit Energieversorgern am Donnerstag keine Entscheidung gefallen, stellte ein Regierungssprecher klar.

Laut "Spiegel" sollen auch die alten Meiler Neckarwestheim 1 und Biblis A, die nach dem rot-grünen Atomkonsens bald abgeschaltet werden müssten, so lange weiterbetrieben werden, bis sich die schwarz-gelbe Regierung auf ein neues Energiekonzept verständigt habe. Dieses dürfe bis Oktober vorliegen. Um die Kraftwerke weiterlaufen zu lassen, sollen die Energiekonzerne laut "Spiegel" nicht verbrauchte Stromkontingente von anderen Anlagen auf Neckarwestheim und Biblis übertragen dürfen. Der Regierungssprecher verwies darauf, bereits nach geltendem Recht könnten Reststrommengen unter bestimmten Bedingungen übertragen werden, ohne dass es der Genehmigung der Bundesregierung bedürfe.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, sie wolle das Thema durch "Tricksen und Täuschen" verstecken. "Aber die schmutzigen Deals sind in Wahrheit alle schon gemacht: Die alten AKWs laufen weiter, die Atomlobby verdient Milliarden und ein paar hundert Millionen landen als Brosamen bei der Regierung". Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Thorsten Schäfer-Gümbel, erklärte zu dem "Spiegel"-Bericht, die Regierung mache sich "zum Handlager der Atomindustrie".

Brüderle (l) und Röttgen im Bundestag.

Brüderle (l) und Röttgen im Bundestag.

(Foto: AP)

Nach einem Bericht des "Focus" streitet die Koalition um die Dauer der Laufzeitverlängerung: Während Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) diese auf acht Jahre begrenzen wolle, wolle Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) auch die Varianten 15 bis 20 Jahre prüfen.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen