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Person der Woche: Xi Jinping  Vier Gründe, warum China ein Crash droht

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Der beinahe allmächtige Staatschef Xi steht vor großen Herausforderungen.

Der beinahe allmächtige Staatschef Xi steht vor großen Herausforderungen.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Einbrechende Exporte, eine Immobilienkrise und schwacher Konsum bremsen Chinas Wachstum. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt auf Rekordniveau. Die Zentralbank versucht gegenzusteuern. Doch die Probleme Chinas sind viel brisanter als offiziell zugegeben - und sie sind strategischer Natur. 

Chinas Wirtschaft gerät ins Straucheln. Peking strotzte jahrelang mit Wirtschaftswunderzahlen vor Selbstbewusstsein und Zukunftszuversicht. Nun scheint allenthalben der Rückwärtsgang eingelegt: Die Exporte sind im Mai im Jahresvergleich um 7,5 Prozent eingebrochen, die Importe schrumpften um 4,5 Prozent. Produktionen, Immobilienverkäufe, Einzelhandelsumsätze, Arbeitsmarkt - alles schwächelt. Im Mai erreichte die urbane Jugendarbeitslosigkeit mit 20,8 Prozent einen Rekordwert. Der Einkaufsmanagerindex rutschte im Mai auf den niedrigsten Stand seit fünf Monaten ab und signalisiert deutlich einen Abschwung. Die Autoverkäufe addierten sich in den ersten fünf Monaten nur auf magere 10,6 Millionen, die Jahresverkaufszahlen von 27 Millionen (Durchschnitt der vergangenen sieben Jahre) werden kaum mehr erreicht, eine brutale Rabattschlacht hat den chinesischen Autohandel erfasst. Um die Konjunktur zu stützen, senkt die chinesische Zentralbank nun die Zinsen und pumpt 237 Milliarden Yuan (30,6 Milliarden Euro) in die Wirtschaft. Doch das neue Geld wird die Probleme kaum lindern.

Das Institut für Weltwirtschaft warnt: "Fallende Immobilienpreise und die finanziellen Probleme zahlreicher Immobilienentwickler haben nicht nur die Bautätigkeit gedämpft, sondern sich auch negativ auf die Konsumbereitschaft ausgewirkt." Analysten verweisen darauf, dass China nicht nur in kurzfristigen Schwierigkeiten steckt. Vier Probleme schwächen China auch strategisch und könnten bedeuten, dass Chinas Aufstieg auch längerfristig an sein Ende gekommen und das Land seinen Zenit überschritten hat.

Ein Volk schrumpft

Erstens taumelt China in eine Demografie-Krise. Chinas Gesellschaft altert und schrumpft rapide. Zum ersten Mal seit über sechzig Jahren sind 2022 in China mehr Menschen gestorben als geboren. Nur noch 9,6 Millionen Chinesen haben 2023 das Licht der Welt erblickt, 2022 waren es noch eine Million mehr. Bei 10,41 Millionen Verstorbenen ist China also offiziell um 800.00 Menschen geschrumpft. Der Prozess wird sich von nun an - das ist eine Langfrist-Folge der Ein-Kind-Politik - beschleunigen. Zum einen überholt Indien damit China als bevölkerungsreichstes Land der Welt. Zum anderen haben Demografen ermittelt, dass China in den kommenden Jahren rechnerisch jeden Tag um 10.000 Menschen kleiner wird. Bis zum Jahr 2050, so UN-Prognosen, dürfte die Bevölkerungszahl um 109 Millionen zurückgehen.

Da China keine nennenswerte Zuwanderung zulässt, drohen der schrumpfenden und überalternden Bevölkerung erhebliche soziale Verwerfungen. Vom Gesundheits- bis zum Rentensystem erwachsen Konflikte. Zugleich werden die Erwerbsbevölkerung und der Konsumentenmarkt schrumpfen. Das ganze Aufstiegsmodell Chinas kehrt sich damit grundlegend um. Die nationale Gesundheitskommission geht davon aus, dass die Zahl der Rentner bis zum Jahr 2035 von 280 Millionen auf mehr als 400 Millionen steigen wird. Das zu finanzieren, stellt die chinesische Führung vor massive Probleme.

