Eröffnung der Loja Dschirga Verwirrung in Kabul
11.06.2002, 00:00 UhrDer Chef der afghanischen Übergangsregierung, Hamid Karsai, hat nach Angaben seines Sprechers irrtümlich angenommen, zum Präsidenten des Landes gewählt worden zu sein.
Die Situation nach der Eröffnungssitzung sei verwirrend gewesen, sagte der Sprecher. Karsai habe angenommen, der Applaus der Delegierten bedeute, dass er zum Präsidenten gewählt worden sei. Später habe er herausgefunden, dass dies falsch gewesen sei. Zuvor hatte Karsai der Nachrichtenagentur Reuters erklärt, er sei von der Vertretung der afghanischen Völkerschaften zum neuen Präsidenten des Landes gewählt worden.
Rund 1.550 Vertreter der afghanischen Völkerschaften waren in der Hauptstadt Kabul zur Großen Versammlung, der Loja Dschirga, zusammengekommen, um in den nächsten Tagen eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Das Treffen hatte mit eintägiger Verspätung begonnen.
Der EU-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Klaus Klaiber, äußerte sich zufrieden mit dem Auftakt der Loja Dschirga. Der erste Tag sei "sehr geordnet abgelaufen, die Sicherheit war garantiert", sagte er in der ARD. Die Vorbereitungen zu dem Treffen seien zwar "nicht so demokratisch abgelaufen wie im Vorfeld von Bundestagswahlen". Aber Europa könne nicht erwarten, dass sich die Demokratie in Afghanistan in wenigen Monaten etabliere.
Karsais Rede
Karsai rief in seiner Rede zu einem Neuanfang nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg auf. "Die Menschen wollen ein Ende all dieser Gräuel ", sagte Karsai, der einen traditionellen paschtunischen Turban trug.
Sowohl Ex-König Mohammed Sahir Schah (87) als auch der einflussreiche Anführer der Nordallianz und frühere Präsident, Burhanuddin Rabbani, hatten ihre Kandidatur für das Amt des Regierungschef zurückgezogen. In seiner Eröffnungsrede der Loja Dschirga schlug der frühere König Karsai als Präsidenten vor. "Ich möchte erklären, dass ich seine Kandidatur unterstütze", sagte Sahir Schah. Auch Rabbani sagte, er unterstütze jetzt Karsai.
Sahir Schah hatte sich zunächst bereit erklärt, eine mögliche Wahl zum Präsidenten anzunehmen, dann aber - nach Ansicht von Beobachtern auf Druck der USA - auf die Kandidatur verzichtet. Der Streit um das Präsidentenamt und organisatorische Probleme hatten zur Verschiebung der Loja Dschirga um einen Tag geführt.
Freie Wahlen und neue Verfassung
Hauptaufgabe der Loja Dschirga ist die Wahl einer neuen Übergangsregierung, die 18 Monate lang amtieren und freie Wahlen vorbereiten soll. Außerdem soll sie eine neue Verfassung ausarbeiten. Der Loja Dschirga gehören rund 1.550 Delegierte aus verschiedenen Provinzen und Volksgruppen an. Die Einberufung der Versammlung wurde auf der Bonner Afghanistan-Konferenz im November vergangenen Jahres vereinbart..
Beschützt werden die Teilnehmer der Loja Dschirga von afghanischen Polizisten und Soldaten sowie der internationalen Schutztruppe ISAF. Die Teilnehmer waren in den vergangenen Wochen im ganzen Land gewählt worden. Sie sollen der neuen Übergangsregierung eine gewisse demokratische Legitimität verleihen, bis mit einer neuen Verfassung und allgemeinen Wahlen in zwei Jahren der Übergang zur Demokratie vollzogen wird.
Der UN-Gesandte Lakhdar Brahimi hatte die Vorbereitungen zur Loja Dschirga als weitgehend gelungen gelobt. Mit Blick auf Berichte über Korruptions- und Einschüchterungsvorwürfe sagte er bei einem Besuch des Konferenzorts in Kabul : "Es konnte nicht perfekt sein". Der Fortschritt, den das von jahrelangem Krieg geprägte und mit demokratischen Strukturen kaum vertraute Afghanistan vorweisen könne, sei aber beträchtlich.
Quelle: ntv.de