Merkel im Interview "Wir werden uns sehr anstrengen"
18.06.2013, 13:47 Uhr
Die Bundeskanzlerin zeigt Verständnis für Internetüberwachung zur Terrorbekämpfung.
(Foto: dpa)
Kurz vor ihrer Abreise zum G8-Gipfel in Nordirland gibt Kanzlerin Angela Merkel Peter Kloeppel ein ausführliches Interview über die Ereignisse in Syrien, der Türkei sowie den anstehenden Besuch von Barack Obama. Und auch das schwere Hochwasser sowie die anstehende Bundestagswahl kommen zur Sprache. Lesen Sie das komplette Interview als Abschrift exklusiv bei n-tv.de.
Peter Kloeppel: Frau Bundeskanzlerin, vergangene Woche waren Sie mehrfach in den Hochwassergebieten entlang der Elbe und auch an der Donau. Sie haben mit vielen Betroffenen gesprochen. Was hat Sie am meisten beeindruckt, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne?

Im Gespräch mit Peter Kloeppel nennt Angela Merkel die Solidarität der Menschen als einen positiven Aspekt der Hochwasserkatastrophe.
Angela Merkel: Im negativen Sinne natürlich diese Gewalt der Natur, die alles an vielen Stellen eingerissen hat und die letztlich auch Menschen betroffen hat, die zum Teil vor 10 Jahren schon einmal alles verloren hatten. Und positiv dieses Zusammenstehen in Deutschland. Dass nicht nur die Organisationen ganz wunderbar funktionieren, wie die Katastrophenstäbe, wie die Bundeswehr, das Technische Hilfswerk, das Rote Kreuz, die Lebensrettungsgesellschaften, die Feuerwehren natürlich, sondern dass auch so viele Freiwillige gekommen sind und Solidarität gezeigt haben. Und ganz besonders auch die jungen Leute, die einfach aufgebrochen sind und mitgemacht haben. Das war schon ein tolles Signal.
Nun wollen Bund und Länder insgesamt 8 Milliarden Euro als Fluthilfe aufbringen. Wo soll das Geld herkommen? Wo wird gespart, weil sonst neue Schulden aufgenommen werden müssten?
Wir werden wahrscheinlich erst einmal eine Anleihe aufnehmen, die technischen Fragen werden ja noch geklärt. Das bedeutet schon, dass unsere Neuverschuldung wächst. Es ist aber eine Einmalausgabe und wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schon gesagt hat: Das wird unsere Spielräume noch einmal verkleinern. Was können wir uns darüber hinaus noch leisten? Wir werden die Rückzahlung dieser Anleihe aber sehr klar konstruieren. Das heißt, innerhalb eines Jahrzehnts wird man es schaffen, wenn man gemeinsam den Willen hat. Ich glaube, angesichts der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, der vielen Solidarität, die jetzt auch bei den Spenden gezeigt wurde, wäre es jetzt wirklich ganz falsch, die Steuern zu erhöhen, sondern das müssen wir so schaffen.
In knapp zwei Stunden fliegen Sie nach Nordirland zum G8-Gipfel der führenden acht Wirtschaftsnationen. Welches Thema liegt Ihnen da besonders am Herzen?
Mir liegt besonders am Herzen, dass man den Steuersündern auf die Spur kommt und insbesondere auch mit der Steuervermeidung Schluss macht. Das geht ja nur über internationale Zusammenarbeit. Hier werden wir debattieren, wie wir Regeln erlassen können, denen sich möglichst viele Länder anschließen und das dann mit den 20 größten Industrienationen im Herbst fortsetzen. Ich glaube, es ist eine sehr gute Initiative des britischen Premierministers, dass er hier vorangegangen ist, gerade auch bei den ganzen Steueroasen, die im britischen Einflussgebiet lagen. Und wir werden da mit voller Kraft mitmachen.
Wieso hat man sich dieses Themas erst jetzt angenommen? Die Thematik beziehungsweise die Problematik ist ja eigentlich schon seit Jahrzehnten bekannt.
