Parteitag: Es geht um die grüne Seele "Wir sind auch eine linke Partei"
26.04.2013, 11:18 Uhr
Elektronik hilft: Die Delegierten der Grünen müssen bei ihrem Parteitag über rund 2600 Anträge abstimmen.
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Er will nicht, dass die SPD als "Schwesterpartei" der Grünen gilt und stemmt sich gegen die Forderung seiner Parteispitze, "Gutverdienende" stärker zu Kasse zu bitten, um "Geringverdienende" zu entlasten. Dieter Janecek, Grünen-Landeschef in Bayern, zählt zu den lautstärksten Gegnern eines allzu linken Kurses seiner Partei. Im Gespräch mit n-tv.de spricht das Mitglied des Realo-Flügels über die anstehende Bundesdelegiertenkonferenz, auf der feurige Debatten über Steuern, Abgaben und den richtigen Koalitionspartner anstehen.
n-tv.de: Auf ihrem Parteitag am Wochenende wollen die Grünen ihr Wahlprogramm beschließen. Es liegen rund 2600 Änderungsanträge zum Entwurf der Parteispitze vor. Ist der Kurs der Grünen umstrittener denn je?
Dieter Janecek: 2600 Änderungsanträge zeigen, dass von Wirtschaftspolitik bis Umweltpolitik einfach Bedarf ist, sich auszutauschen. Es ist gut, dass die Grünen diskutieren, das zeigt, dass wir lebendig sind.

Dieter Janecek: "Wir legen Wert darauf, dass wir den Mittelstand im Auge behalten."
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Bei einer Reihe von Anträgen dürfte es ziemlich lebendig zugehen. Viele dieser Anträge stammen von Ihnen und anderen Politikern des Realo-Flügels. Sie stellen unter anderem den Ruf des Parteivorstands nach höheren Steuern und Abgaben für Wohlhabende in Frage. Ist Ihnen der Kurs der Spitze zu links geworden?
Wir legen zumindest Wert darauf, dass wir den Mittelstand im Auge behalten, insbesondere bei den steuerpolitischen Beschlüssen. Wir sollten auch Maß halten zum Beispiel beim Thema Vermögenssteuer.
Die reichsten 10 Prozent der Haushalte verfügen laut dem Armutsbericht der Bundesregierung über 53 Prozent des Nettovermögens. Da sieht die Parteispitze doch zu Recht Handlungsbedarf.
Ja. Wir sollten Wohlhabende stärker besteuern. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir sie nach der Finanzkrise zur Verantwortung ziehen. Über die Vermögensabgabe wollen wir in den nächsten zehn Jahren 100 Milliarden Euro einnehmen und das Geld für die Schuldenrückführung nutzen. Wir sollten aber auch darauf achten, dass wir mittelständische Unternehmen und Familien nicht überfordern.
Wo ziehen sie da die Grenze?
Die Vermögenssteuer, die ebenfalls im Programm steht, sollte nicht gleichzeitig mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Vermögensabgabe eingeführt werden.
Sie lehnen eine Vermögenssteuer also nicht grundsätzlich ab?
Die Vermögensabgabe in unserem Programm ist eine einmalige Abgabe mit einem einmaligen Bewertungsaufwand. Eine Vermögenssteuer wird dagegen jährlich und dauerhaft erhoben. Man muss dabei ja alles an Vermögen, vom gekauften Kunstobjekt bis hin zur Immobilie, einschätzen, bevor man es besteuern kann. Es gibt verschiedene Studien, die belegen, dass der Bewertungsaufwand hierfür durchaus beträchtlich ist. Dann muss man auch noch darauf achten, dass sich keine Verdrängungseffekte ergeben, dass Menschen also die Möglichkeit nutzten, private Vermögen in konstruierte betriebliche zu verschieben. So lange da kein Konzept vorliegt, das den Bewertungsaufwand und die Verdrängungseffekte überschaubar hält und die Investitionsfähigkeit des Mittelstandes nicht beeinträchtigt, sollten wir nichts überstürzen.

Unter Genossen: Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin, hier mit SPD-Chef Gabriel (l.) und dem Fraktionsvorsitzenden der Linken, Gysi, gilt als Parteilinker.
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Einer ihrer Anträge lässt allerdings erahnen, dass es Ihnen und einigen Kollegen vom Realo-Flügel doch um eine Opposition gegen eine soziale Umverteilung geht. Sie wollen verhindern, dass im Wahlprogramm die Forderung steht, "Gutverdienende" mit einem Jahreseinkommen von mehr als 60.000 Euro stärker zu besteuern, um "Geringverdiener" zu entlasten. Damit widersprechen Sie sich doch.
Das Problem ist nicht, dass wir umverteilen, das finde ich richtig. Das Problem hier ist die Wortwahl. Ein Brutto-Einkommen von 60.000 Euro und mehr ist sicherlich viel, wenn sie in den ländlichen Raum gehen, in Ostdeutschland oder auch in Teilen Bayerns. Es ist aber nicht viel, wenn sie eine Familie sind in Hamburg-Mitte oder München. Allein schon, wenn sie die hohen Gebühren für Kinderbetreuung in Betracht ziehen. Die Einteilung - das eine sind die Gutverdiener und das andere sind die Geringverdiener – erscheint mir willkürlich.
