Interview mit Manfred Güllner Warum FDP-Wähler die Ampel skeptisch sehen
17.02.2022, 10:41 Uhr
"Die unterschiedlichen Grundhaltungen führen zu sehr unterschiedlichen Einstellungen bei vielen politischen Fragen", sagt Forsa-Chef Güllner über die Anhänger der Ampelparteien.
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Umfragen zeigen, dass Anhänger von SPD und Grünen mehrheitlich mit der Ampelregierung zufrieden sind, FDP-Anhänger dagegen nicht. "FDP-Anhänger haben andere Problemprioritäten als die der SPD und vor allem die der Grünen", sagt Forsa-Chef Manfred Güllner im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Kürzlich kam bei einer Forsa-Umfrage heraus, dass fast zwei Drittel der FDP-Anhänger weniger oder gar nicht zufrieden mit der bisherigen Arbeit der Bundesregierung sind. Kündigt sich hier ein Absturz der Freidemokraten an?
Manfred Güllner: Nein, ich glaube, der Rückgang der Umfragewerte bei der FDP hat nichts damit zu tun, dass die Anhänger der Liberalen unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung sind. Das hat andere Gründe. Wir haben ja bei der Bundestagswahl gesehen, dass viele Anhänger der Union aus Frust über den Spitzenkandidaten zur FDP gewandert sind. Die gehen jetzt teilweise wieder zur CDU zurück.
In dieser Woche haben Sie ermittelt, dass von den FDP-Anhängern 61 Prozent mit der Arbeit des Bundeskanzlers weniger oder nicht zufrieden sind. Können Sie einschätzen, was FDP-Wähler an Olaf Scholz stört?
Das haben wir so konkret nicht gefragt, insofern kann ich das nicht exakt beantworten. Aber wir sehen generell, dass die Anhänger der FDP in ihren Einstellungen abweichen von den Anhängern der beiden anderen Ampelparteien. Ich gehe davon aus, dass es mit Blick auf Scholz um die generelle Kritik geht, die auch in den Medien vielfach an ihm geäußert wurde: dass er häufig schwammig bleibt, dass er nicht präsent genug ist und dass er in einigen Punkten, etwa in der Corona-Politik, keinen klaren Kurs hat.
Worin unterscheiden sich die Einstellungen von FDP-Anhängern einerseits und SPD- und Grünen-Anhängern andererseits?
FDP-Anhänger haben andere Problemprioritäten als die der SPD und vor allem die der Grünen. Das fängt mit dem Klimaschutz an: Dieses Thema ist für die Anhänger der Grünen extrem wichtig, für FDP-Anhänger deutlich weniger. Ökonomische Themen, etwa die Bekämpfung der Inflation, sind wiederum für die FDP-Anhänger sehr viel wichtiger als für die Anhänger der Grünen, teilweise auch als für die Anhänger der SPD. Dafür ist die soziale Gerechtigkeit für die Anhänger der SPD ein zentrales Thema, das interessiert FDP-Anhänger wenig. Die unterschiedlichen Grundhaltungen führen zu sehr unterschiedlichen Einstellungen bei vielen politischen Fragen.
Auch das "Staatsvertrauen" der FDP-Anhänger ist deutlich geringer als das von Anhängern von SPD, Grünen und auch der Union. So haben zum Bundestag 73 Prozent der Anhänger der Grünen und 69 Prozent der SPD-Anhänger großes Vertrauen, jedoch nur 44 Prozent der FDP-Anhänger. Haben Sie dafür eine Erklärung?
FDP-Anhänger sind generell skeptisch gegenüber Großorganisationen und gegenüber staatlichen Eingriffen. Das gehört zur Tradition des Liberalismus. Für SPD und Grüne sind staatliche Eingriffe dagegen ein wichtiges Steuerungsinstrument. FDP-Anhänger betrachten sie eher als Drangsalierung und Bevormundung.
Steckt diese Haltung dahinter, wenn die Zufriedenheit der FDP-Anhänger mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach noch geringer ist als die von Anhängern von CDU und CSU?
In der Bevölkerung war durchaus eine gewisse Euphorie für Lauterbach vorhanden, weil er für einen restriktiven Kurs in der Corona-Politik stand. FDP-Anhänger waren da von Anfang an zurückhaltender.
Das gilt sehr viel stärker noch für die Anhänger der AfD, die zu 89 Prozent unzufrieden mit Lauterbachs Corona-Management sind. Gibt es eine Nähe zwischen AfD- und FDP-Anhängern?
Die AfD-Anhänger sind eine homogene Gruppe, die das gesamte System und dessen Maßnahmen - so auch die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie - ablehnen. Ein beachtlicher Teil der FDP-Anhänger, die sich selbst im rechten politischen Spektrum verorten, stimmt mit den Einstellungen der AfD-Anhänger zur Corona-Politik weitgehend überein, zieht aber dennoch noch einen klaren Trennungsstrich zu dieser im Kern rechtsradikalen Partei.
