Wärmewende dank Koran? "Der rationale Ansatz hat uns keinen Schritt weitergebracht"
11.08.2023, 11:21 Uhr Artikel anhören
Dürren und Hitzewellen betreffen schon jetzt viele muslimisch geprägte Länder.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Ob Greenpeace, Fridays for Future oder die Letzte Generation - die muslimische Community spielt in deutschen Umweltschutzbewegungen so gut wie keine Rolle. Sie fühlt sich nicht angesprochen oder abgeholt, im Gegenteil: "Viele Mitglieder unserer Gemeinschaft verspüren eine gewisse Apathie", beschreibt Tanju Doganay im "Klima-Labor" die derzeitige Situation. Der Darmstädter Wirtschaftsingenieur hat deswegen mit Nour Energy einen gemeinnützigen Verein gegründet, der Musliminnen und Muslime über die Vorteile von Wärmepumpe und Solaranlage aufklärt, aber auch vermittelt, warum Koran und Umweltschutz zusammengehören. Genauso, wie Asmaa El Maaroufi. Die Professorin für Islamische Philosophie der WWU Münster plädiert im "Klima-Labor" dafür, den Klimawandel nicht nur wissenschaftlich abzuhandeln, denn dieser Ansatz sei gescheitert. Warum? Die größten Umweltprobleme sind Egoismus und Gier, sagt Tanju Doganay. Wissenschaft alleine könne daran nichts ändern, Religionen wie der Islam vielleicht schon.
ntv.de: Was genau hat der Islam mit der Klimakrise zu tun?
Asmaa El Maaroufi: Alle Anhängerinnen und Anhänger sind wie alle anderen Menschen auf der Welt von der Krise betroffen. Viele muslimisch geprägte Länder wie Bangladesch, Pakistan, Indonesien oder Malaysia sogar in besonderer Weise - in der Zukunft genauso wie in der Gegenwart.
Gibt es auch einen religiösen Zusammenhang in dem Sinne, dass man sagt, der Islam beschäftigt sich mit der Klimakrise?
Asmaa El Maaroufi: Für den Islam als Subjekt wird das schwierig, weil der schon vor 1400 Jahren entstanden ist. Die Klimakrise ist eher ein Problem der Moderne. Aber es sind Auseinandersetzungen zur Frage bekannt, wie der Mensch mit anderen Lebewesen umzugehen hat. Ich als Theologin schaue also gerne, wie man relevante islamische Quellen wie den Koran heutzutage verwenden kann, um zu erklären, wie ein guter Umgang von Mensch und Natur aussieht.
Und dann aufzeigen, warum die Energiewende sinnvoll ist?
Asmaa El Maaroufi: Zum Beispiel. Und wie man das als zusätzlichen Motivationsfaktor für Menschen im Kampf gegen den Klimawandel benutzen kann.
Funktioniert das? Bei den Kirchentagen gibt es inzwischen einige katholische und evangelische Umweltschutzgruppen. Ist das in den muslimischen Communitys in Deutschland auch so?

Auch die Dächer einer Moschee eignen sich für Solaranlagen. Diese versorgt seit April ein Gotteshaus im südafrikanischen Johannesburg.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Asmaa El Maaroufi: Ja, und es werden zunehmend mehr, denn das Thema berührt. Wir haben immer mehr Musliminnen und Muslime, die sich nicht nur aufgrund ihrer deutschen Verwurzelung dafür starkmachen oder aufgrund ihrer Zukunftsperspektive in Deutschland, sondern weil sie teilweise internationale Geschichte haben und wissen, dass Teile ihrer Familie in Subsahara-Afrika leben und unter Dürren leiden. Es gibt eine doppelte Betroffenheit, die eine doppelte Motivation bieten kann.
Tanju Doganay: Das war vor 13 Jahren auch der Grund dafür, dass wir Nour Energy gegründet und damit begonnen haben, Solaranlagen auf Moscheedächer zu installieren. Wir stellen unser Wissen zur Verfügung und geben der Gesellschaft etwas zurück. Mittlerweile ist der Verein international in verschiedenen Bereichen aktiv. Wir wollen Nachhaltigkeit und Umweltschutz aus muslimischer Perspektive vorantreiben.
Wie kamen die ersten Solarpanels auf Moscheedächern denn an?
Tanju Dogany: Sehr gut. Entscheidend ist ja immer die Motivation. Wir haben festgestellt, dass der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund stand. Man hat die Solaranlage als Kapitalanlage gesehen. Das ist in Ordnung, denn auch Moscheen müssen schauen, wie sie mit ihren Kosten zurechtkommen - gerade jetzt.
