Harte Fronten im Tarifstreit Ver.di droht mit langem Streik
27.12.2002, 06:34 UhrKurz vor Beginn der Schlichtung im Tarifstreit des Öffentlichen Dienstes bleiben die Fronten weiter hart. Die Gewerkschaft ver.di beharrt auf ihrer Forderung nach mindestens drei Prozent mehr Lohn und Gehalt. BDI-Chef Michael Rogowski attackierte indes ver.di aufs Schärfste.
"Die drei muss vor dem Komma stehen", sagte der nordrhein-westfälische ver.di-Vorsitzende Hartmut Limbeck der "Bild"-Zeitung. Wenn sich die Arbeitgeber nicht bewegten, drohe ein "sehr, sehr langer Streik". Der Arbeitskampf könnte dann Mitte Januar beginnen.
Allerdings sollte ein Arbeitskampf nicht die Bürger, sondern die Arbeitgeber treffen, so Limbeck. "Dann kann es sein, dass in einzelnen Städten keine Knöllchen mehr geschrieben werden, in Schwimmbädern niemand kassiert, Fahrscheinprüfer in Bussen und Bahnen nicht mehr kontrollieren."
BDI: Ver.di wird radikale Klassemkampforganisation
BDI-Chef Rogowski attackierte die Gewerkschaft ver.di indes scharf. "Ver.di entwickelt sich immer mehr zu einer radikalen und demagogischen Klassenkampforganisation", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Mit ökonomischer Vernunft oder gesellschaftlicher Verantwortung habe die Forderung der Gewerkschaft nichts zu tun.
"Wenn die Kassen leer sind, kann auch nichts zusätzlich verteilt werden", betonte Rogowski mit Blick auf die Finanzkrise der öffentlichen Hand. "Oder will ver.di die Politik nötigen, die Steuern für Bürger und Unternehmer noch mehr zu erhöhen?" Der BDI-Präsident schlug vor, die Personalkosten im öffentlichen Dienst einzufrieren. "Wenn man der Meinung ist, die Gehälter müssten steigen, dann geht das eben nur mit Stellenabbau." Mit dieser Linie sollte in der diesjährigen Tarifrunde begonnen werden. Die einzig gangbare Alternative wäre, dass die Gewerkschaften mithelfen würden, die öffentlichen Haushalte auf der Ausgabenseite zu sanieren.
Schlichtungsverfahren vor Jahreswechsel
Die 20-köpfige Schlichtungskommission will sich erstmals am kommenden Samstag treffen. Über den Ort bewahren die Beteiligten noch Stillschweigen. Voraussichtlich werden die Verhandlungsführer in Norddeutschland zusammenkommen. Als Schlichter sind der ehemalige Bremer Bürgermeister Hans Koschnick und der frühere Leipziger Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube benannt worden.
Aussperrung möglich
Der Verhandlungsführer der Bundesländer, Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU), schloss für den Fall eines Streiks im öffentlichen Dienst auch Aussperrungen nicht völlig aus. Ein solcher Schritt sei allerdings nur in Einzelbereichen möglich, sagte Faltlhauser der „Süddeutschen Zeitung“. „Die Waffengleichheit der Tarifparteien ist im öffentlichen Dienst praktisch nicht gegeben.“ Zugleich warf Faltlhauser der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit Blick auf einen möglichen Streik Erpressung vor. Im öffentlichen Dienst wurde bislang nur 1974 und 1992 flächendeckend gestreikt.
Grundzüge des Tarifkonflikts
Die Tarifverhandlungen für die drei Millionen Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes waren am 19. Dezember für gescheitert erklärt worden. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Tarifunion des Deutschen Beamtenbundes (DBB) fordern Einkommensverbesserungen von mehr als drei Prozent und eine Anpassung der Osttarife an das Westniveau bis 2007. Die Arbeitgeber, die zunächst eine Nullrunde anstrebten, boten eine zweistufige Erhöhung um 0,9 und 1,2 Prozent an. Für die Anpassung der Osteinkommen nannten sie keinen Termin.
Der Verhandlungsführer der DBB-Tarifunion, Robert Dera, beurteilte die Chancen für ein erfolgreiches Schlichtungsverfahren mit 50 zu 50. Die Positionen lägen sehr weit auseinander. „Das Angebot der Arbeitgeber war für uns absolut unannehmbar, sagte Dera in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Dera bekräftigte die Streikbereitschaft. „Die Beschäftigten sind stinksauer und würden sicherlich einem Streikaufruf folgen“, sagte er.
Ost-West-Angleichung
Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) unterstützte die Position von Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), der eine Angleichung der Osteinkommen nur für möglich hält, wenn die West-Einkommen moderat erhöht würden. Eine solche Angleichung ist für Stolpe aber auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. „Den Menschen, die die gleiche Arbeit leisten und nur wegen ihrer Biografie 90 Prozent bekommen, stehen 100 Prozent zu“, sagte Stolpe der „Thüringer Allgemeinen“ SPD und Grüne hatten in ihrem Koalitionsvertrag eine Anpassung bis 2007 vereinbart.
Der Verhandlungsführer für die neuen Länder, Sachsens Finanzminister Horst Metz (CDU), hofft auf „Vernunft bei den Gewerkschaften“. „Die verheerende Haushaltslage ist ihnen bekannt“, sagte er der dpa. Er könne keine seriöse Aussage darüber treffen, in welchem Zeitraum diese Tarifangleichung überhaupt möglich sei. Die desolate Finanzlage erlaube keine Sprünge mehr.
Quelle: ntv.de