Politik

50 Jahre Amnesty International Wie eine Party-Idee die Welt besser macht

Protest von Amnesty International gegen die Inhaftierung von Ai Weiwei.

Protest von Amnesty International gegen die Inhaftierung von Ai Weiwei.

(Foto: dpa)

Der Journalist Gerd Ruge ist einer der letzten noch lebenden deutschen Amnesty-Gründer. Heute zählt die deutsche Sektion mehr als 110.000 Mitglieder und Unterstützer in 650 Gruppen. Doch die Anfänge waren ein Abenteuer, erzählt der 82-Jährige.

n-tv.de: Wie kam es zur Gründung der deutschen Sektion von Amnesty International?

Gerd Ruge: Wir waren auf einem Sommerfest in Köln, Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten, junge Akademiker. Dann kam der Engländer Eric Baker, sein Flug kam viel zu spät. Aber er kam in diese Party hinein und begann uns zu erzählen von einer neuen Vereinigung, die sie in England gegründet hätten. Er war von dieser Idee ganz tief überzeugt und wollte uns auch dafür gewinnen. Appeal for Amnesty war da gerade acht Wochen alt und es gab in Europa nichts dergleichen. Für uns war das, als hätte er uns ein Stichwort gegeben, auf das viele in dem Kreis nur gewartet hatten.

Was war die Gründungsidee?

Bis heute steht die Arbeit der Organisation im Zeichen der mit Stacheldraht umwickelten Kerze.

Bis heute steht die Arbeit der Organisation im Zeichen der mit Stacheldraht umwickelten Kerze.

(Foto: dpa)

Diese Vereinigung sollte für politische Gefangene eintreten, die wegen ihrer Meinung oder ihres Glaubens verfolgt wurden. Und zwar nicht nur für eine Richtung, sondern jeweils für einen Gefangenen im kommunistischen Osten wollte man sich um einen im demokratischen Westen und einen in der Dritten Welt kümmern. Das leuchtete uns ein. Leute, die für politische Gefangene in der DDR eintraten, gab es natürlich schon. Es gab auch andere Organisationen, die nur für Kommunisten in der Bundesrepublik eintraten und Unterschriften sammelten. Aber diese Einseitigkeit brachte sie in die Gefahr, zu Propagandawerkzeugen gemacht zu werden. Aber mit dieser neuen Idee war ziemlich klar, dass der Einsatz nicht missbraucht werden konnte. Und wir alle wollten uns für politische Häftlinge und für die Freiheit der Meinung einsetzen.

Nicht jede Partyidee wird allerdings zu einer politischen Bewegung, wie ging es dann weiter?

Das wussten wir zunächst auch nicht so genau. Wir wollten etwas tun und mussten deshalb erstmal einen Verein gründen. Man hatte uns gesagt, dafür müsse man 17 Mitglieder haben. Also haben sich 17 von uns bereit erklärt. Von den Engländern wollten wir den Namen Amnesty-Appell übernehmen. Also sind wir am nächsten Morgen zum Notar gegangen, wir hatten ja keine Erfahrungen mit Vereinsrecht. Dabei erfuhren wir, dass wir einen Schatzmeister brauchten. Den musste Felix Rexhausen machen, ein bekennender schwuler Satiriker, der mal Volkswirtschaft studiert hatte. Carola Stern kam dazu, die von der Parteihochschule der DDR in den Westen gekommen war. Sie übernahm die Gründung und Betreuung von Dreiergruppen, Wolfgang Leonhardt war dabei, er war als junger Mann mit Ulbricht aus der Sowjetunion in die DDR gekommen und dann vor dem Stalinismus zu Tito nach Jugoslawien geflohen. Dabei war auch die Journalistin Sabine Rühle, die sich lange schon für Meinungsfreiheit von Dichtern und Schriftstellern in beiden Teilen Deutschlands eingesetzt hatte. Ich hatte als Junge die Hitlerzeit erlebt, später als junger Journalist beunruhigende Erfahrungen in der Sowjetunion, aber auch in Amerika gemacht. Ich versuchte mich als Vorsitzender. Das war der Gründerkern, und eigentlich war es ein abenteuerlicher Gedanke, dass Leute wie wir eine solche Vereinigung organisieren wollten.

