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Fusionsenergie ab 2038? "Die früheren AKW werden schon als Fusionsstandorte untersucht"

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Dieses Foto zeigt die Target-Kammer in der National Ignition Facility des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL). In der Kammer lieferten am 5. Dezember 2022 192 Laserstrahlen mehr als 2 Millionen Joule ultravioletter Energie auf ein winziges Brennstoffpellet, um eine Fusionszündung zu erzeugen.

Dieses Foto zeigt die Target-Kammer in der National Ignition Facility des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL). In der Kammer lieferten am 5. Dezember 2022 192 Laserstrahlen mehr als 2 Millionen Joule ultravioletter Energie auf ein winziges Brennstoffpellet, um eine Fusionszündung zu erzeugen.

(Foto: picture alliance / Newscom)

Fusionsenergie ist der heilige Gral aller Energiesysteme, denn sie verheißt endlos saubere Energie wie von der Sonne. Doch die Forschung ist aufwendig und teuer. Jahrzehntelang geht es eher schleppend voran - bis kalifornische Forscher vor einem halben Jahr einen Durchbruch verkünden. Inzwischen werden intensiv auch in Deutschland Pläne für die ersten Fusionskraftwerke geschmiedet. Die ersten Standorte würden bereits geprüft, erzählt Markus Roth im "Klima-Labor" von ntv.de. Der Physiker will mit seinem Unternehmen Focused Energy schon 2037 oder 2038 ein Demonstrationskraftwerk ans deutsche Stromnetz anschließen. Im Interview erzählt Roth, warum Lasertechnologie ein hoffnungsvoller Ansatz ist und warum vor allem BASF ein möglicher Kunde wäre. Es gibt aber noch Hindernisse: "Einen Stern auf die Erde zu holen und zu melken, ist viel komplizierter als Raketenwissenschaft."

ntv.de: Sie wollen schon in 15 Jahren ein Demonstrationskraftwerk ans deutsche Stromnetz bringen. Wird das genauso groß wie der riesige ITER, der gerade im französischen Cadarache zusammengebaut wird?

Markus Roth: Der ITER ist ein Fusionskraftwerk mit Magnetfusion. Wir verfolgen einen Ansatz, bei dem die Fusion mittels Hochleistungslasern initiiert wird. Kleiner wird unser Kraftwerk nicht werden, aber doch etwas modularer als das System in Südfrankreich.

Können Sie das konkretisieren?

Wir gehen schon davon aus, dass wir eine Grundfläche von ein bis zwei Fußballfeldern für das Kraftwerk brauchen werden. Denn die eigentliche Kammer, in der die Reaktion stattfindet und wo die Energie erzeugt wird, muss einen gewissen Mindestdurchmesser haben. Denn egal, welches Material wir verwenden: Wenn man Atomkerne miteinander verschmelzen will, bedarf es extrem hoher Temperaturen. Wir reden von einigen Hundert Millionen Grad. Denn man kann nur eine bestimmte Menge Megawatt pro Quadratmeter als Energiestrom durch eine Oberfläche schicken und erwarten, dass diese Oberfläche lange hält. Wenn Sie also ein Gigawatt-Kraftwerk bauen wollen, brauchen Sie eine Reaktoroberfläche mit einer gewissen Größe.

Wie genau entsteht nochmal die Energie?

Die Fusion ist das Gegenteil der Kernspaltung. Bei der Kernspaltung wird ein großer und schwerer Atomkern kleingehackt. Bei der Kernfusion werden dagegen kleine und leichte Atomkerne bei extrem hohen Temperaturen miteinander verschmolzen. Wir nehmen dafür Wasserstoff. Als "Asche" entsteht Helium. Bei dieser Reaktion werden große Mengen Energie frei. Ich betrachte das von der buchhalterischen Seite: Am Anfang muss ich viel investieren, also Energie hineinstecken, um das Ganze aufzuheizen. Erst, wenn die Reaktionen beginnen, wird Energie geliefert.

Das war immer eines der großen Probleme der Fusionsenergie.

Ein Kraftwerk, das vor allem Energie verbraucht, aber keine liefert, wäre ziemlich albern. Deswegen muss man dieses extrem heiße Gas, wir sagen dazu Plasma, im Reaktor einschließen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Beim Magnet-Einschluss versucht man, ein sehr dünnes Gas über sehr starke Magnetfelder sehr lange zusammenzuhalten. Die andere Variante ist die Laserfusion. In unserem Fall versuchen wir gefrorenen Wasserstoff mit Hochleistungslasern unglaublich schnell und stark zu komprimieren. Dann sind die Abstände zwischen den Atomen so klein, dass sie nicht mehr entkommen können, wenn die Reaktion beginnt.

Professor Markus Roth lehrt und erforscht Laser- und Plasmaphysik an der TU Darmstadt. Zudem ist er Mitbegründer und Chief Science Officer des Unternehmens Focused Energy.

Professor Markus Roth lehrt und erforscht Laser- und Plasmaphysik an der TU Darmstadt. Zudem ist er Mitbegründer und Chief Science Officer des Unternehmens Focused Energy.

(Foto: Focused Energy)

Und der große Vorteil ist am Ende, dass man endlos Energie erzeugt, aber keinen nuklearen Müll?

Bei der Reaktion selbst entsteht kein radioaktiver Müll. Das Abfallprodukt ist lediglich Helium. Allerdings entsteht bei jeder Reaktion mit so hohen Energiedichten radioaktive Strahlung, während der Reaktor läuft. Dadurch werden Komponenten aus dem Reaktor selbst radioaktiv. Wenn der Reaktor also das Ende seiner Lebenszeit erreicht, bleibt radioaktiver Abfall übrig. Ganz ohne geht es nicht. Aber wenn ich Materialien verwende, die schnell wieder zerfallen, kann ich sie nach 10, 20 oder vielleicht 50 Jahren zum Beispiel wieder als Stahl für das nächste Kraftwerk verwenden. Ich brauche kein Endlager, wie bei der herkömmlichen Kernkraft.

Kernkraftwerke stehen ja häufig wegen der Kühlung an Flüssen. Könnte man die stillgelegten AKW zu Fusionskraftwerken umbauen?

Tatsächlich werden die AKW-Standorte als zukünftige Standorte für Fusionskraftwerke untersucht. Denn wie Sie richtig gesagt haben, eignen sich Flüsse prima für die Kühlung. Man darf auch nicht vergessen, dass auf den Flächen bereits Leitungsinfrastruktur vorhanden ist, denn das AKW hat ebenfalls Strom im Gigawatt-Bereich ins Netz eingespeist. Persönlich würde ich aber lieber Kohlekraftwerke durch Fusionskraftwerke ersetzen. Dann würde man auch noch CO2 aus der Atmosphäre heraushalten.

In Frankreich sieht man aber, dass Kernkraftwerke regelmäßig heruntergefahren werden müssen, weil die Flüsse durch den Klimawandel zu wenig Wasser führen oder zu heiß werden, um die Reaktoren zu kühlen. Wäre das nicht auch ein Problem für Ihr Kraftwerk?

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Grundsätzlich ist das für alle thermischen Kraftwerke ein Problem, die in irgendeiner Weise über einen Wärmeprozess und eine Dampfturbine Strom erzeugen. Der Charme eines Fusionskraftwerks ist, dass der Reaktor selbst mit einer Temperatur von ungefähr 900 Grad arbeitet. Das ist deutlich heißer als in Kernkraftwerken, bedeutet aber, dass die Stromerzeugung über Wärmetauscher und Dampfturbine sehr effizient abläuft. Außerdem kann man bei so hohen Temperaturen tatsächlich auf eine reine Luftkühlung wechseln. Man muss das nicht unbedingt mit Wasser kühlen.

Wie realistisch ist Ihr Zeitplan denn? Es heißt immer scherzhaft, der Durchbruch sei noch 30 Jahre entfernt. Wurde dieser Durchbruch in Kalifornien wirklich schon erreicht?

Sie haben die Kernfusion am Anfang als den Heiligen Gral benannt. Das stimmt. Die Fusion ist das schwierigste Experiment, das Menschen je gemacht haben. Wir sagen spaßeshalber immer, das sei keine Raketenwissenschaft. Denn wäre es Raketenwissenschaft, hätten wir sie in den Sechzigern schon gehabt. Einen Stern auf die Erde zu holen und zu melken, ist viel komplizierter. Deswegen war dieser Witz jahrzehntelang gültig. Man hat sehr viel lernen müssen. Aber diese Lernkurve hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Und eigentlich ist der große Durchbruch auch nicht im Dezember 2022 erfolgt, sondern schon am 8. August 2021: Damals ist in Kalifornien das erste Mal nachweislich brennendes, sich selbst erhaltenes Plasma im Reaktor erzeugt worden. In der Wissenschaft war seitdem klar, die Fusion funktioniert. Die Kerze wurde angesteckt und hat gebrannt. Nur noch nicht lange genug, um mehr Energie herauszuholen, als man hineingesteckt hat.

Ein bisschen was gibt es aber noch zu tun?

Wir als Branche haben ungefähr ein Prozent der elektrischen Energie als Fusionsenergie zurückgeben können. Das ist das generelle Problem: Es kommt noch keine Energie heraus. Dafür braucht man eine Fusionsreaktion, die einen Verstärkungsfaktor von mindestens 100 liefert. Aber man muss bedenken, dass sich die Lasersysteme in Kalifornien auf dem technischen Stand von 1980 befinden. Wenn man sich überlegt, wie damals Handys und Computer ausgesehen haben, ahnt man, welche Fortschritte noch möglich sind.

Wir können also aufhören, uns über Windräder in der Landschaft zu streiten, und eigentlich schon zurücklehnen?

Das wäre der völlig falsche Ansatz. Denn erstens haben wir grüne Technologien, die funktionieren. Die müssen wir so schnell wie möglich ausbauen, um energieautark zu werden und unseren Kohlenstoff-Fußabdruck zu senken. Deswegen bin ich absoluter Befürworter eines möglichst schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energien. Zweitens bin ich ein Gegner dieser Idee, dass eine Technologie alle glücklich macht. Wir werden auch in Zukunft einen Energiemix brauchen. Für Häuser und Städte ist eine dezentrale Energieversorgung über Solar und Wind eine tolle Sache. Wofür braucht man dann noch Fusionskraftwerke mit bis zu fünf Gigawatt Leistung? Ich kann mir vorstellen, dass BASF in Ludwigshafen sehr daran interessiert wäre. Denn die haben auf einer Grundfläche von elf Quadratkilometern den Energieverbrauch von Dänemark.

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Dafür müssen wir aber noch Herstellungspreise erreichen, die im Bereich von zwei bis vier Cent, vielleicht auch vier bis sechs Cent pro Kilowattstunde liegen. Dann sind wir weltweit konkurrenzfähig, zumal die Energie ständig zur Verfügung stehen wird. Und wir müssen den Übergang vom wissenschaftlichen Durchbruch zum Kraftwerk finden.

Mit Markus Roth sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.

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Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

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Quelle: ntv.de

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