Raketenabwehr in der Türkei Will Ankara mehr Patriots?
22.11.2012, 11:13 Uhr
Abschuss einer Patriot.
(Foto: dapd)
Die mögliche Stationierung von deutschen Raketenabwehrsytemen an der syrisch-türkischen Grenze sorgt weiterhin für Wirbel. Die Türkei pocht darauf, statt der Nato selbst den genauen Standort der Patriots festzulegen. Laut Medienberichten könnte Ankara auch deutlich mehr deutsche Systeme anfordern als bisher gedacht.
Das Flugabwehr-System "Patriot" des US-RüstungskonzernsRaytheon kann Flugzeuge, ballistische Raketen und Marschflugkörper auf eine Entfernungvon knapp 70 Kilometern abschießen. Zur Abwehr von Granatbeschuss, der bisherigenHauptbedrohung auf der türkischen Seite der syrischen Grenze, ist "Patriot"dagegen nicht geeignet.
Die deutsche Luftwaffe besitzt 29 "Patriot"-Staffeln,ihre Zahl soll aber bald reduziert werden. Das Raketensystem ist auf Lastwagen montiertund besteht aus einem Feuerleitstand, einem Radar, Abschussrampen sowie den Raketen.Patriot kann auf einmal 50 Ziele beobachten und fünf abschießen. (rts)
Die Türkei will nach den Worten von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan selbst die genauen Stationierungsorte der NATO-Raketenabwehrbatterien bestimmen. Die Patriots würden dort aufgestellt, wo es die türkische Armee für richtig halte, sagte Erdogan nach türkischen Medienberichten. Die Grünen in Deutschland hatten die Standortwahl der Raketen zuvor zu einem entscheidenden Kriterium für eine Zustimmung zu der Rüstungslieferung erklärt. Womöglich fordert Ankara überdies deutlich mehr deutsche Patriot-Staffeln und Soldaten an als bisher erwartet.
Laut türkischen Presseberichten ist anders als von Erdogan gefordert geplant, dass die Kommandogewalt über einen möglichen Einsatz der Patriots bei der NATO liegen soll. Die Zeitung "Cumhuriyet" berichtete zudem, aus Deutschland würden vier Patriot-Staffeln und 160 Soldaten in der Türkei erwartet. Die Raketen sollen demnach per Schiff zum türkischen Hafen Iskenderun im östlichen Mittelmeer transportiert und von dort über Land nach Sanliurfa gebracht werden. Ein Vorauskommando der Bundeswehr werde in Kürze in der Türkei erwartet. Bisher war lediglich von zwei Batterien und rund 85 Soldaten die Rede.
Die Grenzprovinz Sanliurfa umfasst einen etwa 170 Kilometer langen Streifen der insgesamt rund 900 Kilometer langen Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Die Grenzstädte Akcakale, wo im Oktober fünf türkische Zivilisten bei einem Artilleriebeschuss aus Syrien getötet worden waren, und Ceylanpinar, wo vergangene Woche mehrere Menschen bei einem Luftangriff syrischer Kampfjets in unmittelbarer Grenznähe verletzt wurden, gehören ebenfalls zur Provinz Sanliurfa.
Patriots sollen keine Flugverbotszone ermöglichen
Ankara hatte die Nato am Mittwoch offiziell um eine Stationierung von "Patriot"-Luftabwehrraketen an der Grenze zu Syrien gebeten. Schon in ihrer Anfrage hatte die Türkei erklärt, der Einsatz der "Patriots" sei "rein defensiv", solle zur Deeskalation der Lage in dem Krisengebiet beitragen und diene nicht zur Schaffung einer Flugverbotszone über syrischem Gebiet. Für Deutschland waren dies die wichtigsten Voraussetzung für eine Beteiligung an der Mission. Die Bundesregierung erklärte sich zur Hilfe bereit. Verteidigungsminister Thomas de Maizière forderte den Bundestag auf, in der zweiten Dezemberwoche darüber zu entscheiden. Anschließend könnte der Marschbefehl erfolgen und die Bundeswehr innerhalb von zehn Tagen im Einsatzgebiet sein. Die Bundesregierung kann bei diesen Plänen auf die Unterstüztung von Teilen der Opposition hoffen.
Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels signalisierte die Zustimmung seiner Fraktion. "Ich gehe davon aus, dass die SPD mitmacht", sagte Bartels der "Mitteldeutschen Zeitung". Es gehe auch kaum anders, wenn ein Bündnispartner um Hilfe bitte. "Wenn wir es nicht täten, wäre das ein fatales Signal."
Grüne fordern schnell mehr Fakten
Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, fordert vom Verteidigungsministerium, dagegen schnell mehr Fakten zum Einsatz. Nouripour sagte dem MDR, es sei klar, dass es eine Beistandsverpflichtung zwischen den Nato-Partnerstaaten gebe. Für ihn laute aber die zentrale Frage, wo die Raketen stationiert werden: "Was ist denn die Brandmauer? Und wie sieht die Brandmauer aus, die verhindert, dass Nato-Truppen, die in der Türkei stationiert sind, in den Konflikt hineingezogen werden auf syrisches Territorium?"
Die russische Regierung warnte Deutschland unterdessen vor dem Einsatz. Die geplante Entsendung könne eine weitere Eskalation des Konflikts in der Region zur Folge haben, sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow der Agentur Interfax zufolge. "Das dortige Grenzgebiet wird immer unruhiger", sagte Rjabkow. Statt um eine militärische Initiative sollte sich die internationale Gemeinschaft lieber um eine politische Lösung bemühen.
Neben Deutschland verfügen nur die USA und die Niederlande über die modernste "Patriot"-Version. Es wird erwartet, dass sich alle drei Länder an dem Einsatz beteiligen. Zunächst wird der Antrag der Türkei aber bei der Nato in Brüssel geprüft.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP