Politik

Kongregation gebietet Schweigen Vorwürfe gegen den Papst

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wirft dem Vatikan Behinderung bei der Aufarbeitung des Missbrauchs-Skandals in katholischen Einrichtungen vor. Doch Missbrauch von Schutzbefohlenen und dessen Totschweigen ist nicht nur ein Problem der Kirche, wie immer mehr Vorfälle in der privaten Odenwaldschule zeigen.

Vor seinem Pontifikat war Benedikt XVI. als deutscher Kardinal Joseph Ratzinger oberster Glaubenswächter des Vatikans.

Vor seinem Pontifikat war Benedikt XVI. als deutscher Kardinal Joseph Ratzinger oberster Glaubenswächter des Vatikans.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Bundesjustizministern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat dem Vatikan Behinderung bei der Aufarbeitung der Skandale um sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen vorgeworfen. Es habe in vielen Schulen und Einrichtungen eine Art Schweigemauer gegeben, wegen der Informationen nicht ausreichend an die Justiz gelangt seien, sagte die Ministerin im Deutschlandfunk. Um eine Verjährung der Fälle zu verhindern, müsse aber nach Wegen gesucht werden, das Schweigen zu durchbrechen und bereits bei Anhaltspunkten auf Missbrauch möglichst frühzeitig Ermittlungen durch die Justiz zu ermöglichen, forderte die FDP-Politikerin.

Für Schulen in katholischer Trägerschaft gelte aber eine Direktive der Glaubenskongregation von 2001, nach der auch schwere Missbrauchsfälle zuallererst der päpstlichen Geheimhaltung unterlägen und nicht an Stellen außerhalb der Kirche weitergegeben werden sollten, kritisierte Leutheusser-Schnarrenberger. Stattdessen solle nach der Direktive intern untersucht werden. Dabei werde nicht deutlich gemacht, möglichst frühzeitig die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

Diskussion über Verjährungsfristen

Missbrauchsfälle wie im bayerischen Kloster Ettal wurden auch aus etlichen anderen Bistümern bekannt.

Missbrauchsfälle wie im bayerischen Kloster Ettal wurden auch aus etlichen anderen Bistümern bekannt.

(Foto: APN)

In einer Verlängerung der Verjährungsfristen sieht die Justizministerin "kein Allheilmittel". Dagegen hatte Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) für einen solchen Schritt plädiert. Dies sei sinnvoll, weil die Erfahrung zeige, dass oft erst nach vielen Jahren über Missbrauch gesprochen werde und die Täter womöglich straffrei blieben, sagte Schavan der "Passauer Neuen Presse". Eltern müssten sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder in pädagogischen Einrichtungen in guter Obhut sind. "Dazu gehört eine Atmosphäre des Respekts und der Wertschätzung. Dazu gehören auch Pädagogen, die nicht nur fachlich gut sind, sondern auch einen klaren Kompass haben und persönliche Reife besitzen, die dem Vertrauen gerecht wird, das ihnen seitens der Kinder und Jugendlichen entgegengebracht wird."

Auch Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner forderte eine Überprüfung der Verjährungsfristen. "Es muss gelingen, die Dunkelziffer zu verringern und das zum Teil jahrzehntelange Schweigen aufzubrechen", sagte Stegner dem "Hamburger Abendblatt". "Gesetzliche Verjährungsfristen sollten in diesem Zusammenhang überprüft werden."

"Kultur des Hinsehens" angemahnt

Der Cellerar des bayerischen Klosters Ettal, Pater Johannes Bauer, räumt ein, in den 1980er Jahren Kinder "brutal koerperlich misshandelt" zu haben.

Der Cellerar des bayerischen Klosters Ettal, Pater Johannes Bauer, räumt ein, in den 1980er Jahren Kinder "brutal koerperlich misshandelt" zu haben.

