Politik

EU-Vertrag vor Gericht Verfassungsrichter skeptisch

Das Bundesverfassungsgericht wird den EU-Reformvertrag von Lissabon intensiv daraufhin überprüfen, ob er die Souveränität Deutschlands zu stark einschränkt. Das wurde bei einer Anhörung in Karlsruhe deutlich. Mit kritischen Nachfragen brachten mehrere Richter des Zweiten Senats ihre Skepsis gegenüber einzelnen Punkten des Vertragswerks zum Ausdruck, das Anfang 2010 in Kraft treten soll.

Mit Blick auf die Übertragung weiterer Kompetenzen auf die EU sagte Udo Di Fabio: "Ist der Gedanke des 'Immer mehr' in der Tendenz nicht freiheitsgefährdend?" Sein Kollege Rudolf Mellinghoff warf die Frage auf, ob die EU womöglich schon in der Vergangenheit ihre Zuständigkeiten "in extensiver Weise" interpretiert habe. Richter Herbert Landau äußerte sich skeptisch zu neuen EU-Befugnissen im Strafrecht, dessen Vorschriften doch eigentlich zum "Kernbereich" staatlicher Gesetzgebung gehörten.

Mehr oder weniger Demokratie

In der Anhörung, die am Mittwoch fortgesetzt wird, standen sich EU-Kritiker und Bundesregierung mit fundamental gegensätzlichen Auffassungen gegenüber. So warnen die Kläger vor einer grundlegenden Neuordnung der EU, die mit einem wachsenden Demokratiedefizit und einer Aushöhlung staatlicher Souveränität einhergehe. Aus Sicht der Regierung ist das im Dezember 2007 unterzeichnete Vertragswerk lediglich eine logische Weiterentwicklung der EU. Sie führe nicht zu weniger, sondern zu mehr Demokratie in Europa.

"Der Vertrag von Lissabon stärkt die demokratischen Grundlagen der Europäischen Union nachdrücklich", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Auftakt der zweitägigen Anhörung in Karlsruhe. Er bekräftigte zudem die Notwendigkeit, die Arbeit der EU effizienter zu gestalten: "Dauerhafte Handlungsfähigkeit für eine EU mit 27 Mitgliedstaaten wird es mit den hergebrachten Regeln einer Union von 12 oder 15 Mitgliedern nicht geben." Auch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte das Projekt. "Der Vertrag beeinträchtigt die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht."

Bunte Klägerschar

Gegen den Vertrag vor Gericht gezogen sind eine Gruppe um den Ex-Europaparlamentarier Franz Ludwig Graf von Stauffenberg (CSU), der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, die Linksfraktion sowie Klaus Buchner, Vorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP).

Der Vizepräsident des Gerichts, Andreas Voßkuhle, stellte klar, das allein um die Vereinbarkeit des Vertrags mit dem Grundgesetz gehe: "Die europäische Idee als solche steht hier und heute hingegen nicht zur Verhandlung." Verfahrensbeteiligte erwarten, das Gericht könnte - sollte es einzelne Punkte für verfassungswidrig halten - dem Bundestag Änderungen am deutschen Zustimmungsgesetz aufgeben, anstatt den Vertrag insgesamt zu beanstanden. Ein Urteil wird frühestens im Sommer erwartet.

Drei Entscheidungen fehlen noch

Bundespräsident Horst Köhler hatte seine Unterschrift unter den Vertrag mit Rücksicht auf Karlsruhe vorerst zurückgestellt. Neben Deutschland haben auch Polen, Tschechien und Irland den Vertrag noch nicht ratifiziert. In Irland scheiterte der Vertrag in einem Referendum. Der tschechische Senat verschob die Debatte über den Vertrag auf den April. Sollten Deutschland und Tschechien zustimmen, dürfte Irland ein neues Referendum ansetzen.

Gauweilers juristischer Vertreter Dietrich Murswiek nannte den Vertrag "wirklich revolutionär". Durch ihn erhalte die EU zahlreiche zusätzliche Befugnisse und werde so einem Staat immer ähnlicher. Zugleich werde der Einfluss des deutschen Bundestags auf die europäische Gesetzgebung drastisch verkürzt. Der Wille der Wähler werde aber auch über das EU-Parlament nicht angemessen zur Geltung gebracht: "Das EU-Parlament ist weit davon entfernt, ein demokratisch gewähltes Parlament zu sein."

Die Linksfraktion im Bundestag befürchtet, dass das Sozialstaatsgebot im Grundgesetz ausgehebelt wird. Fraktionschef Oskar Lafontaine beklagte, dass in der EU eine "marktradikal verfasste Wirtschaftsordnung" festgeschrieben werde. Der Reformvertrag beschneide zudem das alleinige Recht des Bundestags, über Einsätze der Bundeswehr zu entscheiden.

Quelle: ntv.de

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