Machtkampf in Italien entschieden Verschrotter verdrängt Aussitzer
13.02.2014, 23:54 Uhr
Enrico Letta und Matteo Renzi sind Vertreter der jungen Generation der Demokratischen Partei. Dennoch sind sie grundverschieden. Nun schiebt der zu Reformen drängende Renzi den Kompromisskandidaten Letta ins Abseits.
Es ist natürlich keine Palastrevolte, die Enrico Letta nun gestürzt hat. Kein Kampf zweier Streithähne aus der Toskana, für italienische Verhältnisse ungewöhnlich jung. Der eine, der Mann aus Pisa, der 47-jährige Enrico Letta, muss den Regierungspalast Chigi im Zentrum Roms nun für den eben erst 39 Jahre alt gewordenen Matteo Renzi, bis jetzt noch Bürgermeister von Florenz, räumen. Beide gehören zur jungen Generation der Demokratischen Partei (PD), die aus dem Zusammenschluss linker Christdemokraten und der Mehrheit gemäßigter Ex-Kommunisten Italiens hervorgegangen ist.
Weder Letta noch Renzi waren jemals Kommunisten, sondern stammen beide aus christdemokratischen Kreisen. Doch politisch sind sie grundverschieden, und das ist der wahre Hintergrund des Machtkampfes - sie vertreten völlig entgegengesetzte Linien.
Enrico Letta kam im April 2013 an die Regierungsmacht, weil er der beste Kompromisskandidat zwischen Demokraten und Berlusconis Partei der Freiheit war. Er galt als exzellenter Kenner der Staatsbürokratie, ein Kenner aller Verfahrenstricks, aber ohne wirklich eigene Vorstellungen. Genau der richtige Mann für den Job als Statthalter. Dazu hatte Letta einen unschätzbaren Vorteil: Er ist der Neffe des engsten Vertrauensmannes von Silvio Berlusconi, Gianni Letta, die graue Eminenz der italienischen Politik seit 40 Jahren. Lettas Regierung war zum Aussitzen verurteilt. Berlusconi stützte sie nur, weil er sich im Gegenzug die Amnestie für seine Strafverfahren versprach. Bis zu seiner endgültigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu vier Jahren und der Entfernung aus dem Senat.
Nun hatte die Regierung Letta jeden Nutzen für Berlusconi verloren. Seine Partei spaltete sich, ein kleiner Teil, gerade genug Senatoren, um die Regierung am Leben zu erhalten, blieb der Regierung treu - wohl eher dem Regierungssessel. In der ganzen Zeit verfasste die Regierung zahlreiche Eildekrete, fast 500, also eine scheinbar hochintensive Regierungstätigkeit, die aber in Wirklichkeit vollkommener Leerlauf war. Weniger als 10 Prozent der Regierungsbeschlüsse folgten auch die nötigen Ausführungsanordnungen der Ministerien ohne die jeder Beschluss reine Makulatur bleibt. Regieren, just for fun.
Letta wurschtelte weiter
Berlusconi hat das nie gestört, gar nicht einmal interessiert - sein Interesse war nur es gewesen, die Strafverfahren niederzuschlagen. Doch Lettas Regierung blieb im Leerlauf. Als Matteo Renzi im Dezember letzten Jahres dann plebiszitär bei der offenen Urwahl der PD-Anhänger mit über zwei Millionen Stimmen überraschend deutlich zum neuen Parteichef gewählt wurde, war auch Letta klar, dass er einen Gang zulegen musste. Stattdessen wurschtelte er weiter wie zuvor. Eine Lage, die Renzi nicht lange akzeptieren konnte.
Renzi war angetreten, um nicht nur seine Partei umzukrempeln, die alte kommunistische Nomenklatur zu verschrotten - als Verschrotter wurde er in Italien bekannt und beliebt -, sondern auch, um das Land umzukrempeln. Einen Mann seiner eigenen Partei eine Regierung der Aussitzer führen zu lassen, war ganz unmöglich. Noch als Parteichef fädelte er mit Berlusconi einen Deal ein: eine Wahlrechtsreform, die Italien am Abend nach der Wahl einen klaren Sieger geben soll. Berlusconi stimmte zu, wohl in der Hoffnung, sich wieder politische Glaubwürdigkeit zu verschaffen, aber sie muss noch durch beide Häuser des Parlaments. Auch will Renzi das italienische Oberhaus abschaffen, in eine Art Bundesrat umwandeln, die Anzahl der Parlamentarier von 930 auf 615 reduzieren.
Nun aber will Renzi alles wagen, wie er sagte. Nicht nur die Wahlrechtsreform, sondern auch noch den Arbeitsmarkt aufmischen, nach dem Vorbild der mitteleuropäischen Länder. Den Namen Hartz IV wagt hier niemand in den Mund zu nehmen, aber die Lockerung der Regeln ist ein Ziel, weil höhere Flexibilität eben auch mehr Arbeitsplätze bedeutet. Renzi aber weiß genau: Wenn er den Arbeitsmarkt revolutionieren will, muss der Mann aus Florenz direkt das Kommando übernehmen.
Verwaltung ist ein Selbstbedienungsladen
Denn der Widerstand wird enorm sein. Oder wenn es um die Staatsbürokraten geht. Verwaltungsleiter bekommen Jahresgehälter zwischen 200.000 und 300.000 Euro, Ministerialdirigenten nicht weniger. Die Verwaltung Italiens ist seit Jahren ein unfassbarer Selbstbedienungsladen geworden und die Bevölkerung hat man bislang über das ausgeuferte Rentensystem mit rein steuerfinanzierten Pensionen ruhig gestellt. Fast 300 Milliarden Euro zahlt die Rentenkasse Italiens aus, mit 120 Milliarden in den Miesen - Geld welches aus der Staatskasse zugeschossen werden muss, genauso wie das Gesundheitswesen den Steuerzahler jährlich 100 Milliarden Zuschuss kostet. Ein System, das einfach nicht mehr funktioniert.
Bedenkt man dazu noch, dass Italien 2013 knapp 90 Milliarden Zinsen zahlte, Tendenz steigend, dann weiß man, dass es eben kein "Weiter so" geben kann. Weiter so wäre der sichere Untergang. Anstatt also auf einen möglichen Wahlsieg in der Zukunft zu hoffen, setzt Renzi nun alles auf eine Karte. Selber regieren, mit einer wackeligen Mehrheit, ohne von den Menschen per Wahlen direkt legimitiert worden zu sein, quasi durch die Hintertür an die Macht.
Offenkundig ist Renzi zur Überzeugung gekommen, dass das Land keine Zeit mehr zu verlieren hat. Italien braucht heute eben keinen Ministerpräsidenten, der von sich sagt, er sei "Zen", wie es Letta als eine seine beste Eigenschaft ansieht, keinen neuen Siddharta, sondern einen Macher. Aber nun muss er liefern, die großen Reformen, oder er hat sein Ende unterzeichnet. O la va o la spacca.
Quelle: ntv.de