Ministerpräsidenten-Wahl Voigt will Thüringen regieren - aber ihm fehlt noch eine Stimme


Mario Voigt hat die besten Chancen an diesem Donnerstag zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt zu werden. Doch ihm fehlt eine Stimme.
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Jetzt wird’s ernst. Am Donnerstag wählt der Thüringer Landtag einen neuen Ministerpräsidenten. Mario Voigt von der CDU will es werden. Doch ihm fehlt eine Stimme. In Thüringen bahnt sich ein Krimi an.
Die Landtagswahl in Thüringen hat gezeigt, wie brutal Politik sein kann. Stärkste Kraft wurde die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke. Ein Tiefschlag für alle, die auf Rechtsextreme im Landtag verzichten können. Doch im Paket kam gleich die nächste Enttäuschung: Wieder gab das Wahlergebnis keine klare Mehrheit her. Nach vier Jahren Minderheitsregierung von Rot-Rot-Grün war die Sehnsucht groß gewesen, endlich wieder stabile Mehrheitsverhältnisse im Erfurter Landtag zu bekommen.
Für CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt war das bitter. Er war angetreten, der nächste Ministerpräsident des Bundeslandes werden. Nach der Wahl machte er sich an die Arbeit, sondierte, verhandelte und schmiedete schließlich eine Koalition mit SPD und BSW. Erst an diesem Mittwoch unterzeichnete er mit Katja Wolf vom BSW und dem Sozialdemokraten Georg Maier den Vertrag dazu. Auch das hatte etwas Historisches: Es ist das erste Bündnis dieser Art - mit einem neuen Namen: Brombeer-Koalition. Aber selbst CDU, SPD und BSW zusammen kommen nur auf 44 der 88 Landtagssitze, also genau die Hälfte. Eine Regierungskoalition braucht aber eine Mehrheit im Landtag. Dafür fehlte eine einzige Stimme.
Woher nehmen? Die AfD scheidet aus, daran hat Voigt keinen Zweifel gelassen. Bleibt nur die Linke, denn andere Parteien sind nicht mehr im Landtag vertreten. Nur, die scheidet eigentlich auch aus. Denn wie mit der AfD hat die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Partei. Doch "Unvereinbarkeit" ist relativ. Schon die linksgeführte rot-rot-grüne Koalition unter Ministerpräsident Bodo Ramelow bekam Hilfe von der CDU aus der Opposition. Sie half bei Abstimmungen über den Haushalt oder enthielt sich im entscheidenden Augenblick, etwa als die AfD ein Misstrauensvotum anstrengte.
Noch einige Fallstricke
"Zu dieser Situation gibt es noch kein Kapitel im politischen Handbuch", beschrieb Voigt im Interview mit ntv.de Thüringens politische Lage. "Das schreiben wir jetzt." An diesem Donnerstag schlägt die große Stunde. Der Landtag tritt zusammen - erster Tagesordnungspunkt: "Wahl des Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen und gegebenenfalls dessen Vereidigung". In diesem "gegebenenfalls" schwingt schon der Zweifel mit, ob es tatsächlich dazu kommen wird. Voigt müsste im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit bekommen. Gelingt das nicht, wird das Verfahren im zweiten Wahlgang wiederholt. Dann käme der dritte Wahlgang. Da ist eine absolute Mehrheit nicht mehr erforderlich. Dann genügt es, die meisten abgegebenen Stimmen auf sich zu vereinen.
Doch dabei gibt es einige Fallstricke. Was, wenn die AfD Voigt im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten mitwählt? Wäre das nicht ein Makel, der seine Amtszeit überschattet? Das würden sicher einige so sehen. Voigt könnte dann die Wahl ablehnen. Allerdings läuft die Wahl geheim ab. So ganz genau wird man daher gar nicht wissen, wer für wen gestimmt hat. Zumal Voigt nie um die Stimmen der Höcke-Truppe gebeten hat. Nähme er die Wahl nicht an, könnte sich das Spiel im zweiten Wahlgang wiederholen. Es käme wohl zu dem, was die AfD will: Die anderen Parteien vorführen.
Anders sieht es bei der Linken aus. Gerade gab es eine Annäherung zwischen den Brombeer-Koalitionären und der Partei. Am Dienstag bot Voigt der Partei Regeln für die Zusammenarbeit an. Er sprach dabei von einem "Pflichtenheft", ein Begriff, den Ramelow geprägt hatte. So etwas hatte die Linke gefordert. Dabei geht es aber nicht um ein Abkommen, das unterschrieben wird. Das wäre dann wohl ein Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss gewesen. Voigt sagte in Erfurt, im Gegenzug erwarte man, dass die Ministerpräsidentenwahl im ersten Wahlgang "vernünftig funktioniert". Viel deutlicher konnte er den Wunsch kaum formulieren, die Linke möge ihn im ersten Wahlgang zum Regierungschef wählen. Darüber will sie erst am Donnerstag selbst entscheiden.
Es ist Thüringen
Tut sie das nicht, würde es im dritten Wahlgang noch einmal spannend werden. Eigentlich hat Voigt da die besten Karten. Stimmen seine Brombeer-Abgeordneten für ihn, kann ihn niemand übertrumpfen. Seit Jahren wird aber über die Auslegung der Verfassung diskutiert. Muss ein konkurrenzloser Kandidat mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen haben? Oder werden nur die Ja-Stimmen gezählt? Das würde im Extremfall bedeuten, dass ohne Gegenkandidaten ein Kandidat mit nur einer Ja-Stimme gewählt werden könnte. Letztere Rechtsauffassung will sich Landtagspräsident Thadäus König zu eigen machen. Das hat er so angekündigt.
Immerhin, das Kemmerich-Szenario kann sich nicht wiederholen. 2020 hatte die AfD den FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt und damit das Land in eine tiefe Regierungskrise gestürzt. Da die Brombeerkoalition nun aber immerhin die Hälfte der Sitze hat, kann sie auch nicht überstimmt werden. Voigt spricht daher etwas beschönigend von einer "De-facto-Mehrheit". Doch die Hälfte ist nicht die Mehrheit - Punkt. Der scheidende Ministerpräsident Ramelow drückte es neulich so aus: "Es ist keine Mehrheitsregierung, es ist keine Minderheitsregierung, es ist Thüringen."
Quelle: ntv.de