Politik

Einkindpolitik wird gelockert Viele Chinesen wollen gar nicht mehr Kinder

Ein Vater in Schanghai trägt seine kleine Tochter auf dem Arm. Mädchen sind wegen der Einkindpolitik gegenüber Jungen in der Unterzahl.

Ein Vater in Schanghai trägt seine kleine Tochter auf dem Arm. Mädchen sind wegen der Einkindpolitik gegenüber Jungen in der Unterzahl.

(Foto: Reuters)

Die chinesische Regierung will Familien erlauben, unter bestimmten Bedingungen ein zweites Kind zu bekommen. Doch viele Eltern können sich das gar nicht leisten. Und in Zukunft gibt es noch ein anderes Problem: Es fehlen Frauen.

Für die chinesische Babyindustrie sind es gute Tage. Aktienkurse von Firmen, die Milchpulver, Kinderwagen oder Windeln produzieren, haben zugelegt, seit die Regierung eine weitere Lockerung der Einkindpolitik angekündigt hat. Sogar der Börsenwert einer Klaviermanufaktur zog an, weil viele Eltern in der Volksrepublik auf e ine große Musikkarriere ihres Nachwuchses hoffen und Investoren deswegen steigende Absätze der Instrumente erwarten. Kondomhersteller dagegen verloren an Börsenwert. Verhütung könnte bald für ein paar Millionen chinesische Paare zumindest zeitweise überflüssig werden. Die neue Regel lautet: Wenn ein Elternteil als Einzelkind aufgewachsen ist, darf die Familie ein zweites Kind in die Welt setzen. Bislang müssen beide Elternteile ohne Geschwister aufgewachsen sein, um als Ausnahme zu gelten.

Doch Verlautbarung und Durchsetzung einer Politik sind in China nicht dasselbe. Geburten kann die Partei zwar verhindern, sie zu befehlen ist schwieriger. "Eine weniger strenge Handhabe der Bevölkerungspolitik wird nur begrenzt für einen Anstieg der Geburtenrate sorgen", sagt Professor Mu Guangzong, der zur Bevölkerungsentwicklung Chinas an der Universität Peking forscht.

Das Leben ist zu teuer geworden

Von den aktuell in Frage kommenden 15 bis 20 Millionen Paaren werden viele wohl freiwillig auf ein zweites Kind verzichten, weil sie es sich nicht leisten können. Die Preise für Wohnungen in den Städten sind für die einfache Mittelklasse allenfalls noch am Stadtrand finanzierbar, wo die Infrastruktur schwach ist und das Pendeln zum Arbeitsplatz leicht drei bis vier Stunden pro Tag verschlingt. Mit einem Kind spüren junge chinesische Eltern meistens schon genug Verantwortung auf ihren Schultern. "Es müssen Anreize gesetzt werden für diese Paare", sagt Professor Ma. Das gehe nur über sozialen Wohnungsbau, bessere Kranken- und Rentenversicherungen sowie Zugang zu Bildung für alle ohne Zusatzkosten.

Viele Paare werden außerdem auf das Einverständnis der lokalen Behörden angewiesen sein, obwohl sie prinzipiell die Kriterien für ein zweites Kind erfüllen. Viele Prozesse haben sich in dem Riesenreich unabhängig vom politischen Willen in Peking verselbständigt. Die Einkindpolitik ist zu einer wichtigen Einnahmequelle von Landkreisen und Kommunen geworden. Wer mehr Kinder zeugt als erlaubt, muss dafür bezahlen. In manchen Fällen kommt es auch zu brutalen Zwangsabtreibungen in der fortgeschrittenen Schwangerschaft. Aber grundsätzlich werden Geldstrafen ausgesprochen, die sich am Verdienst der Eltern orientieren, aber auch willkürlich hoch angesetzt werden. So nehmen örtliche Behörden jedes Jahr etliche Milliarden Yuan zusätzlich ein, schätzen Experten.

Frauenmangel wird zu sozialen Spannungen führen

Ursprünglich war die Einkindpolitik vorgesehen, um die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand für alle zu schaffen. Wenn ein Staat weniger Bürger ernähren muss, dann bleibt für jeden ein bisschen mehr übrig, lautete das Kalkül der Chinesen in den 70er Jahren. Seit 1982 ist die Einkindpolitik sogar in der Verfassung der Volksrepublik verankert. Die Regierung sagt, es seien 400 Millionen Geburten verhindert worden. Einige Wissenschaftler bezweifeln diese Zahlen und argumentieren, die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen 30 Jahre habe die Geburtenrate auf natürliche Weise gedrosselt.

Heute kämpft China mit großen Problemen, die auch aus der Einkindpolitik resultieren. Der Frauenmangel, der durch die gezielten Abtreibungen von Mädchen entstanden ist, hat zu einem Überschuss an frustrierten jungen Männern geführt. Es wird befürchtet, dass diese Problem bald zu sozialen Spannungen führen wird. Ein weiteres Problem ist die Altersstruktur der chinesischen Bevölkerung, die immer älter wird. Inzwischen nimmt auch die Zahl an Arbeitskräften ab. "Eine Lockerung der Einkindpolitik wird dabei helfen, die chinesische Wirtschaft ins Gleichgewicht zu bringen", glaubt Zhang Xiaobo von der Columbia-Universität in Washington, der auch als Dozent in Peking arbeitet. Er glaubt, dass viele Familien ihr Geld zur Seite legen, um ihrem einzigen Sohn Heirat, Wohnung und Auto bezahlen zu können. Ohne solche Trümpfe ist es schwierig, in China eine Frau zu finden.

Der Chef der zuständigen Behörde, Wang Peian, erteilte kürzlich jeglichen Spekulationen über eine Abschaffung der gelenkten Familienpolitik eine Absage. "Die neue Regelung ist nicht gleichzusetzen mit dem Ende der Familienplanung. Die wird auch langfristig aufrecht erhalten", kündigte er an. Die Behörde für Familienplanung hat aufgrund ihrer Macht kein Interesse an der eigenen Auflösung und wird um ihr Überleben kämpfen.

Quelle: ntv.de

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