Auch in Moscheen stehen die weltlichen Bedürfnisse manchmal an erster Stelle.
Tanju Doganay: Genau (lacht). Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, eine intrinsische Motivation für dieses Thema zu entwickeln, also sie in den Quellen des Islams zu finden. Deshalb ist mit der Bildungsarbeit ein weiteres Standbein bei unserem Verein entstanden. Wir bieten Workshops und Seminare an. Mittlerweile sind wir fast jedes Wochenende ausgebucht.
Und dort klären Sie dann über die Wärmepumpe auf und darüber, dass man mit Solaranlagen auf dem Dach Geld sparen kann?
Tanju Doganay: Die Bildungsarbeit ist nach Modulen aufgebaut. Wenn das Thema im Workshop "Energie" ist, dann gehört auch die Wärmepumpe dazu, ja (lacht). Aber generell geht es um eine spirituelle, metaphysische, geistige Transformation. James Gustave Speth, ein US-amerikanischer Anwalt, der sich für Umwelltschutz einsetzt, hat mal gesagt, dass die Wissenschaft seit 30 Jahren weiß, warum Ökosysteme zusammenbrechen, und biologische Vielfalt verloren geht. Und trotzdem hat sich wenig verbessert, denn die größten Umweltprobleme sind Egoismus, Gier und Apathie. Dafür brauchen wir einen geistigen und kulturellen Wandel, aber die Wissenschaft weiß nicht, wie das geht. Das wollen wir leisten, indem wir bekannte Fakten auf den Tisch legen und gleichzeitig die Brücke zur Religion herstellen. Denn Religionen haben in der Geschichte bewiesen, dass sie geistigen und kulturellen Wandel anschieben können. Natürlich gibt es auch andere Beispiele, aber der Islam blickt auf einen großen Reichtum an Traditionen zurück, bei denen Umweltschutz und Nachhaltigkeit großgeschrieben wurden. Das ist keine neue Bewegung, die sich Öko-Islam oder grüner Islam nennt.
Welche Geschichte gibt es denn zwischen Islam und Umweltschutz?
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Asmaa El Maaroufi: Es gibt eine Verbindung zwischen den Themen Umgang mit Umwelt, wobei ich den Begriff Mitwelt präferiere, denn mit Umwelt assoziiert man etwas, das lediglich um uns herum stattfindet. Diese Mitwelt wird koranisch immer wieder thematisiert. Sei es, weil der Islam Bienen auftreten lässt, Elefanten, Ameisen, Mücken oder auch Berge, die eine besondere Beziehung zu Gott haben. All diese Schöpfungen besitzen besondere Positionen innerhalb des Koran. Daraus können wir Positionen für die heutige Zeit ableiten.
Man muss das aber auch sozial und historisch einordnen. Denn wenn wir uns anschauen, wo der Islam offenbart wurde, befinden wir uns im heutigen Saudi-Arabien: Wüste, warm, Hitze, eine nicht gerade vielfältige oder grüne Vegetation. In diesen Gebieten war man abhängig von natürlichen Gegebenheiten: Wie ist in diesem Jahr die Fruchtlage? Wie gehen wir mit unseren wenigen Kälbern um, die wir haben? Solche Fragen. In diesem Kontext der Abhängigkeit von Mensch und Mitwelt gibt es natürlich Aufforderungen, in einer bestimmten Art und Weise nachhaltig und achtsam miteinander umzugehen. Religion kann hier einen Mehrwert schaffen und Sinn stiften, denn nicht nur im Koran, sondern auch im christlichen und jüdischen Kontext ist von den Schöpfungen Gottes die Rede. Tiere oder Bäume sind nicht einfach leblose Dinge oder Objekte, sondern in ihnen sind Spuren Gottes zu sehen, denn er hat sie erschaffen.
Sehen Sie darin auch eine Gefahr? Der Klimawandel an sich ist bereits ein aufgeladenes Thema. Wenn man den noch mit Religion vermengt, bei der nicht selten aus dem Miteinander ein Gegeneinander wird ...
Asmaa El Maaroufi: Wo es Chancen gibt, gibt es auch Herausforderungen. Das kommt immer zusammen, eine Medaille hat nicht nur eine Seite. Und es wäre vermessen, zu behaupten, dass Religion immer nur pro Natur und Mitwelt war - in diesem Fall Muslime und ihre Auslegung der koranischen Passagen. Wenn wir uns mit dem Klimawandel auseinandersetzen wollen, müssen wir selbstkritisch mit unseren Quellen umgehen. Tun wir das nicht, haben wir sowieso verloren, dann kann man uns nicht ernst nehmen. Auf der anderen Seite muss man klar sagen, dass man speziell in Europa versucht hat, die Klimakrise rational zu erfassen und anzugehen.
Man hat versucht, die Krise auszurechnen?
Asmaa El Maaroufi: Genau. Und wo stehen wir? Keinen Schritt weiter. Natürlich gab es wichtige Errungenschaften, aber keine entscheidenden Fortschritte. Rationalität darf andere nicht ausschließen. Wir müssen Stimmen von marginalisierten Personen hinzuziehen, von anderen Lebensrealitäten und andere Motivationen. Das schließt den rationalen Diskurs nicht aus. Als Theologin, die von Steuergeldern bezahlt wird, ist es mein Anspruch, Wissenschaft zu betreiben, die für alle nachvollziehbar ist. Gleichzeitig plädiere ich dafür, dass wir spirituelle, achtsame und bewusste Perspektiven einbeziehen müssen.
Tanju Doganay: Unsere Erfahrung ist, dass viele Musliminnen und Muslime das Thema wahrnehmen, aber sich nie wirklich tiefer damit auseinandergesetzt haben. Auch, weil sie sich von den etablierten Umweltschutzorganisationen nicht angesprochen fühlen.
Greenpeace und der NABU sind nicht sehr divers aufgestellt?
Tanju Doganay: Ich will keinen Namen nennen, aber viele Mitglieder unserer Gemeinschaft haben auf jeden Fall eine gewisse Apathie verspürt. Wenn wir dann aufklären, das nötige Wissen vermitteln und sie motivieren, bekommen wir oft das Feedback, dass sie sich das erste Mal für dieses Thema interessieren und merken, dass es zu ihren Glaubensgrundsätzen gehört, Verantwortung für sich und ihre Mitwelt zu übernehmen. Wenn wir in diesem Diskurs Religion also außer Acht lassen, verlieren wir die Menschen, bei denen religiöse Handlungsmotive im Lebenszentrum stehen.
Und wenn Sie Musliminnen und Muslime motiviert haben, was passiert dann? Denn bei der Letzten Generation oder auch Fridays for Future sieht man ja tatsächlich keine jungen Muslime.
Tanju Doganay: Vor ein paar Jahren hat sich ein Vorstandsvorsitzender einer Moschee bei mir wegen einer Solaranlage fürs Dach erkundigt. Sein Architekt hatte ihm gesagt, das lohne sich nicht. Ich habe ihn dann gefragt, was "lohnen" bedeutet. Lohnt es sich wirtschaftlich nicht? Denn als Vorsitzender einer Moschee trägt er Verantwortung dafür, bestmöglich mit den Ressourcen umzugehen, die Gott uns gegeben hat. Wir müssen kultivieren, nicht zerstören. Und wenn wir saubere Energie nutzen können, sollten wir das tun. Nach 15 Minuten war er überzeugt. Mittlerweile steht die Anlage auf dem Dach der Moschee. Ansonsten sind Muslime natürlich bei Fridays For Future und anderen Organisationen vertreten, aber die Kommunikation der deutschen Klimaschutzszene ist relativ weiß. Die breite Masse fühlt sich nicht angesprochen. Und wenn man sich nicht angesprochen oder abgeholt fühlt, dann unterstützt man das auch nicht.
Asmaa El Maaroufi: Wir hören auch immer wieder, dass man Muslime nicht sieht, aber woran macht man das denn fest? Man muss sich davon lösen, nach der kopftuchtragenden Frau oder den dunkelhäutigen Männern zu suchen.
Aber wie kommen denn Klimaschutzgesetze, die das Leben aller Menschen betreffen, in der muslimischen Community an? Wie nimmt sie die Debatte um die Wärmepumpe wahr?
Asmaa El Maaroufi: Wenn man sich die klassische Werbung für grüne und nachhaltige Energie anschaut, sieht man oft Mann, Frau, Kind, weiß, die sich Gedanken darüber machen, wie sie die Wärmepumpe für ihr Einfamilienhaus finanzieren sollen. Die Realität aber ist, dass viele Menschen nicht in einem Einfamilienhaus leben. Das gilt für die Hälfte der Bevölkerung. Alleinerziehende Menschen, schwarze Menschen, andere marginalisierte Gruppen werden bei diesem Diskurs komplett übersehen. Das meinen wir, wenn wir uns für diese Themen und eine andere Kommunikation starkmachen.
Mit Asmaa El Maroufi und Tanju Doganay sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
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Quelle: ntv.de