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Wenn China Taiwan attackiert Chipfabriken sind Deutschlands Kriegs-Versicherung

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Die chinesische Küstenstadt Xiamen ist nicht weit von Taiwan entfernt.

Die chinesische Küstenstadt Xiamen ist nicht weit von Taiwan entfernt.

(Foto: AP)

Mit Milliarden subventionieren Berlin und Brüssel den Bau neuer Chip-Werke in Deutschland. Ist der Plan eine gigantische Steuergeldverschwendung? Oder unverzichtbare Überlebensstrategie für den Fall eines Konflikts mit China?

Satte 6,8 Milliarden Euro sollte der US-Konzern Intel ursprünglich für den Bau seiner Chipfabrik in Magdeburg aus der Staatskasse bekommen. Wegen gestiegener Bau- und Energiekosten hätte er nun gerne knapp 10 Milliarden Euro.

17 Milliarden Euro Investitionssumme, rund 10.000 Arbeitsplätze: Die geplante Giga-Chipfabrik auf dem Acker im Industriegebiet Eulenberg ist die größte Auslandsinvestition in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Und zugleich viel mehr als nur eine wirtschaftliche Entscheidung: Sie ist das Rückgrat eines politischen Masterplans, um Deutschlands und Europas Souveränität im digitalen Zeitalter zu verteidigen - und sich für einen potenziellen Konflikt mit China um Taiwan zu wappnen.

Um Werke wie in Magdeburg nach Europa zu holen hat die EU den European Chips Act aufgelegt - ein Subventionspaket von insgesamt 43 Milliarden Euro. Damit will Brüssel bis 2030 Europas Produktionskapazität für Chips von heute zehn auf dann zwanzig Prozent Weltmarktanteil verdoppeln. Nicht nur in Magdeburg, auch in Dresden und im Saarland sollen dafür neue "Fabs", wie die Halbleiterwerke in der Branche genannt werden, entstehen. Mit reichlich Geld aus der Staatskasse.

Der US-Chiphersteller Wolfspeed will zusammen mit dem Autozulieferer ZF in Ensdorf rund 2,5 Milliarden Euro in eine Halbleiter-Fabrik investieren, und erwartet dabei öffentliche Zuschüsse von 20 bis 25 Prozent der Investitionssumme. Bei Infineon ist vor wenigen Tagen der Spatenstich für das vierte Werk in der sächsischen Hauptstadt erfolgt. Und der taiwanesische Chipgigant Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation (TSMC) will womöglich ebenfalls bald eine neue Produktion an der Elbe errichten - es wäre das erste TSMC-Chipwerk in Europa überhaupt. Derzeit laufen Verhandlungen über die Höhe der Subventionen. Eine Entscheidung soll frühestens im August fallen.

Die steuerfinanzierte Ansiedelung von Chipfabriken ist gewissermaßen die Lehre aus den globalen Lieferengpässen in der Corona-Pandemie und Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine. Denn Deutschlands Abhängigkeit von Mikrochips aus Taiwan ist noch viel größer als von Gas aus Russland. Aber der Preis, um sie zu überwinden, ist hoch

Eine Million Euro Steuergeld für jeden Job

Smartphones, Autos, Computer - es gibt kaum eine Branche, die nicht von Chips aus Taiwan abhängig ist. Laut einer Studie des US-Halbleiterindustrieverbands SIA befinden sich 92 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für die leistungsstärksten Chips (unter zehn Nanometer) dort. Und noch genauer bei einer Firma: TSMC. Der Gigant ist zum Beispiel der exklusive Lieferant für die Chips in Apples iPhones und iMacs. Die Firma ist in der Halbleiterbranche das, was JPMorgan für die weltweite Finanzindustrie ist: global systemrelevant. Wenn bei TSMC im Hsinchu-Technologiepark, etwa eine Autostunde westlich der taiwanesischen Hauptstadt Taipei, die Bänder stillstehen, spürt es sofort die ganze Welt.

Das Problem ist, dass dieses taiwanesische Silicon Valley nur 15 Kilometer Luftlinie vom chinesischen Festland entfernt liegt. Und Peking die Republik als abtrünnige Provinz begreift, die sie unbedingt mit dem Rest des Riesenreiches vereinen will. Eine chinesische Invasion oder auch nur eine dauerhafte Blockade der Insel durch die Volksrepublik würde Deutschland und den Rest der Welt daher sofort von der Versorgung mit Hochleistungschips abschneiden - mit fatalen Folgen.

In abgeschwächter Form ist genau das schon einmal passiert: 2021 mussten während der Corona-Pandemie Volkswagen, BMW und Co. infolge einer globalen Chip-Klemme ihre Produktion drosseln. "Wir haben 1 bis 1,5 Prozent unserer Wirtschaftsleistung im Jahr 2021 wegen fehlender Halbleiter verloren - etwa 40 Milliarden Euro", zitierte die "FT" kürzlich einen leitenden deutschen Beamten.

Angesichts dieser Größenordnungen scheinen die Kosten der Chipfabriken vertretbar. Dennoch sind sie enorm. Und ist fraglich, ob sie Deutschlands Abhängigkeit wirklich spürbar reduzieren. Die Infineon-Fabrik in Dresden etwa kostet 5 Milliarden Euro - eine Milliarde davon kommt vom Staat. Etwa tausend neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Der Fiskus bezuschusst also jeden Job mit einer Million Euro. Für viele Kritiker ist dieser hohe Preis den potenziellen Nutzen nicht wert: "Meine Sorge ist, dass wir sehr viel Geld ausgeben, nur um die Versorgungssicherheit ein bisschen zu erhöhen. Wenn das alles mal klappt, werden wir immer noch 80 Prozent importieren", sagte ifo-Chef Clemens Fuest beim Spatenstich im Infineon-Werk in der ARD.

Wettlauf von Arizona bis Magdeburg

Für die teuren Fabs in Mitteldeutschland spricht wiederum, dass die Aussichten für die Chipindustrie auch ohne Steuermilliarden mittelfristig sehr gut sind. Die globale Chip-Nachfrage dürfte in den nächsten Jahren durch die Energiewende explodieren. Denn nicht nur Smartphones, PCs und Fernseher brauchen Chips - sondern immer mehr auch Windräder, Bordcomputer, Assistenzsysteme und E-Autos.

Allein die Nachfrage aus der Autoindustrie wird sich bis 2030 verdreifachen. Und die Chips aus den geplanten Werken sind genau die, die deutsche Industrie braucht: TSMC plant in Dresden laut Insidern eine Fabrik, die Halbleiter mit einer Größe von 22 bis 28 Nanometern produziert, wie sie in der Autoindustrie verwendet werden.

Zudem reagieren Brüssel und Berlin nur auf die Förderprogramme anderswo: Weltweit ist in der Chipindustrie ein regelrechter Subventionswettlauf ausgebrochen. Frankreich fördert den Bau einer Chipfabrik von STMicro und GlobalFoundries im südfranzösischen Crolles mit 2,9 Milliarden Euro. Insgesamt hat Paris ein 5,5 Milliarden Euro schweres Paket aufgelegt, um den Sektor bis 2030 zu stützen.

Washington fördert über den Chips and Science Act die Ansiedlung neuer Chipwerke in den USA gar mit 53 Milliarden Dollar. Deshalb hat TSMC - anders als in Dresden - schon 2020 mit der US-Regierung eingeschlagen und baut seitdem nördlich von Phoenix in Arizona seine erste Chipfabrik in den USA. 2026 soll noch eine zweite Fabrik für die heute leistungsstärksten 3-Nanometer-Chips folgen, TSMC dann sein Investment auf 40 Milliarden Dollar verdreifachen.

Peking will die globale Chip-Dominanz

Die gigantischen Summen, die bereits anderswo fließen, sind allerdings auch ein Argument, dass der deutsche Fiskus sich womöglich zurückhalten kann. "Es wäre wahrscheinlich effizienter, einfach billige, subventionierte Chips aus den USA zu kaufen", kritisiert etwa Reint Gropp, Chef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, den Subventionshype in der "FT".

Die Frage ist nur, ob Deutschlands Partnerländer im Krisenfall dann auch verlässlich liefern würden und ob die Kapazitäten ausreichen. Oder ob Deutschland doch wieder das Nachsehen hätte. So war es auch schon in der Corona-Pandemie: Als Antibiotika und Paracetamol knapp wurden, beschränkte nicht nur China den Export. Sondern auch Indien als vermeintlich verlässlicher Handelspartner. Und in deutschen Apotheken blieben die Regale leer.

Zu guter Letzt sind die deutschen Fabs womöglich nicht nur ein Investment, um die bereits heute bestehende indirekte Abhängigkeit von China abzufedern. Sondern um sich für die kommende direkte Abhängigkeit von Peking zu wappnen, die schon morgen droht. Denn das Reich der Mitte will selbst zum größten Chiphersteller der Welt werden - mit aller Macht. Sollte das gelingen, hingen Deutschland und Europa unmittelbar an Pekings Tropf.

Ein etwaiger Einmarsch in Taiwan wäre nur der direkteste und gefährlichste Weg. Erst in dieser Woche deutete ein kaum beachteter Vorfall auf ein weiteres Szenario: Da klagten südkoreanische Staatsanwälte einen Ex-Samsung-Mitarbeiter der Industriespionage an. Der 65-Jährige wollte die Baupläne für ein gesamtes Samsung-Chipwerk stehlen - um eine Kopie davon in der nordchinesischen Stadt Xian aufzubauen.

Quelle: ntv.de

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