Einsamer Riese

Zweitens steckt China in einer Isolationskrise. China hat nur ganz wenige echte Verbündete. Anders als der Westen, der einen weltumspannenden Bund von Staaten gleicher Wertorientierung geschaffen hat, steht China kulturell und politisch ziemlich alleine auf der Weltbühne. Schlimmer noch: Fast alle direkten Nachbarn stehen in einer kritischen Distanz, Konkurrenz oder offenen Feindschaft zu China. Auch Sprache, Schrift, Normen, Identität konnten kaum exportiert werden. Damit steckt die wachsende Macht China in einer Isolationsfalle.

China versucht den Isolationskomplex durch neue militärische Aggression zu kompensieren. Die repressive Einverleibung von Hongkong und der militärische Druck auf Taiwan legen davon Zeugnis ab. Die Konflikte mit den Philippinen, Japan und Vietnam im südchinesischen Meer auch. Mit Indien kommt es sogar regelmäßig zu Schießereien. Es braut sich - ähnlich wie in Russland - eine destruktive außenpolitische Entladungsenergie auf. Das Risiko, dass China bald einen Krieg vom Zaun bricht, ist inzwischen real.

Das wiederum führt dazu, dass wachsende Teile der Weltwirtschaft jetzt auf "De-Coupling" setzen und sich - schon aus ökonomischer Rationalität von einem unsicherer und aggressiver werdenden China - unabhängiger machen. Westliche Unternehmen versuchen, ihre Aktivitäten in andere Länder zu verschieben, entweder durch eine Verlagerung in die USA oder durch "Friendshoring" in demokratischere, menschenrechtsfreundliche Länder. Andere Standorte in Asien gewinnen damit an Attraktivität. Der Effekt ist bereits spürbar: Für Vietnam oder Indien erwarten Analysten im Jahr 2023 höhere BIP-Zuwächse als im Land der Mitte. Schon im vergangenen Jahr entfielen nur noch 50,7 Prozent der US-Importe aus Asien auf China; 2013 waren es noch über 70 Prozent.

Die Immobilienblase

Drittens schlittert China in eine Geschäftsmodellkrise. Der Immobilienboom im Inland und die aggressiven Exporte von Fertigungsprodukten ins Ausland haben den Aufschwung Chinas vier Jahrzehnte getragen. Mit beidem ist es nun vorbei. Die Immobilienblase platzt, China sitzt auf einem unverkauften Bestand von mehr als 50 Millionen Wohnungen, selbst große Immobilienkonzerne sind in Zahlungsschwierigkeiten. Überall gibt es Schuldenschieflagen im Immobiliensektor, der 30 Prozent der Gesamtwirtschaft ausmacht. Der in Existenznot geratene Gigant Evergrande war nur der Anfang. Etwa 30 weitere Immobilienunternehmen sind mit ihren Rückzahlungen an Investoren in Verzug geraten oder haben eine Umstrukturierung eingeleitet. Chinas umsatzstärkster Immobilienkonzern, Country Garden, meldet, die Immobilienmärkte seien "rasant in eine schwere Depression abgerutscht". Chinas Bauunternehmen sind zur Sicherung ihrer Liquidität stark auf den Verkauf von Immobilien angewiesen, lange bevor diese entstehen. Nun aber ist der Verkauf eingebrochen, eine Kettenreaktion von Finanzklemmen ist die Folge. Die Grundstücksverkäufe gingen im ersten Quartal 2023 um 22 Prozent zurück. Wegen schleppender Nachfrage bieten Verkäufer in einigen Städten Chinas nun Appartements mit Begrüßungsgeld an, um Käufer überhaupt noch anzulocken.

