Korrektur, Generalrevision, Neuanfang Wettstreit um Hartz IV
13.01.2010, 17:41 UhrQuer durch Koalition und Opposition geht der Wettbewerb: Wer macht den schönsten Verbesserungsvorschlag für Hartz IV? Union/FDP wollen das Schonvermögen verdreifachen und die Regeln gerechter machen, die SPD will die Altersvorsorge von Älteren ungetastet lassen, Linke und Grünen sprechen von "Theater" und "Scheinheiligkeit".
Die Rufe nach Korrekturen der Hartz-IV-Reform wird in allen Parteien immer lauter. Im Wettstreit um die besten Vorschläge mischt nun auch SPD-Chef Sigmar Gabriel mit. Er strebt deutliche Verbesserungen beim Schonvermögen für Langzeitarbeitslose an und geht damit über die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung hinaus. Arbeitsministerin Allerdings stößt die SPD bei anderen Parteien damit auf Kritik. Ursula von der Leyen (CDU) will mit den von ihr in Aussicht gestellten Nachbesserungen die Hartz-IV-Regelungen gerechter machen.

Die SPD setzte unter Kanzler Schröder die Agenda 2010 durch, Teil davon war Hartz IV. Gabriel fordert jetzt Korrekturen der rot-grünen Arbeitsmarktreformen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Nach Auffassung Gabriels sollten ältere Leistungsempfänger ihr Vermögen behalten dürfen, wenn sie mindestens 30 Jahre gearbeitet haben. "Ich denke, dass wir das Schonvermögen für ältere Arbeitslose noch stärker schützen müssen", sagte Gabriel der "Süddeutschen Zeitung". "Warum darf jemand, der 30 Jahre lang gearbeitet hat, im Fall der Arbeitslosigkeit nicht das behalten, was er für das Alter angespart hat, zum Beispiel seine Lebensversicherung?", fragte der SPD-Chef. Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach sich für Verbesserungen beim Schonvermögen aus. Wenn das Ersparte für die Altersvorsorge eingesetzt werde, sollten die Betroffenen es in vollem Umfang behalten dürfen, sagte er dem "Tagesspiegel".
Die Vorschläge gehen über die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung zum Schonvermögen von Arbeitslosen hinaus. Bislang müssen Langzeitarbeitslose ihren Lebensunterhalt zunächst aus ihrem Vermögen bestreiten, bevor sie staatliche Unterstützung erhalten. Sie dürfen nur einen Betrag von 250 Euro Vermögen pro Lebensjahr behalten. Die Bundesregierung will diesen Satz auf 750 Euro Schonvermögen für die Altersvorsorge erhöhen, ihn bei dieser Summe aber deckeln.
SPD kommt "Jahre zu spät"
Gabriel komme mit seiner "populistischen Forderung Jahre zu spät", erklärte der FDP-Sozialexperte Pascal Kober in Berlin. Schließlich habe die SPD die Hartz-Reformen erdacht und in ihrer jetzigen Form beschlossen. In den elf Jahren ihrer Regierungsverantwortung hätten die Sozialdemokraten genügend Zeit für Änderungen gehabt. Stattdessen habe jetzt die schwarz-gelbe Koalition die Verdreifachung des Schonvermögens beschlossen.
Die Debatte neu angestoßen hatte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) mit seiner Forderung nach einer "Generalrevision" von Hartz IV. Unterstützung bekam er von Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU): "Hartz IV muss aus meiner Sicht generell neu gemacht werden. Das sollte alles einfacher und gerechter werden - jetzt kennt sich überhaupt kein Mensch mehr aus", sagte er im Bayerischen Fernsehen.
Von der Leyen will mehr Gerechtigkeit
Von der Leyen sieht Nachbesserungsbedarf vor allem bei Alleinerziehenden und Jugendlichen. Wichtig sei, dass Langzeitarbeitslose in Beschäftigung kämen. "Der Grundansatz: Jeder kriegt eine Chance, ist richtig", sagte von der Leyen im ZDF. "Aber vieles an dieser Reform ist hastig gemacht worden. Wir müssen jetzt hinschauen, wie wir es gerechter machen können."
Besonders schwierig sei es, wenn einfache Arbeiter weniger verdienten als Empfänger von Arbeitslosengeld II, sagte von der Leyen. Die Kombination von Leistungen des Staates und eigenem Zuverdienst sei schwierig, weil Arbeitnehmer dies ebenso wie Arbeitgeber von vornherein mit einkalkulieren könnten. Man müsse von der Vorstellung wegkommen: "Ich habe Hartz IV und verdiene was dazu". Wichtig seien Anreize, damit die Betroffenen sagten: "Ich verdiene so gut es geht, und wenn es nicht reicht, dann zahlt die Gemeinschaft was dazu". Von der Leyen fügte hinzu: "Man muss gucken, wo die Abbruchkanten sind, wo Leute sagen, wenn ich eine Stunde mehr mache, dann wird mir das weggenommen". Daher müsse die Reform genau vorbereitet werden.
Im Fokus Schonvermögen und Hinzuverdienst
Neben der Verdreifachung des Schonvermögens will die Koalition auch die Grenzen für Hinzuverdienste anheben. Vorschläge sollen bis zum Sommer vorliegen. Derzeit sind 100 Euro vom Nebenverdienst frei. Was darüber hinaus geht, wird zum großen Teil verrechnet.
Kritik von Linken und Grünen
Die Linke kritisierte Gabriels Vorstoß als nicht weitgehend genug. "Die Debatte um eine neue Hartz IV-Reform ist reines Theater, weil die Kernprobleme gar nicht angegangen werden", erklärte Fraktionsvize Klaus Ernst. Da Hartz IV nicht reformierbar sei, müsse es "einen totalen Neuanfang" geben. "Das Gesetz ist und bleibt eine Armuts- und Niedriglohnmaschine." Das Arbeitslosengeld I müsse in der Krise für alle auf 24 Monate verlängert werden, damit weniger Menschen überhaupt in Hartz IV fallen.
Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer warf Union und SPD in der Debatte "Scheinheiligkeit" vor. Sie forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" die sofortige Anhebung der Regelleistung für alleinstehende Erwachsene auf mindestens 420 Euro. Für Kinder und Jugendliche forderte sie eigenständige Regelsätze, die ihren tatsächlichen Bedarf decken.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP