Sigmar Gabriel bei n-tv.de Wahlkampf gegen "Merkels Märchenbuch"
28.06.2013, 14:56 Uhr
Parteichef und Kandidat: "Was da in der Öffentlichkeit zum Teil aufgebauscht wird, ist albern."
(Foto: picture alliance / dpa)
Rot-Rot-Grün geht nicht wegen der "Sektierer und Verrückten" in der Linkspartei, sagt SPD-Chef Gabriel im Interview mit n-tv.de. Eine Große Koalition wolle die SPD nach ihren Erfahrungen von 2005 bis 2009 "auf keinen Fall" noch einmal. Definitiv ausschließen will Gabriel beide Szenarien aber nicht.
n-tv.de: Die Union hat in dieser Woche ihr Wahlprogramm verabschiedet. Wie gefällt Ihnen das, was Angela Merkel den Wählern präsentiert?
Sigmar Gabriel: Das ist Angelas Merkels Märchenbuch. Das Schlimmste, was man in der Politik machen kann, ist, Dinge zu versprechen, die nach der Wahl unter Garantie nicht kommen. In einer Zeit, in der wir alle wissen, dass wir Schulden abbauen müssen, Wahlversprechen von 50 Milliarden Euro zu machen, und das Ganze ohne einen einzigen Satz dazu, wie man das eigentlich finanzieren will - das ist doch längst überholt.
Warum überholt?
Alle Parteien, auch die SPD, haben in der Vergangenheit den Fehler gemacht, gelegentlich Dinge zu versprechen, von denen man wusste, dass man sie nicht einhalten kann. Das ist einer der Gründe, warum viele Menschen so skeptisch gegenüber der Politik geworden sind. Diese Zeit muss endlich vorbei sein. Wir können es uns nicht erlauben, die Menschen immer weiter zu enttäuschen. Deshalb wäre Angela Merkels Programm ein Turbo-Lader für Politikverdrossenheit, wenn sie wieder Kanzlerin würde. Die Menschen würden sofort feststellen: Nichts davon wird eingelöst.
Trotzdem ist Merkel in der Bevölkerung sehr populär. Die CDU steht bei 41, die SPD aber nur bei 22 Prozent. Woran liegt das?
Worum es geht, ist die Frage: Wie schaffen wir es, dass möglichst viele Nichtwähler diesmal ihre Stimme abgeben? Sauer über die Politik sind wahrscheinlich die meisten Menschen irgendwann einmal. Der Unterschied zwischen konservativen und sozialdemokratischen Anhängern ist: Die Konservativen gehen trotzdem hin, unsere bleiben oft zuhause.
Wie wollen Sie das ändern?
Wir müssen den Menschen zeigen: Es geht um was am 22. September. Um die Frage, ob Arbeit wieder vernünftig bezahlt wird. Ob wir Leih- und Zeitarbeit einschränken, darum, dass junge Menschen endlich wieder einen sicheren Job finden. Dafür zu sorgen, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden. Es geht auch darum, dass die Suche nach einem guten Arzt nicht immer stärker vom Gehalt abhängt. Wir wollen dafür sorgen, dass die Mieten in den Städten nicht explodieren und Menschen nach jahrzehntelanger Arbeit eine faire Rente bekommen. Und es geht darum, dass wir die Finanzmärkte endlich so regulieren, dass wir nicht Hunderte Milliarden Euro Steuergelder zur Rettung von Banken ausgeben müssen. Diese Themen stehen zur Wahl. Dass CDU, CSU und FDP nicht die Absicht haben, daran etwas zu ändern, haben sie vier Jahre lang unter Beweis gestellt. Dabei gibt es eine Chance, die Entwicklung dieses Landes wieder fairer und gerechter werden zu lassen.
Schauen wir auf die Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück: Gerade am Anfang hatte man das Gefühl, dass es kein fertiges Drehbuch für ihn gab. Warum ist da so viel schiefgelaufen?
