SPD und Grüne wollen 8,50 Euro Wie gefährlich ist der Mindestlohn?
11.07.2013, 15:48 Uhr
Katrin Göring-Eckardt und Peer Steinbrück in der Bundespressekonferenz.
(Foto: dpa)
Ein Mindestlohn ist gerecht, stärkt die Wirtschaft und hilft im Kampf gegen die Eurokrise – sagen zumindest SPD und Grüne. Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze, sagen andere. Was ist da dran?
Sollten SPD und Grüne die Bundestagwahl im September gewinnen, verdient ab dem 1. Februar 2014 in Deutschland niemand weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Das versprechen die Parteien und sie wollen das Thema im Wahlkampf ganz nach vorne stellen. Von einem "Konjunkturprogramm" spricht Peer Steinbrück – finanziert nicht durch den Staat, sondern durch Unternehmen. Katrin Göring-Eckardt verspricht eine "Verbesserung für mehrere Millionen Menschen".
Ob sie damit die Wähler überzeugen können, hängt davon ab, für wie wichtig die Menschen die faire Bezahlung halten und wie groß ihre Angst vor negativen Effekten des Mindestlohns ist. Mindestlöhne – so haben es CDU und FDP jahrelang immer wieder gesagt – vernichten Arbeitsplätze. Wer einem Unternehmen weniger bringt als er kostet, wird rausgeworfen. Wenn Arbeit woanders billiger ist, wandern Firmen ab. Aber stimmt das?
Als die grüne Spitzenkandidatin Göring-Eckardt und SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück ihre Mindestlohnforderung vorstellten, nannten sie zwei sehr unterschiedliche Beispiele, an denen sich die widersprüchlichen Effekte gut zeigen lassen.
Haareschneiden würde teurer
Da ist zum einen die Friseurbranche: Viele junge Frauen drängen in den Beruf, die Konkurrenz ist groß. Die Löhne sind entsprechend niedrig, vielerorts deutlich unter 8,50 Euro. Was ändert sich, wenn die Löhne vom Staat nach oben gezwungen werden? Zunächst würde der Preis für einen Haarschnitt steigen, besonders in den günstigsten Salons. Gehen die Menschen wegen ein paar Euro nun seltener zum Friseur? Wahrscheinlich eher nicht.
Viel passiert also nicht, außer dass Friseure mehr Geld haben und Friseurkunden weniger. Sollte der Friseur vorher ein "Aufstocker" gewesen sein, also zusätzliches Arbeitslosengeld bekommen haben, bekommt er davon nun weniger und der Staat spart das Geld. Den Lebensunterhalt des Friseurs zahlen also nur noch die Friseurkunden, ein Zuschuss aus Steuergeld ist nicht mehr nötig. Tatsächlich erscheint es vielen Menschen ungerecht, dass eine ganze Branche ihr Geschäftsmodell auf Niedriglöhnen aufbaut und der Staat das mit seinen Zuschüssen ermöglicht. Und dass ein Mindestlohn in der Friseurbranche die wirtschaftlichen Kräfte von Angebot und Nachfrage durcheinanderwirbelt, muss niemand befürchten.
Schlachter würden abwandern
In der anderen genannten Branche könnte der Mindestlohn einen ganz anderen Effekt haben: Göring-Eckardt nannte die Fleischindustrie, die in Deutschland erheblich niedrigere Löhne zahlt als in den Nachbarländern. Der Preis, den man im Supermarkt für ein Schnitzel bezahlt, wird davon kaum beeinflusst. Denn bei den Gesamtkosten zur Herstellung von Fleisch spielen die Löhne von Schlachtern eine untergeordnete Rolle. Die Arbeiter könnten ihren zusätzlichen Lohn wieder ausgeben und damit die Wirtschaft insgesamt stärken.
Allerdings könnte der Mindestlohn noch einen ganz anderen Effekt haben: So werden Schweine derzeit etwa von Dänemark aus zum Schlachten über die Grenze gefahren, was dort bereits zu Arbeitsplatzverlusten führte – und in Deutschland Arbeitsplätze schaffte. Mit einem Mindestlohn wäre ein wichtiger Wettbewerbsvorteil der deutschen Schlachter dahin. Die Arbeitsplätze würden zum Teil nach Dänemark, Belgien und Frankreich zurückwandern, zum Teil vielleicht auch nach Polen und Tschechien weiterziehen, wo die Löhne unter 8,50 Euro liegen. Sehr wahrscheinlich würde ein Mindestlohn also Arbeitsplätze in Deutschland kosten. Dafür haben die verbleibenden Arbeiter genug Geld zum Leben und brauchen keine staatliche Unterstützung mehr.
Göring-Eckardt will "fairen Wettbewerb"
SPD und Grüne bestreiten, dass unterm Strich Arbeitsplätze verloren gehen. Es gebe keine negativen Effekte in den EU-Staaten, die bereits einen Mindestlohn haben – und das sind immerhin 20 von 28. Doch es ist hoch kompliziert, diese Effekte nachzuweisen oder auch zu beweisen, dass es sie nicht gibt. Ernsthafte empirische Forschung dazu hat es vor einigen Jahrzehnten in den USA gegeben, als einige Bundesstaaten Mindestlöhne einführten und andere nicht. Über die Auslegung der Ergebnisse streiten sich Ökonomen bis heute.
Für Göring-Eckardt steht das ohnehin nicht im Vordergrund. Sie sprach von einem "fairen Wettbewerb", dem sich die Staaten stellen sollten – der also nicht auf einem gegenseitigen Unterbieten bei den Löhnen besteht. Grüne und SPD argumentieren, dass die "Ungleichgewichte in der Euro-Zone" ohnehin zu groß sind. Das soll heißen: Die Bundesrepublik steht im Vergleich mit anderen Staaten zu gut da, Aufträge werden darum oft nach Deutschland, und nur ganz selten nach Spanien, Griechenland und Italien vergeben. Das verstärkt in den südlichen Ländern die Wirtschaftskrise und macht es für ganz Europa immer schwerer, Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Viele Bürger dürften das weniger schlimm bewerten: Die Sorge um die Arbeitsplätze von Freunden und Familie wiegt schwerer als die Arbeitslosigkeit in Südeuropa, auf die Deutschland ja doch nur einen geringen Einfluss hat. Und schließlich hat die hohe Wettbewerbsfähigkeit auch dazu geführt, dass Deutschland die Bankenkrise besser verkraftet hat als andere Staaten. Und diese Wettbewerbsfähigkeit hängt eben auch mit den relativ niedrigen Löhnen zusammen.
Quelle: ntv.de