Politik

Russische Energie alternativlos? Wie abhängig ist die EU von Putins Gas?

Sigmar Gabriel und Angela Merkel suchen nach einem Weg aus der Krim-Krise. Ein möglicher Streitpunkt: die Energieversorgung der EU.

Sigmar Gabriel und Angela Merkel suchen nach einem Weg aus der Krim-Krise. Ein möglicher Streitpunkt: die Energieversorgung der EU.

(Foto: REUTERS)

Kanzlerin Merkel will sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas lösen. Fraglich ist, ob das überhaupt geht, zumindest für Wirtschaftsminister Gabriel. Seiner Meinung nach gibt es keine vernünftige Alternative. Hat er recht?

Union und SPD demonstrieren in der Krim-Krise größtmögliche Geschlossenheit. Bis jetzt. Wirtschafts- und Energiewendeminister Sigmar Gabriel widerspricht Kanzlerin Angela Merkel scheinbar in einem entscheidenden Punkt: in der Frage, ob sich Deutschland von russischen Gaslieferungen unabhängig machen kann. Nachdem Kanada und die USA Merkel Lieferungen in Aussicht gestellt hatten, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag: "Es wird eine neue Betrachtung der gesamten Energiepolitik geben." Sie zeigte sich überzeugt davon, dass es gelingen kann, sich von Moskau zu lösen. Nur Stunden später sagte Gabriel: Es gebe gar "keine vernünftige Alternative" zum russischen Gas. Wer hat recht?

Für Gabriel spricht viel, zumindest wenn es darum geht, sehr kurzfristig auf russisches Gas zu verzichten. Zwar könnte Europa einen Lieferstopp eine Weile überbrücken - dank des milden Winters sind die Speicher verhältnismäßig voll. Wie lange, ist unter Experten allerdings umstritten. Die Schätzungen für die einzelnen EU-Staaten reichen von einigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten. Danach allerdings wird es auf jeden Fall kritisch.

Es gibt keinen globalen Gasmarkt

Die USA setzen auf Schiefergas: Damit könnten sie zu einem bedeutsamen Gasexporteur werden.

Die USA setzen auf Schiefergas: Damit könnten sie zu einem bedeutsamen Gasexporteur werden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Es gibt zwar genug Gas auf der Welt, anders als beim Erdöl aber keinen globalen Markt. Denn bisher setzen die meisten Staaten auf Gas-Pipelines. Auch dadurch entstehen nur regionale Gasmärkte. Und sowohl bei den Pipeline-Lösungen als auch bei Alternativen dazu verspielten Deutschland und die übrigen EU-Staaten in den vergangenen Jahren die Chance, sich von Moskau zu lösen.

Sie verzichteten aus Kostengründen auf den Bau der Nabucco-Pipeline, die Gas aus dem kaspischen Raum an Russland vorbei nach Europa hätte transportieren können. Und sie verspielten ebenfalls aus Kostengründen die Gelegenheit, einen Terminal für Flüssiggas in Wilhelmshafen zu bauen, mit dem die Bundesrepublik auch Gaslieferungen per Schiff hätte aufnehmen können - zum Beispiel aus Kanada oder den USA. Die anderen EU-Staaten, in denen es Flüssiggasterminals gibt, schlossen wiederum kaum Lieferverträge für Flüssiggas ab, weil sie das billigere Gas aus Russland vorzogen. Auch heute noch beziehen Deutschland und die EU unter anderem deshalb mehr als jeden dritten Kubikmeter Gas von Moskau.

Preis für kurzfristige Abkehr ist hoch

Das Bruegel-Institut, eine Brüsseler Denkfabrik, berechnete kürzlich, ob es für die 28 EU-Staaten möglich wäre, binnen eines Jahres auf die 130 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland zu verzichten. Das Ergebnis: Es ist zwar möglich, allerdings nur mit gewaltigem Einsatz aller EU-Staaten. Sie müssten alle alternativen Kapazitäten voll auszunutzen, dort wo es möglich ist, auf deutlich teureres Flüssiggas setzen und selbst verstärkte Gasförderung in den EU-Staaten wagen, Umweltschäden inklusive. Obendrein müssten die Europäer mehr Energie sparen und womöglich sogar die Heizungen herunterdrehen.

Vor allem angesichts der Kosten und der möglichen Schäden für die Natur liegt Gabriel also nicht zwingend falsch, wenn er sagt, es gebe keine "vernünftigen" Alternativen. Es ist letztlich ein Abwägungsprozess.

Lieferstopp ist unwahrscheinlich

Auch die Kanzlerin sagt: "Bestimmte Infrastruktur ist noch nicht so da, wie wir dies brauchen könnten". Sie blickt offensichtlich aber weiter in die Zukunft als Gabriel: Die USA werden schon mittelfristig in der Lage sein, große Mengen an Schiefergas in die Welt zu exportieren. Erste Schiefergas-Lieferungen aus den USA sind Experten zufolge in zwei Jahren möglich. Hinzu können Vorkommen aus anderen Staaten, etwa im Nahen Osten und Afrika, kommen, die bisher nicht restlos ausgeschöpft sind. Dort ließen sich Experten zufolge über einen längeren Zeitraum die Kapazitäten steigern. Zugleich schreitet in der EU der Ausbau erneuerbarer Energien stetig voran. Ergänzend kann sich die EU verstärkt um Flüssiggas bemühen, das bisher nur einen Bruchteil der Importe der Mitgliedsstaaten ausmacht. Ein Sprecher des Energieriesen Eon sagt: "Wir glauben, dass Flüssiggas gegen Ende des Jahrzehnts wettbewerbsfähig wird, das kann auch ein paar Jahre früher sein."

Kurzfristig hat also eher Gabriel recht, langfristig Merkel. Ein echter Widerspruch besteht so gesehen also gar nicht. Entscheidender ist daher die Frage: Muss Europa kurzfristig überhaupt auf Lieferungen aus Russland verzichten? In diesem Punkt gibt es weder in der Großen Koalition noch unter Experten allzu große Differenzen. Auch Gabriel ist davon überzeugt, dass ein kurzfristiger Lieferstopp Moskaus ausgesprochen unwahrscheinlich ist. "Selbst in finstersten Zeiten des Kalten Krieges hat Russland seine Verträge eingehalten", sagt der SPD-Politiker. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.

Abhängigkeit hin oder her - ein Ende der russischen Gaslieferungen nach Europa würde den Kreml deutlich härter treffen als die EU. Mehr als die Hälfte der russischen Staatseinnahmen hängt von Öl und Gas ab.

Quelle: ntv.de

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