Prozess nach Journalisten-Mord Verdächtige als Polizeispitzel?
02.07.2007, 20:00 UhrGut sechs Monate nach der Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink müssen sich in Istanbul 18 Verdächtige vor Gericht verantworten. Da der mutmaßliche Todesschütze ein Jugendlicher ist, findet das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Anwälte sagten jedoch, zwei der Hauptverdächtigen hätten erklärt, sie hätten für die Sicherheitskräfte gearbeitet. Der mutmaßliche Schütze habe sich nicht geäußert.
Ein Angeklagter, der den Schützen eine Waffe und Geld besorgt haben soll, habe in rund 20 Briefen an Gerichtsvertreter und die Polizei seine Verbindungen zu den Sicherheitskräften beschrieben, erklärte sein Anwalt. "Die Polizei hat uns manipuliert, jetzt sollte sie uns schützen", zitierte Anwalt Fuat Turgut aus den Briefen. Der zweite Hauptverdächtige, der Drahtzieher des Mords sein soll, sagte dem Vernehmen nach vor Gericht aus, die Polizei habe ihn als Spitzel bezahlt.
In der Nähe des Gerichtsgebäudes demonstrierten hunderte Menschen für eine gerechte Bestrafung der Täter. Auf einem Transparent erklärten sie: "Wir sind alle Zeugen, wir wollen Gerechtigkeit."
Dink wurde am 19. Januar in Istanbul erschossen. Die Tat wurde international scharf verurteilt und löste in der Türkei eine Debatte über die Meinungsfreiheit und das Verhältnis des Staats zu den Nationalisten aus. Diese sahen in Dinks Äußerungen zum türkischen Vorgehen gegen Armenier im Ersten Weltkrieg eine Verunglimpfung des Türkentums. Dink hatte die damaligen Ereignisse wiederholt als Völkermord gebrandmarkt und sich zugleich für eine Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien eingesetzt. Kritiker beschuldigten die Behörden, auf Berichte über die geplante Tötung Dinks nicht reagiert zu haben.
Nach dem Mord wurden der Gouverneur und der Polizeichef der Stadt Trabzon, der Heimat des mutmaßlichen Schützen, wegen Fahrlässigkeit ihres Amtes enthoben. Sicherheitsbeamte, die sich mit dem Beschuldigten und einer türkischen Flagge fotografieren ließen, wurden ebenfalls entlassen.
Viele Türken sind von der Existenz eines Netzwerks staatlicher Agenten oder Exbeamten mit möglichen Verbindungen zur organisierten Kriminalität überzeugt, das immer wieder Reformkräfte oder andere vermeintliche Feinde im Namen des Nationalismus ins Visier nehme. "Dieser Prozess wird ein Test dafür sein, ob dieser Sumpf ausgetrocknet wird oder nicht", sagte die Anwältin Kezban Hatemi, die Dinks Familie vertritt. Der Anklage fehlten Beweise, die echten Schuldigen müssten noch gefunden werden.
Quelle: ntv.de