Ja, wir hatten auf unserem ersten G20-Treffen, da erinnere ich mich noch sehr gut, bereits das Thema Steueroasen auf der Tagesordnung. Und wie öfter im internationalen Rahmen hat es leider eine ganze Weile gedauert, ehe die OECD gute Regeln ausgearbeitet hat. Es war immer ein Thema, aber jetzt wird es endlich eines, wo auch gehandelt werden kann. So hat es zwar etwas zu lange gedauert, aber es wird wenigstens einen Fortschritt geben.
Und Sie glauben, dass die Regeln dann wirklich auch von allen anerkannt werden?
Das werden wir bei bei dem G20-Treffen sehen. Da gibt es sicherlich noch Schwierigkeiten zu überwinden, aber wenn die G8, also die acht größten Industrienationen, hier ein klares Signal geben, dann ist das schon einmal ein ganz wichtiger Schritt.
Kann Deutschland beim Schließen von Steuerschlupflöchern auch irgendwie ein Vorreiter sein?
Alleine können wir da kein Vorreiter sein, denn wir sind kein Gebiet, in dem man besonders gut Steuern vermeiden kann.
Aber Sie könnten Steuersünder ja stärker verfolgen!

Beim G8-Gipfel in Nordirland ist das Thema Steueroasen der Kanzlerin ein besonderes Anliegen.
(Foto: REUTERS)
Ja, gut, das ist wieder eine andere Frage. Wenn jemand Recht und Gesetz umgeht, dann kann man natürlich fragen: wie kann man das am besten ahnden? Aber hier geht es ja um legale Steuervermeidung, indem man einfach Briefkastenfirmen oder ähnliches auf irgendwelchen Inseln anlegt. Und hier kann Deutschland dadurch mit vorangehen, dass wir diese Initiative unterstützen, dass wir uns aktiv in die Facharbeiten der OECD einbringen. Das ist unser Beitrag an dieser Stelle.
Ein wichtiges Thema bei dem Gipfel wird auch der Bürgerkrieg in Syrien sein. Hunderttausende sind auf der Flucht, Zigtausende sind ums Leben gekommen. Man kann sagen, dass die Weltgemeinschaft eigentlich zerstritten war in der richtigen Reaktion auf diesen Vorgang. Nun haben die Amerikaner gesagt, dass eine rote Linie überschritten worden ist, weil angeblich Giftgas eingesetzt wurde, und wollen die Rebellen mit Waffen beliefern. Halten Sie das für das richtige Vorgehen?
Deutschland hat immer gesagt, dass wir Waffenlieferungen jetzt nicht selber machen werden. Also wir beteiligen uns daran nicht, da sind unsere Regeln dagegen. Ich glaube auch, dass es dort sehr, sehr viele Waffen gibt. Dennoch können wir einen Beitrag leisten, um diesen Konflikt zu lösen, indem wir alles gemeinsam mit unseren Partnern tun, um die zweite Konferenz in Genf endlich zustande zu bringen. Andere werden sich für den Weg der Waffenlieferungen entscheiden. Wichtig ist aber, davon bin ich zutiefst überzeugt, dass ein politischer Prozess in Gang kommt. Denn allein militärisch wird das Ganze nicht zu lösen sein. Deutschland trägt dazu bei, und wir werden das jetzt noch einmal verstärken, indem wir humanitäre Hilfe für Flüchtlinge leisten. Wir werden 5000 Menschen aus Syrien, die besonders verfolgt sind, aufnehmen. Also: Deutschland steht nicht abseits. Wir diskutieren jetzt auch alle Fragen gemeinsam. Wir werden auch versuchen, ob Russland eine Haltung einnehmen kann, die gerade, was den politischen Prozess, die Genfer Konferenz anbelangt, uns nach vorne bringt. Insofern werden es interessante, spannende und sicherlich an mancher Stelle auch kontroverse Beratungen. Denn Russland und China und Amerika, Frankreich, Großbritannien, Italien und wir sind da noch nicht immer einer Meinung. Russland hat leider bis jetzt manche Resolutionen im Sicherheitsrat verhindert, aber vielleicht kommen wir jetzt doch durch dieses Treffen ein Stück voran.
