
Das Logo der Gruppe Wagner an ihrem Hauptquartier in Sankt Petersburg.
(Foto: IMAGO/Russian Look)
Von einer Schattenarmee im Auftrag des Kreml ist die Gruppe Wagner zu einem wichtigen Bestandteil des Systems Putin geworden. Selbst die öffentlich vorgetragene Kritik von Wagner-Chef Prigoschin am Kriegsverlauf nützt dem russischen Machthaber.
Bei seiner vorläufig letzten Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron bestritt Russlands Machthaber noch jede Verbindung zu den Söldnern der Gruppe Wagner. "Die Russische Föderation hat nichts mit privaten Militärorganisationen zu tun, die in Mali operieren", sagte Putin am 7. Februar 2022 im Kreml.
Das war natürlich gelogen. Die Gruppe Wagner war mindestens seit 2019 in dem afrikanischen Land aktiv, auch in andere Länder hat sie ihre Söldner geschickt - nach Syrien, Libyen, in den Sudan, in die Zentralafrikanische Republik und einige mehr. Seit einem Jahr kämpft sie in der Ukraine. Es ist eine Art Rückkehr an den ersten Tatort, denn die Ukraine war auch ihr erster Einsatzort.
Ursprünglich ging die Geheimniskrämerei um Wagner so weit, dass der Ex-Söldner Marat Gabidullin sich noch im vergangenen Sommer im Interview weder zum Chef der Gruppe, Jewgeni Prigoschin, äußern wollte noch zu Dmitri Utkin, dem eigentlichen Wagner-Gründer, einem russischen Rechtsradikalen, der sich ein Hakenkreuz auf die Brust und SS-Runen ans Schlüsselbein hat tätowieren lassen. Utkins Verbleib ist unklar, 2016 soll er das letzte Mal öffentlich aufgetreten sein.
Machtkampf mit der Armee
Dabei haben Putin und sein Regime das Versteckspiel um die einstige "Schattenarmee" längst aufgegeben. Im September 2022 räumte Prigoschin öffentlich ein, Wagner im Jahr 2014 gegründet zu haben, um die angeblichen Separatisten in der Ostukraine zu unterstützen. Fünf Monate später gab er zu, eine Trollfabrik gegründet zu haben, mit der Russland versuchte, die Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 zu beeinflussen.
Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, an dem sich Wagner-Chef Prigoschin nicht zu Wort meldet - entweder um den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu als unfähig zu attackieren, ihn dann doch um Hilfe zu bitten oder um damit zu prahlen, dass seine Söldner eine Stadt erobert hätten, was das Verteidigungsministerium dann dementiert.
Der öffentlich ausgetragene Streit zwischen Schoigu und Prigoschin wird gelegentlich als Machtkampf verstanden, Prigoschin gar als möglicher Putin-Nachfolger gesehen. Der Bonner Russland-Experte Andreas Heinemann-Grüder hält diese Interpretation für abwegig. "In Putins Russland gibt es keine monolithische Machtstruktur", sagt der Politologe im Interview mit ntv.de. "Für ihn ist es sinnvoll, wenn es immer einen Konkurrenten gibt, der einspringen kann, wenn etwas nicht klappt. In diesem Sinne ist die Gruppe Wagner dazu da, das reguläre Militär unter Druck zu setzen. Das funktioniert aber auch umgekehrt: Wenn Wagner nicht in der Lage ist, eine Aufgabe zu erfüllen, steigt der Stern des Generalstabs."
Erinnerungen an Stalin
Letzteres war vor wenigen Monaten zu beobachten, als der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow zum Kommandeur der russischen Invasionstruppen in der Ukraine ernannt wurde. Die Übertragung dieser Aufgabe an den ranghöchsten Soldaten Russlands war auch ein Signal, dass die Hilfstruppen wie Wagner "ein Stück weit in ihre Schranken gewiesen werden", wie Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik damals sagte.
Putin nutzt seine Geheimdienste, das Militär und eben auch die Gruppe Wagner, um seine eigene Macht zu festigen. "Dass es neben den Streitkräften und dem Sicherheitsapparat auch irreguläre, kommerzielle Unternehmen gibt, ist Teil des Putinschen Regimes", sagt Andreas Heinemann-Grüder. Ihn erinnere die Rolle der Gruppe Wagner an das Vorgehen des stalinistischen Regimes: Josef Stalin, sowjetischer Diktator von 1927 bis 1953, habe bei der Entwicklung der ersten sowjetischen Atombombe mehrere Gruppen gegeneinander konkurrieren lassen. "Das Geheimnis des Erfolgs lag darin, dass er Wettbewerb hergestellt hat in einem System, in dem das eigentlich nicht vorgesehen war", so Heinemann-Grüder. "Für Putin bedeutet dieses Vorgehen, dass er sich nicht vom Sicherheitsapparat abhängig macht. Er hat mehrere konkurrierende Sicherheitsapparate, die er gegeneinander ausspielen kann. Würde er sich allein von der Armee, allein von den Geheimdiensten oder allein von der Gruppe Wagner abhängig machen, dann würde er zu deren Geisel."
"Teil des Systems, auf dem Putins Macht basiert"
Wenn Prigoschin also Kritik an der Armee übt, dann ist das nicht als Kritik am System, gar am Herrscher zu verstehen. "Prigoschin könnte seine Kritik nicht äußern, wenn er dafür nicht das Okay vom Kreml hätte", sagt Heinemann-Grüder. "Es ist Teil des Systems der wechselseitigen Schuldzuweisungen, auf dem Putins Macht basiert." Anders als Putin, dessen politische Karriere auf seiner Zeit als Agent aufbaut, gehört Prigoschin nicht zu den "Silowiki", der russischen Funktionselite aus Geheimdienstlern und Militärs. Der Wagner-Chef kommt aus der organisierten Kriminalität: Während Putin in der DDR für den KGB arbeitete, saß Prigoschin unter anderem wegen eines Raubüberfalls in der Sowjetunion im Knast. Die beiden trafen in den 1990er-Jahren aufeinander, als Prigoschin im Glücksspielgeschäft war und Putin in Sankt Petersburg dem Gremium vorstand, das für die Lizenzen solcher Unternehmen zuständig war.
Schon durch Prigoschins direkten Draht zu Putin ist Wagner keine Militärfirma, wie es sie auch im Westen gibt. Zunächst einmal ist da die rechtliche Sonderstellung: Auch wenn es mehrere private Militärunternehmen in Russland gibt, sind sie dort eigentlich illegal. Die US-Politologin Kimberly Marten schrieb 2020 in einem Artikel über die Gruppe, Wagner sei weniger eine private Firma, sondern eine informelle halbstaatliche Sicherheitsgruppe.
Das Urteil von Heinemann-Grüder fällt noch härter aus: "Aus meiner Sicht ist das eine Truppe, die vergleichbar ist mit den Einsatzgruppen der deutschen Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg." Im Krieg werde das exzessive Morden Wagner überlassen. "In dieser Hinsicht unterscheiden sich die russischen Militärfirmen von denen in westlichen Ländern: Auch dort kommen sicherlich Gewaltexzesse vor, aber Gewalt wird nicht als inneres Disziplinierungsmittel genutzt. Zudem müssen westliche Militärfirmen die Skandalisierung fürchten, wenn solche Fälle bekannt werden." Wagner dagegen müsse sich darum nicht kümmern - jedenfalls nicht, solange die Gruppe Putin dient.
Quelle: ntv.de