Sind die Grünen für Sie eigentlich noch eine linke Partei?
Die Grünen sind auch eine linke Partei. Sie sind aber gleichzeitig eine liberale Partei und eine, die in der bürgerlichen Mitte angekommen ist. Was uns einigt, ist, unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und Ökologie zu denken.
Welches Signal sollte vor diesem Hintergrund vom Wahlprogramm der Grünen ausgehen?
Die Kernthemen der Grünen sind die Energiewende, der ökologische Wandel der Wirtschaft und die soziale Gerechtigkeit. In wenigen Jahrzehnten müssen wir mit einem sehr ressourcenleichten Wirtschaften in Deutschland den Wohlstand erhalten. Um den dafür nötigen Wandel der Ökonomie zu ermöglichen, braucht man Mittelstand und Industrie. Wie das funktioniert, müssen wir im Programm deutlich machen.
Mit dem Streit über Inhalte unter Grünen geht auch die Frage einher, mit wem die Partei künftig koalieren sollte. Der Bundesvorstand bekennt sich deutlich zur SPD. Sie unterstützen dagegen einen Antrag, der sich gegen einen rot-grünen Wahlkampf stellt. Es heißt darin: "Die SPD ist nicht unsere Schwesterpartei."
Janecek kam 1976 in Pirmasens, Rheinland-Pfalz, zur Welt. In München studierte er an der Hochschule für Politik.
1995 gründete er in seiner damaligen Heimat, dem niederbayerischen Eggenfelden, einen Ortsverband der Grünen. 2008 übernahm er den Landesvorsitz im Freistaat. Als Direktkandidat für den Wahlkreis 221 München West/Mitte bewirbt er sich nun um einen Sitz im Bundestag.
Für größeres Aufsehen sorgte er erstmals 2008 als Feinstaubgegner. Durch seine Klage gibt es seither europaweit ein verbrieftes und einklagbares Recht auf saubere Luft. Danach fiel er jenseits der Grenzen Bayerns vor allem durch seine Offenheit für schwarz-grüne Koalitionen auf.
In unserer Partei stellt niemand in Frage, dass wir die SPD als Wunschpartner haben wollen. Gleichzeitig halten es aber viele für falsch, sich zu eng an die SPD zu ketten. Wir sind die Grünen, wir sind nicht Rot-Grün. Wir sind eine Partei, die den Anspruch hat, bei bestimmten Themen die Meinungsführerschaft inne zu haben. Deswegen dürfen wir uns nicht in Abhängigkeit von anderen Parteien begeben. Nur das wollen wir zum Ausdruck bringen.
1998, mit dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder und dem Grünen Joschka Fischer, war der gemeinsame Wahlkampf ein Erfolg und führte zur ersten rot-grünen Bundesregierung. Was hat sich seit jenen Tagen verändert?
Die Grünen sind selbstbewusster geworden. Wir waren damals bei 6,7 Prozent. Jetzt liegen wir bei 15 Prozent in den Umfragen. Wir stellen einen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg, regieren in sechs Ländern mit, führen Ministerien von der Energie bis zur Wirtschaft. Und das sollte auch zum Ausdruck kommen in einem Wahlkampf.
Sollte SPD-Chef Sigmar Gabriel, der am Samstag auf der Bundesdelegiertenkonferenz als Gastredner sprechen soll, seinen Auftritt also besser absagen?
(Lacht) Nein, der soll ruhig reden. Es ist ein gutes Zeichen zu zeigen, dass wir Gemeinsamkeiten haben, und mit Sicherheit sind die Gemeinsamkeiten mit der SPD viel größer als mit anderen Parteien. Man sollte aber auch die Unterschiede zeigen. Bei der Kohle-Politik ist die SPD sicherlich nicht unser Partner, auch beim wirtschaftlichen Wandel, Nachhaltigkeit und Ökologie ist die SPD leider oft gar nicht so weit von der CDU entfernt.
Leider? Gerade Sie gelten doch als offen für Koalitionen mit der Union. Und ist die CDU nicht schon viel grüner geworden?
Gerade in letzter Zeit ist die Union leider wieder etwas ungrüner geworden. Denken Sie an die Energiewende und was der Altmaier da macht mit der Strompreisbremse oder beim Thema Adoptionsrecht für Lesben und Schwule. Da sind die Tendenzen nicht positiv.
Auf der einen Seite sollen sich die Grünen nicht zu eng an die SPD binden, auf der anderen Seite ist Ihnen die Union nicht grün genug.
Ich habe eine ganz klare Priorität für Themen. Koalitionsfragen mache ich davon abhängig, wer bereit ist, den Weg mit uns zu gehen. Ich sehe nicht, dass die Union das derzeit ist. Nichtsdestotrotz sollten die Grünen sich nicht ins Abseits stellen und sich an die SPD als alleinige Option klammern. Ich glaube, dass wir auf der Bundesdelegiertenkonferenz einen ganz klaren Beschluss fassen werden: Ja zu Rot-Grün ohne unsere Eigenständigkeit aufzugeben. Nichtsdestotrotz muss dann der Wähler entscheiden, welche Konstellationen nach der Wahl möglich sind.
Mit Dieter Janecek sprach Issio Ehrich
Quelle: ntv.de