Es ging darum, wie viel er über seine Bücher und seine Vorträge verdient. Dabei wurde das nie verheimlicht, denn es steht in den Veröffentlichungen des Deutschen Bundestags. Aber das hat eine ganze Weile die öffentliche Debatte bestimmt. Ein einfacher Start war das sicherlich nicht für ihn.
Manchmal scheint es, als habe er sich davon nicht so recht erholt.
Es war die Union, die sich nach der Debatte um die Nebeneinkünfte geweigert hat, jeden Cent öffentlich zu machen, den ein Abgeordneter anderswo verdient. Steinbrück hat das gemacht. Die CDU will dagegen bis heute nicht völlige Transparenz schaffen. Sie ist nicht einmal bereit, endlich die UN-Konvention gegen Korruption in der Politik umzusetzen. Ich finde das bemerkenswert. Wir brauchen einen Rechtsrahmen, in dem Abgeordnete endlich bestraft werden können, wenn sie bestechlich sind. Das verweigern Union und FDP. Deswegen finde ich, dass Steinbrück mit seiner Haltung jeden Respekt verdient hat.
1998 hatte die SPD großen Erfolg mit zwei sehr unterschiedlichen Typen an ihrer Spitze, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Warum gelingt das bei Ihnen und Steinbrück nicht?
Die Mentalitätsunterschiede, die es zwischen Steinbrück und mir gibt, gab es sicherlich auch zwischen Lafontaine und Schröder. Aber was da in der Öffentlichkeit zum Teil aufgebauscht wird, ist albern. Wir haben ein gemeinsames Programm, die SPD war lange nicht so geschlossen. Dass es auch mal rauscht im Karton, ist doch normal. Jeder Mensch kennt das aus Drucksituationen in seinem eigenen Leben. Diesen Konflikt zwischen Steinbrück und mir gibt es so nicht, wie er oft dargestellt wird.
Es sind noch zwölf Wochen bis zur Bundestagswahl. Was passiert, wenn es am 22. September nicht reicht für Rot-Grün?
Die Alternative zu Rot-Grün ist Schwarz-Gelb. Und die schlimmste Gefahr ist, dass es dann so weitergeht wie bisher. Eigentlich geht der Kampf in Europa um die zweite Bändigung des Kapitalismus. Die erste haben wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der sozialen Marktwirtschaft nationalstaatlich geschafft. Aber das funktioniert im Zeitalter globaler Märkte nicht mehr. Deswegen muss es darum gehen, wenigstens in Europa die Finanzmärkte und die unfassbaren Spekulationen, die uns so viel Geld kosten, zu regulieren.
Gibt es einen Notfallplan, den Sie schon vorbereitet haben, wenn Rot-Grün keine Mehrheit hat? Hätten Sie dann lieber eine Große Koalition oder Rot-Rot-Grün?
Rot-Rot-Grün geht deshalb nicht, weil wir nicht wissen, was die Linkspartei eigentlich ist. Sind das die pragmatischen Linken aus dem Osten? Mit denen kann man natürlich regieren. Oder sind es die Sektierer und Verrückten aus dem Westen? Solange die Linkspartei nicht klärt, was für eine Partei sie ist, kann man mit ihr nicht regieren. Bis zur Bundestagswahl wird sie das nicht mehr schaffen. Deswegen schließen wir das aus. Nach den Erfahrungen, die wir zwischen 2005 und 2009 gemacht haben, wollen die Sozialdemokraten auf keinen Fall nochmal eine Große Koalition: Wir durften die Arbeit machen und Angela Merkel hat den Wahlerfolg eingeheimst. Auf eine Wiederholung dieses Spiels haben wir bestimmt keine Lust.
Also würden Sie beides definitiv ausschließen?
Es ist in Deutschland eigentlich nicht üblich, dass Parteien vor Wahlen jedwede Koalition ausschließen. Aber ich schließe aus, dass wir im Traum daran denken, so ein Wahlergebnis herbeizuführen. Einen Richtungswechsel kann man nur hinbekommen, wenn man die jetzige Koalition ablöst und nicht Frau Merkel zu einer weiteren Regierungsperiode verhilft.
Mit Sigmar Gabriel sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de