"Elektronischer Exhibitionismus" Versäumnisse beim Datenschutz
24.04.2007, 12:49 UhrDer Schutz der persönlichen Daten des Bürgers ist in den vergangenen Jahren zu Gunsten des Schutzes vor Terror und Kriminalität immer mehr eingeschränkt worden. Dies machte der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung Peter Schaar in seinem Tätigkeitsbericht 2005-2006 deutlich, der in Berlin vorgestellt wurde. Der Bundesregierung wirft Schaar darin massive Versäumnisse beim Datenschutz vor, dieser werde "sträflich vernachlässigt". Zugleich nehme die Neigung vieler Bürger zum "elektronischen Exhibitionismus", zur Zurschaustellung persönlicher Lebensumstände und -daten in elektronischen Medien, zu.
Das Grundrecht auf Datenschutz habe nicht mit dem technologischen Fortschritt mithalten können, sagte Schaar. Technologisch sei eine Totalüberwachung heute bereits möglich. Das Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Bürgers vor Terror und Kriminalität und dem Schutz seiner Freiheit drohe zu kippen. Eine Überprüfung beim neuen Zentrum für Terrorabwehr in Berlin habe ergeben, dass dort - mehr oder weniger ungeprüft - an die 100 Datensätze von Bürgern aus Polizeibeständen an den Verfassungsschutz weitergereicht worden seien. Die Bürger seien bei der Polizei etwa wegen Trunkenheit auffällig geworden.
Zweck und Zielgruppen nicht definiert
Massiv kritisierte Schaar die derzeitige Debatte über eine Online-Durchsuchung privater Computer. Weder sei der Zweck klar definiert noch die Zielgruppe. "Nebulös ist schließlich auch, wie das Ganze ablaufen soll." Er sei erschrocken, mit welcher Vehemenz die Online-Durchsuchung trotzdem gefordert werde. Der Staat müsse die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers wieder in den Mittelpunkt seines Handelns stellen.
Schutz gegen Telefonmarketing
Zugleich machte Schaar deutlich, dass die Datenbegehrlichkeiten auch in der Privatwirtschaft zunähmen. Gerade beim aggressiven Telefonmarketing enthalte der Staat dem Bürger einen angemessenen Schutz vor. Aber nicht nur das Marketing werde aggressiver, sondern auch die Risikobewertung potenzieller Kunden, das so genannte Scoring. Diese Datenverwendung führe mehr und mehr zur Ausgrenzung vieler Menschen.
Schaar warnte vor der zunehmenden freiwilligen Offenlegung privater Daten in elektronischen Medien. Dort einmal preisgegebene Lebensdaten könnten einen Menschen beispielsweise bei der Suche nach Arbeit wieder einholen. Dieser könnte dann seine "Freizügigkeit möglicherweise verfluchen".
"Breite Datenschutzdebatte"
Schaar widersprach trotzdem der Darstellung, der Bürger stehe dem Datenschutz relativ desinteressiert gegenüber. Die Diskussion darüber sei keineswegs auf dem Tiefpunkt angelangt. Ganz im Gegenteil gebe es erstmals seit den Auseinandersetzungen in den 80er Jahren während der damaligen Volkszählung wieder eine "breite Datenschutzdebatte". Voraussetzung für den Datenschutz des Bürgers sei dessen Bewusstsein. Und dieser müsse letztlich selbst entscheiden, ob er etwa bei einer Rabattaktion seine Daten preisgebe, nur um "eine Bratpfanne fünf Euro billiger zu bekommen".
Online-Durchsuchungen nicht zulässig
Der FDP-Rechtsexperte Max Stadler appellierte an Bund und Länder sowie an die Verfassungsschutzämter, Online-Durchsuchungen mindestens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes auszusetzen. In jedem Fall müsse sich der Gesetzgeber "dieser Materie dringend und grundsätzlich annehmen", forderte er in der "Leipziger Volkszeitung". Grundsätzlich sind Online-Durchsuchungen nicht zulässig. Behördenvertreter und Regierungsstellen bestätigten aber, dass Verfassungsschutzämter "auf Basis von internen Dienstanweisungen" Online-Durchsuchungen bereits durchführten, schreibt die Zeitung.
Quelle: ntv.de