Politik

Ein Treffen mit dem Regierungschef Wie die Politik Pegida zuhört

Man möchte nicht in seiner Haut stecken: Der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (M.) im Bürgergespräch in Dresden.

Man möchte nicht in seiner Haut stecken: Der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (M.) im Bürgergespräch in Dresden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Pegida-Anhänger verachten Politiker und wollen trotzdem ihre Aufmerksamkeit. Die haben sie jetzt. Der sächsische Ministerpräsident stellt sich ganz offen den Forderungen. Nur eines darf nicht gesagt werden.

Es gibt nur einen Moment an diesem Abend, an dem ein Moderator einen Redner maßregelt. Hier soll ein offener Austausch stattfinden, die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt werden. Aber dann sagt eine Frau, der "rassistische Kern" von Pegida sei nicht mehr wegzudiskutieren. Der Saal buht. Der Moderator moderiert: Die Dame möge das doch bitte nicht als Fakt darstellen, sondern als ihre subjektive Auffassung: "Achten Sie darauf, was Sie sagen."

Neben der jungen Dame sitzt Stanislaw Tillich, Ministerpräsident von Sachsen. Tillich kommentiert die Szene nicht, wie er überhaupt vieles nicht kommentiert, was an diesem Tag gesagt wird. Dabei war er es, der 300 Sachsen nach Dresden zum "Dialogforum" eingeladen hat. Aber Tillich möchte heute Abend vor allem zuhören. Halb Deutschland und viele internationale Beobachter verstehen nicht, was die Sachsen seit Wochen auf die Straße treibt. Vielleicht versteht es Tillich auch nicht, und nun nimmt er sich die Zeit, daran zu arbeiten. So kann man diese Veranstaltung verstehen und so will sie die sächsische Landesregierung verstanden wissen.

Dialogforum "Miteinander in Sachsen": Zur Auftaktveranstaltung diskutieren auf Einladung des Freistaats Sachsen und der Stadt Dresden etwa 300 Bürger über Themen wie Asyl, Integration und Zuwanderung.

Dialogforum "Miteinander in Sachsen": Zur Auftaktveranstaltung diskutieren auf Einladung des Freistaats Sachsen und der Stadt Dresden etwa 300 Bürger über Themen wie Asyl, Integration und Zuwanderung.

(Foto: picture alliance / dpa)

Sie hat einiges dafür getan, dass möglichst viele der teilweise eingeladenen, teilweise ausgelosten Gäste ihre Meinung sagen können. Zuerst erarbeiten kleine Tischrunden Vorschläge für die Politik. Zwar sitzt jeweils ein Regierungsvertreter mit am Tisch, doch der soll höchstens Fragen beantworten und sich nur wenig einmischen. Auch Tillich ist einer dieser Vertreter. Er nimmt an einem Tisch in der Mitte des Saales platz. Nachdem gut eine Stunde diskutiert wurde, gehen Moderatoren herum und lassen einzelne Teilnehmer die Ergebnisse vorstellen. Wer bessere Betreuung für Asylbewerber und bessere Informationen für Anwohner fordert, bekommt dafür Applaus. Wer sagt, dass er schon einmal bei Pegida war, bekommt noch mehr Applaus. Gut zehn Menschen kommen dabei zu Wort, auch Tillich. An seinem Tisch waren vier Pegida-Befürworter und zwei Gegner, berichtet er und lobt die sachliche Diskussion. Zum Asylrecht oder zum Islam sagt er nichts Konkretes. "Hauptsache, man redet miteinander", fasst der Moderator zusammen. "Worüber, ist sekundär."

"Keine Pegida-Propaganda. Verdammt nochmal!"

Das ist der einzige Konsens, auf den sich die Teilnehmer dieser Diskussion verständigen können: Dass es gut ist, miteinander zu reden. Dass jemand an diesem Abend seine Meinung geändert hätte, ist nicht zu erkennen. Es gibt hier Menschen mit konkreten Anliegen und Vorstellungen von einer anderen Asylpolitik. Es gibt allerdings auch viele, die schon immer mal etwas gegen den Afghanistaneinsatz oder die mangelhafte Mittelstandsförderung sagen wollten und jetzt damit die Debatte stören.

Weiter geht es mit einer Podiumsdiskussion mit Tillich, seiner Integrationsministerin und zwei Bürgermeistern. Für je ein Statement werden Menschen aus dem Saal zu ihnen auf die Bühne gelost. Einer von ihnen freut sich, dass Pegida diese Diskussion und wichtige Grundsatzfragen erst möglich gemacht habe. Mit der Perspektive auf das Jahr 2020 müsse man sich fragen: "Wollen wir ein islamischer Staat werden oder nicht?" Da springt eine Frau im Publikum auf: "Wir brauchen keine Pegida-Propaganda. Verdammt nochmal!" Tillich nimmt seinen Nachbarn in Schutz: Es müsse jeder sagen können, was er möchte. "Wir müssen uns die Mühe machen, einander zuzuhören." Kurz darauf folgt die eingangs beschriebene Szene, bei der eine Frau dann doch nicht mehr sagen darf, was sie möchte, weil hier über Pegida keine negativen Urteile fallen sollen.

Vielleicht liegt es nur an der mangelnden Schlagfertigkeit Tillichs, aber die beiden Szenen lassen auch den Schluss zu, dass die CDU in Sachsen vor allem darauf bedacht ist, keine Wähler durch die Pegida-Bewegung zu verlieren.

"Vielleicht ändert sich ja etwas"

Das Treffen am Rande der Dresdener Innenstadt ist das erste seiner Art, auch wenn Tillich betont, dass es schon immer Dialogmöglichkeiten gegeben habe. Man möchte nicht in seiner Haut stecken, jetzt, wo Zehntausende in seinem Bundesland voller Verachtung für die Politik auf die Straße gehen.

"Die Fronten sind verhärtet", sagt ein junger Mann mit Vollbart später. Er hat die ganze Zeit an einem der Tische gesessen und nicht einmal erwähnt, dass er auf der "Dresden für alle"-Demo war, bei der sich 35.000 Menschen gegen Pegida stellten. So sei das halt, meint er und erklärt einiges mit der missglückten Umwandlung der DDR-Staatsbetriebe, mit dem ländlichen Raum, mit dem wenig freundschaftlichen Verhältnis von Deutschen und Polen im Grenzgebiet.

Ihm gegenüber saß eine Frau in einem ähnlichen Alter. Sie war schon einmal bei Pegida und befürchtet "Neuköllner Verhältnisse" in Sachsen. Wo sie arbeitet, will sie nicht sagen. Aber sie habe beruflich von Asylbewerbern erfahren, die mehrere Straftaten begangen haben und trotzdem nicht abgeschoben werden, sagt sie. Die Diskussionsrunde mit Tillich fand sie "interessant". Vielleicht ändere sich ja tatsächlich etwas. Woran man das merken würde? Das weiß sie auch nicht so genau.

Quelle: ntv.de

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