(Foto: APN)

Patrick Meinhardt, Mitglied des FDP-Fraktionsvorstandes, mahnte eine "Kultur des Hinsehens" an. Zudem müsse die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit den Ländern nach Lösungen suchen, wie nach dem Bekanntwerden solcher Missbrauchsfälle rasch reagiert werden könne. Die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär sagte dem "Hamburger Abendblatt": "Deutschlands Eltern müssen erwarten können, dass alles unternommen wird, um Gewalt an Schülern in der Schule zu vermeiden." Politik könne das Problem aber nicht allein lösen. Wachsamkeit sei neben Sanktionen das Gebot der Stunde.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Josef Kraus, forderte die Kultusminister auf, in allen Bundesländern Sonderbeauftragte einzusetzen, die eine lückenlose Aufklärung möglicher Übergriffe vorantreiben. Die Minister hätten die "verfassungsrechtliche Pflicht, Fälle sexuellen Missbrauchs an Schulen rasch aufzudecken und an die Justiz weiterzuleiten", sagte Kraus der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Das Problem des Missbrauchs dürfe nicht den Kirchen überlassen bleiben, "hier muss auch die staatliche Schulverwaltung genau hinschauen".

Kein Problem nur der Kirche

An der Odenwaldschule in Hessen wird befürchtet, dass noch längst nicht alles ans Tageslicht gekommen ist.

An der Odenwaldschule in Hessen wird befürchtet, dass noch längst nicht alles ans Tageslicht gekommen ist.

(Foto: dpa)

In den vergangenen Wochen waren zahlreiche Missbrauchsfälle vor allem an katholischen Schulen und Internaten bekanntgeworden – und ein Ende ist offenbar nicht abzusehen. Aber auch außerhalb der katholischen Kirche wurden derartige Vorkommnisse öffentlich. Ehemalige Schüler der renommierten Odenwaldschule in Heppenheim (Hessen) berichteten unter anderem, sie seien von 1970 bis 1985 von Lehrern als "sexuelle Dienstleister" fürs Wochenende eingeteilt worden. "Wir haben die große Befürchtung, dass es tatsächlich mehr sind als die Namen, die wir bis jetzt kennen", sagte Schulleiterin Margarita Kaufmann. Sie gehe von einem Rücktritt des Schulvorstands aus, erklärte Kaufmann in der "Frankfurter Rundschau". Als erste Konsequenz werde es neben der pädagogischen künftig eine institutionalisierte Heimleitung geben.

Lehrer "teilten" sich sexuelle Gespielin

Laut "FR" sollen von dem massenhaften sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule auch Mädchen betroffen gewesen sein. Die Zeitung beruft sich auf einen ehemaligen Schüler. In einem Fall sollen sich zwei Lehrer ein Mädchen als sexuelle Gespielin "geteilt" haben. "Es ging da in all den Jahren sehr freizügig zu", zitiert die "FR" den Zeugen. In mehreren Fällen sollen Lehrer ihre jugendlichen Geliebten später auch geheiratet haben.

Der Ex-Lehrer Salman Ansari prangerte die Ausnutzung der Machtposition durch seine Kollegen an: Selbst wenn die Mädchen älter als 16 Jahre gewesen sein sollten, müsse man von sexuellem Missbrauch ausgehen. Da an der Reformschule der Lehrer gleichzeitig "Familienoberhaupt" sei, übernehme er für seine schutzbefohlenen Schüler eine Art Vaterrolle, die in diesen Fällen schamlos ausgenutzt worden sei.

Ein weiterer Schüler berichtete, wie Kritiker mundtot gemacht worden seien. Es habe in den 70er und 80er-Jahren eine regelrechte "Anti-Spießer-Hysterie" geherrscht, welche die Übergriffe erst möglich gemacht habe. Wer seinerzeit etwas bemerkt und gesagt habe, sei "sofort als Spießer geächtet worden. Das war grauenhaft", sagte der Mann der "FR". Eine unabhängige Kontrollinstanz habe es nicht gegeben. Im Grunde hätte die Schulleitung eingreifen müssen, dort aber habe der ebenfalls des Missbrauchs beschuldigte Rektor gesessen.

Quelle: ntv.de, dpa

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