Politik

Politiker drohen Leserbriefschreiberin Wie eine Rentnerin die CSU blamiert

Die tapfere Leserbriefschreiberin: Johanna Holm.

Die tapfere Leserbriefschreiberin: Johanna Holm.

(Foto: Silvio Wyszengrad)

Vor der Flut ist nach der Flut: Während des Hochwassers gab sich Horst Seehofer noch als volksnaher Landesvater. Doch drei Monate vor der Wahl droht jetzt neuer Ärger. Auslöser ist die peinliche Posse zweier CSU-Politiker, die eine Rentnerin aus Augsburg einschüchterten.

In der vergangenen Woche besuchte Seehofer das Hochwassergebiet in Deggendorf.

In der vergangenen Woche besuchte Seehofer das Hochwassergebiet in Deggendorf.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mehr ging wirklich nicht. Horst Seehofer hatte die Hände dutzender Helfer geschüttelt. "Wir schaffen das", sagte seine Miene, während er die Arme immer wieder beschwichtigend in Richtung Boden senkte. Später verharrte der bayerische Ministerpräsident so lange mit ernstem Gesicht auf dem Donau-Damm nahe Deggendorf, bis alle Fotografen ihr Bild gemacht hatten. Mehr Landesvater geht nun wirklich nicht.

Seehofer ist lange genug Teil des politischen Wettstreits. Er kennt die nötigen Gesten und Requisiten, die er braucht, um am Ende Stimmen zu holen. Drei Monate vor der bayerischen Landtagswahl sind die Bilder, die ihn mit Gummistiefeln und Rot-Kreuz-Jacke zeigen, unbezahlbar. Dazu passen sie gut zu dem Image, das Seehofer seiner Partei so gerne verpassen würde. Die liebe nette CSU von nebenan, die Wärme der Heimat als Gegenpol zur kühlen Globalisierung. "Politiker sind für die Menschen da und nicht die Menschen für die Politiker" - so klingt ein typischer Seehofer-Satz. Für ihn, der sogar mit der Forderung nach einem Heimatministerium in den Wahlkampf zieht, ist Bürgernähe alles.

Kicken und schocken

Was sich in den vergangenen Tagen in Augsburg abgespielt hat, dürfte dem 63-Jährigen daher überhaupt nicht gefallen haben. Die Geschichte zweier Augsburger CSU-Politiker, die einer Rentnerin wegen eines kritischen Leserbriefs mit juristischen Schritten drohten, kommt für den Parteichef zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Sie zeigt, wie es in der CSU wirklich um die viel gerühmte Bürgernähe bestellt ist. Und wie schnell diese hohle Phrase Seehofer noch um die Ohren fliegen kann.

Was sie mit ihrem Leserbrief auslösen würde, war Johanna Holm vermutlich nicht bewusst. Mitte Mai verfasste die 68-Jährige einen 25-Zeiler, den ihre Lokalzeitung, die "Augsburger Allgemeine Zeitung", umgehend abdruckte. Holm, bis 2011 sogar Parteimitglied, kritisierte darin den CSU-Landtagsabgeordneten Georg Kränzle. "Im 70. Jahr angekommen, kickt er mit seinen Verbündeten Johannes Hintersberger und Herrn von Hohenhau zwei verdiente Männer wie Christian Ruck und Rainer Schal aus dem Feld, um den Kandidaten Volker Ullrich ins Rennen für den Bundestag zu schicken", schrieb Holm.

Zwei Wochen später erhielt die Rentnerin Post. In dem Brief einer Anwaltskanzlei wurde sie abgemahnt. Ihre Äußerung über Kränzle und Hohenhau, den Kreischef des CSU-Kreisverbands Augsburg-West, entspreche nicht den Tatsachen, sie würde "unsere Mandanten in der Öffentlichkeit herabwürdigen". Wenn sie ihre Behauptung nicht in einem weiteren Leserbrief zurücknehme, müsse Holm jeweils 5000 Euro sowie die Anwaltskosten an die beiden Politiker zahlen. Aber die dachte gar nicht daran, einzuknicken. Sie schaltete einen Anwalt ein und machte die Post von den beiden CSU-Politikern über die "Augsburger Allgemeine" öffentlich. "Im ersten Moment ist man als alleinstehende Rentnerin mit 1100 Euro geschockt, aber ich bleibe standhaft. Ich lasse mich von den beiden Herren nicht mundtot machen", sagte sie der Zeitung.

"Ich kümmere mich um die Geschichte"

In hunderten Leserbriefen solidarisierten sich daraufhin viele Augsburger mit Holm. "Wieder ein Grund mehr, diesen CSU-Misthaufen nicht zu wählen", schrieb ein Leser. Einer anderer benannte die CSU kurzerhand um in "Christliche Streithansel-Union". Der Proteststurm, der wenig Verständnis hatte für die Reaktion der beiden Politiker, mochte so schnell nicht mehr verklingen. So gaben Kränzle und Hohenhau schließlich nach, zogen ihre Forderung zurück und entschuldigten sich. Und Holm? Anstelle eines Blumenstraußes verlangte sie ganz forsch, die Summe von 5000 Euro, die sie hätte zahlen müssen, an die Hospizbewegung in Augsburg zu spenden. Ob die beiden der Forderung folgen, ist nicht bekannt.

Doch während die Fronten in Augsburg allmählich aufweichen, knirscht es in der CSU nun gewaltig. Seehofer ist wütend auf seine Parteifreunde. "Beinahe täglich rede ich von Dialog, Transparenz, auf die Bürger zugehen", klagte er, "und dann schlägt wieder irgendwo der Blitz ein. Mir gefällt das nicht". Drohend schob er nach: "Ich kümmere mich um die Geschichte, da können Sie sich drauf verlassen." Die Augsburger Leserbrief-Posse verärgert den CSU-Chef. Wie schon bei der Verwandten-Affäre trifft ihn keine unmittelbare Schuld. In den Umfragen für die bayerische Landtagswahl steht er blendend da, als Spitzenkandidat ist er aber der Leidtragende für alle Skandale, die sich seine Partei im Wahljahr erlaubt. Wie lange der Joker Bürgernähe wohl noch zieht? So viel ist zumindest klar: Seehofers Schicksal liegt eben nicht nur in Gummistiefeln und Rot-Kreuz-Jacken.

Quelle: ntv.de

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