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Thüringens CDU-Chef Voigt "Wagenknecht und ich haben uns sehr früh die Karten gelegt"

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Mario Voigt will die CDU in eine Koalition mit dem BSW und der SPD führen. Leicht wird das nicht - vor allem nicht, wenn Sahra Wagenknecht weiter querschießen sollte.

Mario Voigt will die CDU in eine Koalition mit dem BSW und der SPD führen. Leicht wird das nicht - vor allem nicht, wenn Sahra Wagenknecht weiter querschießen sollte.

(Foto: picture alliance/dpa)

Im September haben Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Seitdem versucht CDU-Politiker Mario Voigt in Thüringen eine Koalition mit dem BSW und der SPD zu bilden. Doch immer wieder grätscht Sahra Wagenknecht von außen hinein. Als CDU, BSW und SPD ein Sondierungspapier beschließen, verlangt sie, zuerst müsse eine Präambel zum Thema Krieg und Frieden geschrieben werden. Dann attackiert sie die Thüringer BSW-Chefin Katja Wolf. Im Interview mit ntv.de betont Voigt, wie gut er mit ihr zusammenarbeitet. Und warum er trotzdem an den Erfolg der gerade begonnenen Koalitionsgespräche glaubt.

ntv.de: Herr Voigt, Sie wollen in Thüringen mit BSW und SPD eine Regierung bilden. Wenn Sie ein Handzeichen zum Stand der Verhandlungen geben müssten: Daumen hoch, Daumen zur Seite oder Daumen runter?

Mario Voigt: Die Verhandlungen in Thüringen laufen sehr vernünftig, deshalb: Daumen hoch.

Tatsächlich? Eine Einigung auf ein Sondierungspapier haben Sie schnell hinbekommen. Aber dann kam Sahra Wagenknecht ins Spiel.

Die beiden Vorsitzenden Katja Wolf und Steffen Schütz sind sehr lösungsorientiert. Sie sind unideologisch und pragmatisch, haben aber natürlich auch ihre Grundsätze. Ich sehe aber den Willen und den Wunsch, dass wir es in dieser schwierigen Situation hinbekommen. Teils kamen wir von sehr unterschiedlichen Standpunkten und haben trotzdem in der Sache neue Lösungen gefunden. Die haben wir auf 19 Seiten in unserem Sondierungspapier festgehalten. Das fand ich sehr bereichernd.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Nehmen Sie die Gesundheitspolitik. Wir wollen eine gute Versorgung in der Fläche. Wir wollen mehr Landärzte, Zahnärzte und Apotheker ausbilden. Wir haben ein Konzept erstellt, wie man bedrohte Krankenhäuser mit Landesmitteln erhalten kann. Oder nehmen Sie das Thema Migration: Wir haben erstmals landeseigene Plätze für eine Abschiebehaft vereinbart. Und auch bei der Bildung wollen wir beispielsweise einen Einstellungsturbo für Lehrer, damit die Lehramtsabsolventen nicht in andere Länder abwandern.

Es könnte also alles so schön sein. Aber Frau Wagenknecht forderte nach der Einigung auf das Sondierungspapier, vor Koalitionsverhandlungen eine Präambel zu schreiben – und nicht an deren Ende. Darin sollte es um den Ukraine-Krieg und die Stationierung von US-Raketen gehen. Hat Sie das geärgert?

Ach, na ja. Ich hatte ein Gespräch mit Frau Wagenknecht in Berlin. Da haben wir uns sehr früh die Karten gelegt, was möglich ist und was nicht. Wir haben dort auch über Frieden in Europa diskutiert. Das haben wir nun in der Präambel verantwortungsvoll gemacht und die Sorgen und Ängste der Thüringerinnen und Thüringer ernst genommen. Man muss aber den Menschen reinen Wein einschenken. Bundesländer haben in der Gestaltung der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland keine Kompetenz. Das ist in unserem Staat klar geregelt. Da verhalten wir uns verfassungskonform.

Frau Wagenknecht fand aber die Brandenburger Präambel viel besser als die in Thüringen. Dort heißt es, man sehe die Stationierung von US-Raketen in Deutschland kritisch und weitere Waffenlieferungen an die Ukraine würden den Krieg nicht beenden.

Man kann 19 Seiten konkreter Sondierungsergebnisse in Thüringen schwerlich mit zweieinhalb Seiten über Brandenburg vergleichen.

Die Menschen machten sich Sorgen wegen des Krieges, argumentiert Wagenknecht. Sie verlangt auch von Frau Wolf, diese Grundsätze nicht aufzugeben.

Diesen Sorgen und Ängsten werden wir gerecht. Deswegen sprechen wir das Thema an. Der Umkehrschluss gilt aber auch: Die Zeiten sind gerade sehr unsicher. Die Wahl in den USA, in Europa herrscht Krieg, die Ampel könnte zerbrechen. Da erwarten die Menschen Orientierung und Stabilität. In Thüringen und übrigens auch im Bund. Das hier in Thüringen ist aber kein Hundertmeter-Sprint, sondern eher ein 3000-Meter-Hindernislauf. Das ist mir klar.

Zwischen Wagenknecht und Wolf ist ein Machtkampf entbrannt. Was raten Sie Frau Wolf? Sollte Sie das BSW notfalls verlassen?

Da habe ich nichts zu raten. Unsere Handlungsmaxime sollte der Grundsatz sein: Erst das Land, dann die Partei, dann die Person - und so erlebe ich unsere Gespräche.

Nehmen wir mal an, Sie einigen sich mit BSW und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Hat dann Sahra Wagenknecht trotzdem das letzte Wort?

Meine Gesprächspartner sind Katja Wolf und Steffen Schütz. Was die beiden mit Frau Wagenknecht bereden, habe ich nicht zu bewerten. Aber das hier ist unsere Heimat. Wir sind dafür angetreten, eine stabile Regierungsmehrheit zu bilden. Das erwarten die Menschen von uns. Nur so funktioniert Politik. Am Ende müssen wir etwas für Thüringen erreichen.

Was glauben Sie, will Frau Wagenknecht überhaupt in Thüringen regieren?

Zuerst einmal will sie in den Bundestag, das ist mein Eindruck. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Wagenknecht chaotische Verhältnisse in Thüringen will oder dass Björn Höcke Ministerpräsident wird. Das würden ihre Wähler auch nicht goutieren - die haben die Nase voll von leeren Versprechungen. Sie wollen eine Veränderung. Dem fühlen wir uns verpflichtet. In unserem Bündnis soll jede Partei sichtbar sein und ihre Punkte machen können. Wenn drei Partner am Tisch sitzen, wird es aber nicht ohne Kompromisse gehen.

Glauben Sie, dass diese Brombeer-Koalition zustande kommt?

Ich bin ganz optimistisch, dass wir das hinbekommen. Wenn wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und prüfen, was das Beste fürs Land ist, wird es uns gelingen, auch kleinere und größere Hürden zu überspringen.

Vor Weihnachten?

Für mich als Christ ist Weihnachtsfrieden immer etwas Erfreuliches.

Sie haben nach der Wahl gemeinsam mit den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke und Michael Kretschmer in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen“ mehr Diplomatie in der Ukraine gefordert. War das als Annäherungssignal an Wagenknecht gedacht?

Es war klar, dass wir alle drei diese Diskussionen mit dem BSW führen müssen. Denn in Brandenburg, Sachsen und Thüringen kann es keine stabilen Regierungen ohne das BSW geben.

Wenn die AfD außen vor bleiben soll.

Wir haben deutlich gemacht, was unsere roten und schwarzen Linien sind. Die Westbindung und Deutschlands Einbindung in die europäische Sicherheitsarchitektur stehen für mich nicht zur Debatte. Aber unser Ziel als größtes Land in Europa muss es doch sein, gesprächsfähig zu bleiben. Die Diplomatie war immer unsere Stärke. Das deutlich zu machen, hat vielen Menschen aus der Seele gesprochen. Dabei ging es weniger darum, irgendwem entgegenzukommen.

Wenn die Koalition zustande käme, hätten Sie trotzdem keine Mehrheit. Wären das die "stabilen Verhältnisse", die sie der Wählerschaft versprochen haben?

Zu dieser Situation gibt es noch kein Kapitel im politischen Handbuch. Das schreiben wir jetzt. Wir haben eine De-facto-Mehrheit im Thüringer Landtag. Rot-Rot-Grün hatte als Minderheitsregierung nur 42 von 90 Sitzen. Wir haben jetzt 44 von 88. Gegen eine Brombeer-Koalition könnte keine Mehrheit gebildet werden. Wir müssen uns aber Gedanken über unsere politische Kultur in Deutschland machen.

Das heißt?

In dieser schwierigen Lage wollen wir mit dem Konsultationsverfahren vorangehen. Wir wollen frühzeitig mit unseren Themen in den Landtag gehen und alle Fraktionen einladen, ihre Punkte mit hineinzuspielen.

Auch die AfD?

Alle Fraktionen. Jeder soll seine Ideen auf den Tisch packen. Das erwarten die Bürger. Diejenigen, die sich gern in die Opferrolle begeben und beklagen, nicht gefragt zu werden, müssen dann auch liefern. Mein Credo im Parlament ist: Wir reden mit allen, aber wir regieren nicht mit jedem.

Das klingt griffig, aber was heißt das? Wenn ich alle beteilige, regiere ich doch mit allen. Auch mit der AfD.

Nein, es gibt eine klare Regierung aus CDU, BSW und SPD, die eine De-facto-Mehrheit hat.

Die hat keine absolute Mehrheit. Sie hätte nur die Hälfte der Sitze.

Wissen Sie, Thüringen ist eine besondere politische Landschaft. Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung hat bis auf einige Ausnahmen ihre Regierungsvorschläge durch den Landtag gebracht. Ich werde ein Gesprächsklima schaffen, in dem Ideen auf den Tisch kommen. Aber es kann auch mal sein, dass man eine Abstimmung nicht gewinnt.

Das heißt also, man stimmt sich auch mit der AfD ab. Man schreibt etwas in einen Gesetzentwurf, weil man weiß: Das will die AfD.

Im Sondierungspapier steht klipp und klar: Es gibt keine Zusammenarbeit. Das gilt. Was es geben soll, ist eine engere Einbindung des Parlaments in die Regierungsarbeit. Das Konsultationsverfahren ist ein formalisierter Prozess. Damit werden wir auch Ideen anderer für die Regierungsarbeit prüfen. Das bietet die Chance, eine frühzeitige, formalisierte Beteiligung zu schaffen.

Sie wollen zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Im dritten Wahlgang reicht eine einfache Mehrheit. Ist das der Weg, den Sie anstreben?

Wenn sich andere Leute in vorherigen Wahlgängen entscheiden, mich zu wählen, wäre ich nicht traurig darüber. Aber in Thüringen braucht man gute Nerven. Daher stelle ich mich auf den dritten Wahlgang ein.

Auch Björn Höcke könnte im dritten Wahlgang gewählt werden, denn die AfD hat ja die meisten Sitze. Ist das eine reale Gefahr?

Ich sehe das als Gefahr. Und das wäre ein schlechtes Zeichen für ganz Deutschland. Das ist ein wichtiger Grund, warum unsere Gespräche mit BSW und SPD gelingen sollten. Scheitern ist keine Thüringer Eigenart. Wir wollen etwas Gutes für Thüringen hinbekommen.

Mit Mario Voigt sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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