Politik

Zahlen eine "dreiste Lüge" Versagen in Afghanistan

Der Chef des Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz, hat der Bundesregierung Versagen in der Afghanistan-Politik vorgeworfen. "Wann immer gefordert wurde, die Deutschen müssten auch in den (stärker umkämpften) Süden gehen, wurde viel zu defensiv reagiert", kritisierte Gertz im Interview mit n-tv.de.

"Die Bundesregierung hätte sagen müssen: Wir haben die richtige Strategie, die muss in ganz Afghanistan angewandt werden, soweit das möglich ist", so Gertz weiter. "Wir gehen deshalb nicht in den Süden, weil wir nicht an einem 'War on Terror' teilnehmen wollen, wie ihn unsere Verbündeten dort führen." Mit dieser Position werde Deutschland allerdings nur dann ernst genommen, "wenn wir beim Wiederaufbau klotzen statt zu kleckern".

Der Grünen-Sicherheitsexperte Winfried Nachtwei schloss sich der Kritik im selben Interview an. "Von der Komplexität, von den Kosten und von den blutigen Risiken her ist Afghanistan die größte Herausforderung, die es je für die bundesdeutsche Außenpolitik gab. Das hat die Bundesregierung noch immer nicht erkannt."

"USA vergiften die Stimmung"

Im Oktober soll der Bundestag über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats befinden. Nachtwei signalisierte die Zustimmung der Grünen, forderte jedoch eindringlich, den zivilen Wiederaufbau in das Mandat aufzunehmen.

Auch Gertz betonte, das neue Afghanistan-Mandat müsse deutlich machen, "dass es um mehr geht als den Einsatz der Bundeswehr". Derzeit gebe es ein Missverhältnis zwischen den Kosten der militärischen Präsenz und dem eigentlichen Ziel, dem zivilen Wiederaufbau. "Insbesondere unsere Verbündeten aus den USA, aus Kanada und aus Großbritannien sind leider der Meinung, man müsse die Regionen vor dem Wiederaufbau militärisch 'säubern', sie 'clean' machen. Beim Säubern bringt man allerdings so viele unbeteiligte Zivilisten um, dass man die Stimmung dramatisch vergiftet."

"Eine dreiste Lüge"

Übereinstimmend kritisierten Nachtwei und Gertz, dass der Aufbau einer Polizei in Afghanistan von Deutschland stark vernachlässigt werde. Wenn Deutschland lediglich 40 Beamte zur Ausbildung von afghanischen Polizisten entsende, sei das "nur ein Tropfen auf den heißen Stein", so Nachtwei.

Gertz warf dem Innenministerium vor, mit falschen Angaben zu operieren. So ist in einer aktuellen Veröffentlichung der Bundesregierung zum Thema Afghanistan davon die Rede, dass seit 2002 rund "22.000 Polizisten mittlerer und höherer Dienstgrade" aus- und fortgebildet worden seien. "Ich halte das für eine dreiste Lüge", sagte Gertz. "Und das ist noch sehr freundlich formuliert." Wenn er "im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung lese, wie man das deutsche und internationale Versagen in diesem Bereich schön schreibt, dann kommt mir die Suppe hoch". Ein Anzeichen dafür, wie sehr die Polizeiarbeit von der Bundesregierung vernachlässigt werde, sei, dass der zuständige Innenminister Wolfgang Schäuble "bislang nicht ein einziges Mal" in Kabul gewesen sei.

Das Innenministerium wies den Vorwurf, falsche Zahlen zu veröffentlichen, zurück. Gertz' Kritik werde "auch durch ständiges Wiederholen nicht richtig", sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur ddp.

Eindringlich warnten Nachtwei und Gertz davor, Afghanistan sich selbst zu überlassen. "Wenn die Taliban in Afghanistan wieder an die Macht kommen, dann gnade uns Gott", sagte Gertz. Nachtwei erklärte, es müsse in weniger als zehn Jahren zu einer selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan kommen. Ein längeres Engagement der internationalen Truppen in dem Land würde sowohl Afghanistan als auch den Westen überfordern.

Quelle: ntv.de

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