Politik

Angeblich alles anders Verwirrspiel im Fall Kurnaz

Einen Tag nach Veröffentlichung eines EU-Berichts zum Fall Murat Kurnaz, der die frühere Bundesregierung schwer belastet, sind plötzlich Zweifel an den Motiven für die Pakistan-Reise des Deutsch-Türken aufgetaucht. Auch in der Frage nach amerikanischen Angeboten zu Kurnaz' Entlassung gibt es Presseberichte, die - sofern sie stimmen - zur Entlastung der Regierung beitragen.

Die "Bild"-Zeitung und der Berliner "Tagesspiegel" berichten, das Landeskriminalamt Bremen sei von terroristischen Motiven ausgegangen, und auch US-Behörden hätten Zweifel an Kurnaz' Aussagen gehabt. Zudem hätten US-Stellen 2003 die Freilassung des Mannes abgelehnt. Noch 2002 war diese informell in Aussicht gestellt worden.

Diese Darstellung würde zu Aussagen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier passen. Steinmeier war unter Altkanzler Gerhard Schröder Chef des Kanzleramts und gilt als zentrale Figur in der Affäre.

Nebulöses aus Berlin

Das Angebot von 2002 war nach Darstellung der Bundesregierung allerdings nicht tragfähig. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg verwies auf die Presseberichte und sagte: "Was ein Angebot ausmacht, ist die Fähigkeit desjenigen, der ein Angebot äußert, dieses Angebot auch einzulösen."

Die "Bild"-Zeitung zitierte das LKA Bremen mit der Aussage, es bestehe Grund zur Annahme, dass der in der Hansestadt aufgewachsene Kurnaz mit den radikalen Taliban in Afghanistan gegen die USA kämpfen wollte. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz habe terroristische Motive angenommen. Von den Bremer Behörden gibt es bislang keine Stellungnahme zu dem Bericht. Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan festgenommen worden, wo er nach eigener Aussage den Koran studieren wollte.

"Nicht vollkommen ehrlich und mitteilsam"

Laut "Tagesspiegel" waren US-Ermittler nach einer Vernehmung von Kurnaz der Auffassung, Kurnaz sei nicht "vollkommen ehrlich und mitteilsam bezüglich seiner Abenteuer in Pakistan". Kurnaz' Anwalt Bernhard Docke hatte in der vorigen Woche im Untersuchungsausschuss erklärt, er könne diesen Eindruck nachvollziehen. Bewiesen sei aber, dass sich sein Mandant nichts habe zu Schulden kommen lassen und, dass das von der Bremer Staatsanwaltschaft wegen Terrorverdachts eingeleitete Verfahren wieder eingestellt wurde. Auch der FDP-Obmann im BND-Ausschuss, Max Stadler, sagte, es habe am Anfang Verdachtsmomente gegeben, aber die seien "später eben nicht erhärtet worden".

"Kooperationsbereitschaft extrem hoch"

Noch am Dienstag hatte die Deutsche Presse-Agentur einen BND-Bericht vom 26. September 2002 zitiert, aus dem hervorgeht, dass es im Fall Kurnaz eine enge Abstimmung zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten gab. Der deutschen Seite sei angeboten worden, die Freilassung von Kurnaz so darzustellen, also ob sie von deutschen Stellen durchgesetzt worden sei. In dem Bericht heißt es, die USA "sehen die Unschuld von Murat Kurnaz als erwiesen an". Die "Kooperationsbereitschaft" des Häftlings sei "extrem hoch".

Sinneswandel im Jahr 2003?

Der "Tagesspiegel" berichtet weiter, dass sich die US-Behörden schon im Februar 2003 gegen die Entlassung von Kurnaz aus Guantanamo gewandt hätten. "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird seiner Verlegung aus Guantanamo nicht zugestimmt", zitiert die Zeitung eine Mitteilung des CIA-Verbindungsbeamten in Berlin an das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 24. Februar 2003.

Kein "offizielles" Angebot

Der Regierung Schröder wird vorgeworfen, sie habe Kurnaz' Freilassung aktiv blockiert, obwohl ihr dessen Unschuld bekannt gewesen sei. Steinmeier hatte am Dienstag in einer ersten Stellungnahme darauf verwiesen, man müsse das damalige politische Umfeld nach den Anschlägen vom 11. September beleuchten, als es große Angst vor neuen Anschlägen gab. Weiter sagte der SPD-Politiker, er kenne kein "offizielles Angebot" dieser Art.

In einem vertraulichen Bericht der Bundesregierung heißt es, die USA hätten im Herbst 2002 nachgefragt, ob Kurnaz nach Deutschland oder in die Türkei abgeschoben werden solle. BND, Kanzleramt und Bundesinnenministerium hätten sich für eine Abschiebung in die Türkei und eine Einreisesperre für Deutschland ausgesprochen.

Nach einem Bericht des "Stern" beschwerte sich der Leiter der US-Nachrichtendienste in München im November 2002 bei einem hochrangigen BND-Mitarbeiter, dass die Deutschen Kurnaz die Rückkehr in die Bundesrepublik verweigerten. "Im Fall Kurnaz hätte eine andere Entscheidung im Interesse der USA gelegen", habe daraufhin ein BND-Mitarbeiter an den damaligen Präsidenten seines Amtes und heutigen Innenstaatssekretär, August Hanning, geschrieben.

"Angebot mit Goldrand und Staatswappen"

Steinmeiers Äußerungen vom Dienstag stießen bei der Union auf Skepsis. "Man kann sich nicht darauf zurückziehen, dass die Amerikaner Deutschland kein verbindliches Angebot zur Freilassung gemacht hätten", sagte der Vorsitzende des BND-Untersuchungsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), den "Bremer Nachrichten". Nachdem auch deutsche Ermittler von Kurnaz' Unschuld überzeugt gewesen seien, habe sich die Regierung aktiv um dessen Schicksal kümmern müssen.

Skepsis kam selbst vom früheren Koalitionspartner der SPD. "Ich hab keine Zweifel an seiner persönlichen Integrität, aber ich habe Zweifel an seinem Informations-Verwirrspiel", sagte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer bei n-tv. "Auch dass jetzt darüber spekuliert wird, was für ein Angebot es von den Amerikanern gab. Ich frage mich: Muss da ein Goldrand dran sein und irgendwie ein Staatswappen drauf, damit es ein offizielles Angebot ist?"

Kritik am EU-Bericht

Allerdings zog Kauder den Bericht des Europaparlaments in Zweifel, wonach die Bundesregierung 2002 ein Angebot zur Freilassung von Kurnaz ausschlug. "Dort wird mehr hineingeheimst als das bei uns denkbar ist", sagte er im Deutschlandfunk. Kauder bekräftigte, Steinmeier könne aus organisatorischen Gründen frühestens Anfang März im Ausschuss aussagen. Vertreter von FDP, Grünen und Linkspartei kritisierten die Informationspolitik des Ministers, der von der SPD erneut verteidigt wurde.

Kurnaz war im November 2001 in Pakistan festgenommen und US-Soldaten in Afghanistan übergeben worden. Von dort aus wurde er im Februar 2002 in das US-Gefangenenlager Guantnamo gebracht, wo er bis August 2006 ohne Prozess saß und gefoltert wurde.

Quelle: ntv.de

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