Der Immobiliencrash schlägt auch politisch durch. Denn jahrelang finanzierten sich Chinas Kommunalverwaltungen hauptsächlich durch den Verkauf von Grundstücken an Immobiliengesellschaften. Auch die geraten jetzt in Finanznöte - wie Millionen von Privatpersonen. Denn über 70 Prozent des chinesischen Vermögens sind in Immobilien gebunden.

Und auch das zweite Standbein des Geschäftsmodells zittert. Die Exporte schwächeln, weil China inzwischen kein billiger Produktionsstandort mehr ist, die globale Konkurrenz drängt und der Westen eigene Interessen in den Handelsbeziehungen schärfer geltend macht. So sorgen die Beschränkungen der USA für Chip-Exporte nach China dafür, dass Investitionen ausbleiben. Den kalten Tech-Krieg zwischen China und den USA droht China zu verlieren, vor allem weil immer mehr Handelspartner kritischer werden. Derzeit sieht es so aus, als könnte vor allem Indien von Chinas neuer Schwäche profitieren. Insgesamt ist China in eine Situation geraten, wo es viel abhängiger von Europa und den USA ist als umgekehrt. Im vergangenen Jahr exportierte China 6,4 Millionen 40-Fuß-Container nach Europa, während Europa nur 1,6 Millionen Container nach China lieferte. Die Exporte der EU nach China im vergangenen Jahr waren wertmäßig bloß 23 Prozent höher als die Exporte der EU in die Schweiz. China muss also Kompromisse mit dem Westen suchen. Der Halbleiterkrieg mit den USA ist eine Demonstration der Machtverhältnisse zugunsten des Westens.

Machtkampf an der Spitze

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Viertens spitzt sich die politische Systemkrise zu. Die harte Corona-Politik und willkürliche Lockdowns sowie deren chaotisches Ende im Dezember 2022 haben das Vertrauen in die politische Führung erschüttert. Zwischen den neuen Wirtschaftseliten und der Parteiführung herrscht ein offener Machtkampf, bei dem die politischen Entscheidungsträger in der Kommunistischen Partei immer stärker auf Repression setzen. Und das wiederum ist schlecht für die Wirtschaft. In einer bemerkenswerten Doktrin sprach sich Staatspräsident Xi Jinping jüngst dafür aus, in Zukunft wieder mehr nach "marxistischen" Werten zu wirtschaften. Da schrillen nicht nur bei globalen Anlegern alle Alarmglocken. Es ist zugleich ein Indiz dafür, dass das Regime Angst vor Machtverlust hat.

Diplomaten aus Peking berichten zusehends von inneren Spannungen unter den Eliten. Der Präsident der EU-Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, warnt in Schweizer "Techmarket": "China spürt den Gegenwind nicht nur am Immobilienmarkt und mit dem Problem der hoch verschuldeten Lokalregierungen, sondern auch als Folge des Technologiekriegs mit den USA, der die Innovationsfähigkeit erheblich schwächt. Gravierend ist zudem der Vertrauensverlust der Privatunternehmer im Land. Es gibt zwar noch einzelne Bereiche, in denen Privatunternehmer glänzen können, zum Beispiel Elektrofahrzeuge oder erneuerbare Energien. Aber im Tech-Sektor herrscht große Verunsicherung. Wichtige Leute sind demoralisiert und wandern ab. Das ist, als würde ein Bill Gates den USA den Rücken kehren. Da hilft auch die Einschüchterungskampagne gegen die Banker nicht, denen vorgeworfen wird, sie seien Hedonisten. Der einflussreiche Investmentbanker Bao Fan ist kürzlich festgenommen worden. Die Parteiführung stößt die privaten Unternehmer immer wieder vor den Kopf." Wuttke fasst die Lage so zusammen: "China wird kontrollwütiger und kommunistischer." Das allerdings ist ein sicheres Indiz für eine baldige Wirtschaftskrise.

Quelle: ntv.de

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