Riesen-Demo der Bauern Weit über 5000 Fahrzeuge in Berlin - Fäkalien-Wagen gestoppt
15.01.2024, 07:55 Uhr Artikel anhören
Auch viele Spediteure und Handwerker unterstützen den Bauernprotest.
(Foto: IMAGO/photothek)
Der Bauern-Protest erreicht seinen Höhepunkt: In Berlin versammeln sich Tausende Landwirte mit großen Traktoren und Landmaschinen. Mehrere Fahrzeuge, die mit "Fäkalien" beladen sind, werden von der Polizei gestoppt. Diese ist mit einem Großaufgebot vor Ort.
In Berlin hat die vom Deutschen Bauernverband organisierte Großdemonstration gegen die geplanten Sparmaßnahmen der Bundesregierung im Landwirtschaftssektor begonnen. "Weit über 5000 Fahrzeuge" wie Traktoren und Lastwagen seien dafür in die Hauptstadt gekommen, sagte eine Sprecherin der Polizei. Es handle sich um eine vorsichtige erste Schätzung, für genauere Angaben zur Zahl der Demonstrationsteilnehmer sei es noch zu früh.
Im Bereich rund um das Brandenburger Tor kommt es zu massiven Verkehrsbeeinträchtigungen, die bisher jedoch "im erwarteten Rahmen" blieben, wie die Sprecherin ausführte. Insgesamt habe es bislang kaum besondere Vorkommnisse gegeben. Nach Polizeiangaben waren am frühen Morgen mehrere Fahrzeuge aufgefallen, die mit "Fäkalien" beladen waren. "In Absprache mit der Versammlungsleiterin werden die Fahrzeuge von der Anfahrt ausgeschlossen", erklärte die Polizei.
Die Demonstration wird von 1300 Polizisten begleitet. Vor allem zur Begleitung der Fahrten der Traktoren und Lastwagen in das Regierungsviertel sei die Polizei nötig, sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Dem Schutz des Regierungsviertels käme dabei eine "ganz besondere Bedeutung" zu. Die Polizei rechne mit deutlich mehr als den angemeldeten 10.000 Demonstranten. Im Internet sei auch in geringem Maße von staatsfeindlicher und rechtspopulistischer Seite zur Teilnahme aufgerufen worden.
Bereits am Wochenende waren Traktorkolonnen aus verschiedenen Regionen nach Berlin gefahren. Die Behörden wiesen Plätze zum Aufstellen der Fahrzeuge aus. Am Sonntagabend war der für die Demonstration eingeplante Bereich im Stadtzentrum bereits voll, die Polizei leitete weitere anreisende Protestteilnehmer zum Abstellen ihrer Fahrzeuge auf Flächen rund um das Olympiastadion im Westen Berlins um. "Es geht nichts mehr", sagte ein Polizeisprecher am Abend.
Auf der Großdemonstration gegen das geplante Aus von Diesel-Vergünstigungen für die Landwirtschaft will in Kürze neben Vertretern der Verbände auch Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP sprechen. Zu dem Protest hatten Bauernverbände und der Speditionsverband BGL aufgerufen. Am Nachmittag wollen sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann und FDP-Fraktionschef Christian Dürr mit den Spitzen der Bauernverbände zu einem Dialog im Bundestag treffen.
SPD-Fraktionsvize: Muss mehr Einkommen auf den Höfen ankommen
In der SPD zeichnet sich indes die Bereitschaft zu einer weiteren Annäherung an die Landwirte ab. "Es muss einfach mehr Einkommen auf den Höfen ankommen und es muss eine klare Zukunftsperspektive für die nächste Generation geben", sagte Fraktionsvize Dirk Wiese dem "Spiegel". "Die von der Regierung teilweise zurückgenommenen Subventionskürzungen begrüßte er als "Korrekturen", die ein wichtiger Schritt auf die Bauern zu seien. "Das reicht vielen noch nicht, aber es ist auch nicht nichts", so Wiese. "Agrardiesel und KFZ-Steuer sind schließlich nur die Dinge, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben."
Lindner sagte am Sonntag, er werde bei der Kundgebung "nicht versprechen können, dass alle Bereiche der Gesellschaft Konsolidierungsbeiträge leisten müssen - nur einer nicht". Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Haßelmann sagte, die Forst- und Landwirtschaft bleibe von der KFZ-Steuer befreit und die Beihilfe beim Agrardiesel werde schrittweise reduziert, sodass sich alle darauf einstellen könnten. "Das ist eine Lösung, die den Landwirtinnen und Landwirten hilft und gleichzeitig die Gesamtverantwortung für den Haushalt im Blick behält. Bäuerinnen und Bauern haben mit ihren Protesten deutlich gemacht, dass es auch um Planungssicherheit und wirtschaftliche Perspektiven geht."
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir geht davon aus, dass es bei den Protestkundgebungen um die Situation der Landwirtschaft insgesamt geht. "Mein Interesse ist es, jetzt konstruktiv nach vorne den Blick zu richten. Das ist jetzt auch eine Chance, all die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu korrigieren", so Özdemir im ntv-Frühstart. Er habe immer davor gewarnt, einen Bereich übermäßig zu belasten. "Es ist gut, dass die Regierung das dann zum Teil korrigiert hat. Aber sie hat spät korrigiert. Wenn man ehrlich ist, das ist wie eine Medizin, die man zu spät verabreicht, dann wirkt sie einfach nicht mehr."
Führende CDU-Politiker kritisierten Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Proteste der Landwirte würden von radikalen Kräften gezielt geschürt. "Ich rate der Bundesregierung, keine Ablenkungsmanöver zu führen, sondern den Unmut, der hier hochkocht, ernst zu nehmen und ihre erratische Politik zu überdenken", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der "Bild"-Zeitung. Die Veranstalter müssten sich von Verfassungsfeinden und Gewaltaufrufen klar distanzieren. "Die Bauern tun das." Scholz hatte erklärt, Wut werde "gezielt geschürt". Extremisten würden jeden politischen Kompromiss "verächtlich machen".
Foodwatch: Landwirtschaft ist "so nicht zukunftsfähig"
Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte angesichts der Proteste eine grundlegende Reform des Agrarsystems. "Die Landwirtschaft in Deutschland steckt seit Jahrzehnten in der Krise und ist so nicht zukunftsfähig", sagte Foodwatch-Geschäftsführer Chris Methmann. "Die Probleme im Agrarsektor lassen sich nicht mit vergünstigtem Diesel lösen." Die Wut der Bauern sei zwar verständlich. "Allerdings befeuern sowohl die Ampel mit ihren willkürlichen Kürzungen als auch der Bauernverband mit seiner aufwiegelnden Rhetorik einen absoluten Nebenschauplatz", kritisierte Methmann.
"Billig-Agrarexporte für den Weltmarkt und eine nachhaltige Landwirtschaft mit fairen Preisen für die Landwirtinnen und Landwirte gehen nicht zusammen", sagte der Foodwatch-Chef. Statt für den Erhalt einer veralteten Subvention zu protestieren, sollte sich die Branche für einen Wandel zu einem System einsetzen, das Höfe belohnt, die umweltverträglich wirtschaften und Arbeitsplätze im ländlichen Raum schaffen.
Die Bundesregierung muss wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts Milliardenlöcher im Bundeshaushalt stopfen und will Steuerbegünstigungen für Agrardiesel schrittweise abschaffen. Auf eine ursprünglich geplante Abschaffung der KFZ-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft will die Regierung verzichten. Der Deutsche Bauernverband fordert aber, die Kürzungen komplett zurückzunehmen.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/rts/AFP