FDP und Grüne waren bei der Bundestagswahl beide sehr erfolgreich bei jüngeren Wählern. Konkurrieren beide Parteien um dieselben Milieus?
Es gibt Gemeinsamkeiten, was die soziale Herkunft anbelangt, den Ausbildungsstand und das Einkommen. Sowohl die Anhänger der FDP als auch die der Grünen kommen tendenziell aus den oberen Bildungs- und Einkommensschichten. Beide sind "reicher" als die Anhänger der anderen Parteien. Aber in den Einstellungen gibt es deutliche Unterschiede.
Inwiefern?
Ich habe einmal flapsig gesagt, dass die Grünen in den öffentlichen Dienst und in die Bildungseinrichtungen gehen und die FDP-Anhänger in die Wirtschaft. Da ist im Kern etwas dran. Diesen Unterschied sehen wir auch bei den jungen Wählern von FDP und Grünen. Auch für die jungen FDP-Wähler ist nicht der Klimaschutz das wichtigste Thema, sondern es sind ökonomische Fragen. Und es sind auch mehr Männer als Frauen. Man könnte die Wahl der FDP in dieser Generation in gewisser Weise als Aufstand der jungen Männer gegen den aus ihrer Sicht ausufernden grünen und weiblichen Zeitgeist sehen. Junge Wählerinnen haben dagegen überwiegend grün gewählt.
Sie sagten, ein Grund für den Erfolg der FDP bei der Bundestagswahl sei Frust über die Union gewesen. Heißt das, die FDP kann nur zulegen, wenn die Union Fehler macht?
Nein. Die Kernwählerschaft der FDP war immer gering, das waren immer nur 3 bis 4 Prozent. Aber eine liberale Partei, die sich um Menschenrechte kümmert und den Bürger vor dem übermächtigen Staat schützt, hat in Deutschland ein Riesenpotenzial. Nur muss diese Politik dann auch umgesetzt werden. Meist schafft die FDP es nicht, dieses Potenzial auszuschöpfen.
Die Grünen stehen als einzige der Ampelparteien im Trendbarometer seit der Bundestagswahl bei 16 Prozent, mal ein Punkt mehr, mal einer weniger. Warum ist die Partei so stabil?
Es gibt zwei Gruppen von Grünen-Anhängern. Das eine sind Wähler, die sehr früh zu den Grünen kamen und treu zu ihnen halten, bis sie auf dem Friedhof liegen. Denen ist es schnuppe, welche Themen die Grünen besetzen, wer gerade Vorsitzender ist und ob es zwei oder fünf Parteichefs gibt. Das andere sind Wähler, die eher aus Unzufriedenheit mit anderen Parteien zu den Grünen gekommen sind - einige von der SPD, andere von der CDU, als die sich zu weit nach rechts gewendet hat. Im Moment sehen diese Wähler keinen Grund, sich von den Grünen abzuwenden, weil der Zustand der SPD und der CDU sich seit der Bundestagswahl nicht grundlegend geändert hat.
Wenn die Volksparteien schrumpfen, werden Koalitionen über die klassischen Lagergrenzen hinweg künftig eher die Regel als die Ausnahme sein. Haben Sie einen Tipp, wie die amtierende Koalition es schaffen könnte, dass die Anhänger aller Ampelparteien mehrheitlich zufrieden sind?
Zunächst einmal halte ich es für problematisch, dass durch die Dominanz von FDP und Grünen bestimmte soziale Schichten politisch nicht mehr vertreten werden. Das könnte sich bei späteren Wahlen auswirken, indem die Wahlbeteiligung sinkt, weil Wählergruppen zu Hause bleiben, die nicht zu den oberen Bildungs- und Einkommensschichten gehören. Das kann dann tatsächlich noch zu einer Spaltung in der Gesellschaft führen. Ob die Ampel insgesamt in den nächsten dreieinhalb Jahren, die sie noch bis zur nächsten Wahl hat, die anfängliche Euphorie wieder ein bisschen anfachen kann, das wird man sehen. Ich bin da eher skeptisch.
Bewegen sich die Einbußen der SPD seit der Wahl eigentlich im normalen Rahmen nach dem Neustart einer Regierung?
Dass eine führende Regierungspartei im Laufe der Legislaturperiode an Zustimmung verliert und dann kurz vor der nächsten Wahl ihre Anhänger wieder einsammeln kann, haben wir schon häufig gesehen. Aber die Hoffnung der SPD war, mit dem Wahlergebnis vom 26. September 2021 habe sie eine Renaissance der Sozialdemokratie eingeläutet. Dem ist nicht so. Die Realität und die Erwartungshaltung der SPD klaffen stark auseinander.
Mit Manfred Güllner sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de