Was Sie vorhatten, würde auf jeden Fall Geld kosten - wie haben Sie das finanziert?

Zuerst haben wir einfach zusammengelegt. Aber viel Geld hatten wir natürlich alle nicht. Wir haben dann versucht, Leute zu finden, die uns mit größeren Spenden unterstützen würden. Dazu haben wir das Prinzip der Dreiergruppe auch auf die Spender übertragen. Dabei fanden wir dann Bertold Beitz von der Krupp-Stiftung, der, wie wir wussten, vielen Juden das Leben gerettet hatte. Beitz spendete 10.000 D-Mark, das war damals viel Geld. Dann haben wir mit Hans Matthöfer gesprochen, der war bei der IG-Metall. Die hat dann auch 10.000 D-Mark gespendet. Dann ließ sich noch der Kölner Kardinal Joseph Frings gewinnen. So richtig publik durften wir das nach dem Wunsch der Spender zwar nicht machen, aber es war eine Basis. Sie schützte uns auch vor aggressiver Kritik, wenn jemand sagte: Wahrscheinlich werden Sie aus der DDR finanziert.

Gerd Ruge war der erste deutsche Vorsitzende von ai.

Gerd Ruge war der erste deutsche Vorsitzende von ai.

(Foto: dpa)

Um wen haben Sie sich dann während der ersten Kampagne gekümmert?

Wir haben uns drei etwas ausgefallene Schicksale ausgesucht. Da war zunächst einmal der Chefredakteur des DDR-Rundfunks, der im Ruhrgebiet festgenommen worden war wegen journalistischer Unterwanderung der Bundesrepublik oder so. Der zweite war ein linker Gewerkschafter, der in der DDR inhaftiert war. Und dann gab es noch einen katholischen Priester, der in Prag im Gefängnis saß. Um den DDR-Chefredakteur hat sich ein hoher anglikanischer Geistlicher gekümmert, der beim Bundesjustizminister vorsprach. Für den Gewerkschafter in DDR-Haft setzte sich ein indischer Gewerkschafter ein, der gerade eine Europareise machte, in die DDR reiste und dort das Justizministerium überraschte. Und für den katholischen Geistlichen setzte sich ein französischer Kommunist ein. Darauf war keiner gefasst, dass so jemand kommen würde.

Was war Ihnen wichtiger, der Einzelfall oder das Prinzip?

Es ging natürlich ums Prinzip, aber das muss man am Einzelfall festmachen. An den Einzelfällen kann man den Menschen erklären, warum etwas für die Inhaftierten getan werden sollte. Sonst sind das so allgemeine, zum Teil auch propagandistische Erklärungen. Schaut man aber auf die einzelnen Fälle und zeigt, um welche Menschen es sich handelt, wird das viel klarer. Später ist dieses Prinzip noch viel mehr erweitert worden. Dann ging es nicht nur um Einzelne, die in politischer Haft sitzen, sondern auch um Gruppen, deren Rechte beschnitten wurden, wie Frauen oder nationale Minderheiten, Angehörige einer religiösen Gruppe oder Schriftsteller.

Inwieweit gab es Anfang der 1960er Jahr bereits eine Wahrnehmung für die Achtung der Menschenrechte?

Diese Wahrnehmung entwickelte sich damals gerade. Von Vorteil war, dass durch das Aufkommen des Kalten Krieges die Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die sich in verschiedenen Ländern zeigten, offensichtlich wurden. Das beunruhigte viele. Daraus entstand bei manchen die Bereitschaft, dagegen etwas zu unternehmen.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute einen Amnesty-Infostand in der Fußgängerzone sehen?

Es freut mich immer wieder, wenn ich vor allem junge Leute sehe, die erkennen, dass es auch für ihr Leben wichtig sein wird, wie es den anderen geht. Denn Freiheit, auch die Freiheit der politischen Meinungsäußerung und der politischen Entscheidung, ist eben die Grundlage. Wenn die in dem einen oder anderen Land abgeschafft wird, dann wird das für uns auch gefährlich. Ohne Freiheit sind keine Gerechtigkeit und kein gutes Leben zu erreichen.

Mit Gerd Ruge sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen