Finanzgipfel in Washington "Weltrevolution" fällt aus
13.11.2008, 09:17 UhrBundeskanzlerin Angela Merkel hat vor dem Weltfinanzgipfel in Washington durchgreifende Reformen der Kapitalmärkte gefordert. Merkel sagte der "Süddeutschen Zeitung": Leitlinie für die Reformen müsse sein, dass "in Zukunft alle Gebiete, alle Produkte und alle Geschäfte" auf den Finanzmärkten angemessen reguliert und überwacht würden. "Es darf keine blinden Flecken mehr geben, in deren Schutz sich Risiken unbeobachtet aufbauen."
Mit Blick auf die Ursachen der Finanzkrise übte Merkel deutliche Kritik an den Akteuren auf den Kapitalmärkten. Die Finanzbranche treffe "insofern eine Verantwortung, als sie sich gegen eine bessere Regulierung gewehrt hat". Weil eine solche Regulierung nur international effektiv sein könne, "hat die Branche darauf gesetzt und davon gelebt, dass sich immer irgendwo irgendjemand verweigert hat". Sie habe auch "kein Verständnis dafür, dass jetzt, kurz nachdem der Staat Schlimmeres verhindert hat, schon wieder vor zuviel Regulierung und staatlichem Einfluss gewarnt wird".
Merkel warb dafür, bei der Reform des internationalen Finanzsystems keine Zeit zu verlieren. Sie zeigte sich optimistisch, dass der Gipfel zu Vereinbarungen kommen könne. Alle Beteiligten, auch die USA und Großbritannien, die sich bislang gegen mehr Regulierung gewehrt hatten, dächten inzwischen "viel stärker in die gleiche Richtung".
Kein "Bretton Woods II"
Derweil bemühen sich wichtige Industriestaaten, die Erwartungen an das Treffen in Washington zu dämpfen. Die Zusammenkunft der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) sei kein "zweites Bretton Woods", hieß es aus Delegationskreisen in Berlin. Das Treffen sei nur "der Anfang eines Prozesses", sagte Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner. Auch ein Berater von US-Präsident George W. Bush sprach vom Beginn einer ganzen Reihe von Gesprächen. Es sei fälschlich der Eindruck entstanden, dass am kommenden Wochenende eine "Weltrevolution" beschlossen werde, hieß es in Berlin. Davon könne jedoch "nicht die Rede sein". Die Konferenz von Bretton Woods, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Finanzsystem neu geordnet hatte, sei zwei Jahre lang vorbereitet worden und habe mehrere Wochen gedauert.
Konkreter Zeitplan erwartet
Nach dem Willen der Bundesregierung soll auf dem Gipfel ein "Aktionsplan" beschlossen werden, der auch "detaillierte zeitliche Vorgaben" enthält. Die Maßnahmen sollen nach den Angaben aus Delegationskreisen "in den nächsten Monaten" abgearbeitet werden. So sei ein weiteres G20-Treffen Ende März wahrscheinlich. Inhaltlich soll es demnach vor allem um mehr Transparenz auf den Finanzmärkten, eine bessere Zusammenarbeit der Finanzinstitutionen sowie Regulierungsmaßnahmen wie etwa einen Verhaltenskodex für Ratingagenturen und Hedge Fonds gehen.
Kouchner sprach von einer "schwierigen Arbeit", die auf dem Gipfel am Freitag und Samstag beginne und hartnäckig fortgeführt werden müsse. Der französische Außenminister nannte zudem den scheidenden US-Präsidenten Bush als mögliches Problem. Dieser habe sich auch nur widerstrebend auf die Organisation des Gipfels eingelassen.
Sarkozy macht Druck, Bush bremst
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte ein "neues Bretton Woods" zur "Neugründung des Kapitalismus" gefordert. Bush steht starken Eingriffen jedoch ablehnend gegenüber.
Er erwarte jedoch "einige konkrete Ergebnisse", sagte Bushs Berater für internationale Wirtschaftsbeziehungen, Dan Price. US-Finanzminister Henry Paulson wies bereits im Vorfeld eine alleinige Verantwortung der USA für die Krise zurück. Das Problem sei unter anderem durch überzogene Übernahmen von Risiken entstanden, sagte Paulson. Für diese "Ausschweifungen" könne nicht eine einzelne Nation verantwortlich gemacht werden. Auslöser der Finanzkrise war der Handel mit unzureichend gesicherten Immobilienkrediten in den USA gewesen.
Obama lässt sich vertreten
Bushs Nachfolger Barack Obama wird nicht an dem Gipfel teilnehmen. Er lässt sich von der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright vertreten. Neben Albright schickt Obama den Republikaner Jim Leach als Vertrauten zum Gipfel, wie sein außenpolitischer Berater Denis McDonough mitteilte. Der ehemalige Abgeordnete hatte den Demokraten im Wahlkampf unterstützt und im gegnerischen Lager um Stimmen geworben. Bush-Berater Price versicherte, dass er bei der Vorbereitung des Gipfels "sehr eng" mit Obamas Mitarbeitern kooperiere.
Teilnehmen wird am Weltfinanzgipfel der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende. Er reise auf Einladung von Sarkozy nach Washington, teilte Balkenendes Büro mit. Die Niederlande und Spanien, das ebenfalls eingeladen wurde, gehören nicht zur Gruppe der G20. Als derzeitiger EU-Ratspräsident hatte Sarkozy aber noch einen Extra-Sitz zu vergeben. Er kündigte bereits vor Tagen an, beide Länder dazubitten zu wollen.
Kampf gegen Klimawandel nicht vergessen
Die Vereinten Nationen appellierten an die Teilnehmer des Gipfels, den Kampf gegen den Klimawandel nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Schaffung einer klimafreundlichen Wirtschaft müsse Priorität haben, sagte der Chef des UN-Umweltprogramms (UNEP), Achim Steiner, in Peking. Ein weltweiter "Grüner New Deal" müsse ein wichtiger Bestandteil des Treffens sein, forderte der Deutsche, der damit auf die als "New Deal" bekannten Wirtschaftsreformen von US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren anspielte.
Quelle: ntv.de