Warum glauben Sie daran, dass es da bei Russland vielleicht Bewegung geben könnte? Bisher war Putin ja ein Hardliner bei diesem Thema.
Ja, wir haben jetzt sehr viele Gespräche geführt. Sicherlich werden nicht alle Schwierigkeiten beseitigt werden können, das sage nicht. Aber es ist eben auch wichtig, mit Russland im Gespräch zu bleiben. Russland ist ein wichtiges Land und muss in dem ganzen Prozess eine Rolle spielen. Ansonsten wird es nicht zu einer Befriedung in Syrien kommen.
Sie hatten kurz humanitäre Hilfe erwähnt. Ich habe gehört, es soll möglicherweise auch Splitterschutzwesten für die Rebellen geben. Können Sie dazu mehr sagen?
Das kann ich jetzt im Detail nicht sagen. Wir beteiligen uns auf gar keinen Fall an Waffenlieferungen, die tödliche Auswirkungen haben. Aber was den Schutz von Menschen anbelangt, da beteiligen wir uns. Aber über diese Details werden wir dann noch sprechen.
Bleiben wir ganz kurz in der Region. In der Türkei ist seit gut einer Woche der Teufel los. Allein die Auseinandersetzungen in Istanbul, aber auch in Ankara, haben dazu geführt, dass man auf einmal mit ganz anderen Augen auf die Türkei und auf Ministerpräsident Erdogan schaut. Er geht mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Sieht so ein EU-Beitrittskandidat aus?
Das, was im Augenblick in der Türkei passiert, das entspricht aus meiner Sicht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit der Demonstration, von Freiheit der Meinungsäußerung. Es gab schreckliche Bilder, auf denen man sehen konnte, dass hier aus meiner Sicht viel zu hart vorgegangen wurde. Ich kann nur hoffen, dass Probleme friedlich gelöst werden und dass einfach akzeptiert wird, dass es Menschen gibt, die andere Meinungen haben. Und dass diese Menschen ihre Meinung auch ausdrücken müssen. Es scheint jedoch in der Türkei viele Menschen zu geben, die mit manchem nicht einverstanden waren. Aber das gehört zu einer entwickelten Gesellschaft dazu. Und deshalb kann ich nur hoffen, dass die türkische Regierung dies dann auch im Umgang mit Andersdenkenden Realität werden lässt.

Die Kanzlerin will dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zwar keine Ratschläge geben, zeigt sich über die polizeiliche Gewalt im Land jedoch erschrocken.
(Foto: AP)
Gibt es Ratschläge, die Sie in diesem Zusammenhang an Herrn Erdogan richten würden?
So etwas macht man besser nicht von außen. Ich muss jedenfalls ganz ehrlich sagen: ich bin wie viele andere Menschen auch erschrocken und ich wünsche mir, dass die, die Kritik haben, die eine andere Meinung haben, vielleicht auch eine andere gesellschaftliche Vorstellung haben, dass die Raum bekommen, in einer Türkei, die ins 21. Jahrhundert geht.
Können Sie sich vorstellen, dass die "Unruhen" in irgendeiner Weise auch nach Deutschland überschwappen könnten?
Ich glaube, dass wir die Ansinnen der türkischstämmigen Bürgerinnen und Bürger, egal, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder sehr lange bei uns leben, sehr ernst nehmen und dass sie hier auch ihre Meinungen ausdrücken können. Insofern kann ich mir das nicht vorstellen.
Sie treffen in Nordirland auch Präsident Obama. Er kommt jetzt auch hierher nach Berlin. In den vergangenen Tagen gab es logischerweise viel Aufregung in der Öffentlichkeit über die Information, die wir über die National Security Agency bekommen haben, welche hier offenbar mit einem sehr großen Netz Informationen abfischt, von denen man sagt, die gehören eigentlich nicht einem Geheimdienst, sondern den Bürgern selbst. Ist diese Datensammelwut etwas, das Sie überrascht hat?
Nein, aber in gewisser Weise schon. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Vereinigten Staaten von Amerika dem Terrorismus den Kampf angesagt haben und dass wir auch schon sehr viele Informationen aus den USA bekommen haben. Aber es muss natürlich, und darüber werde ich auch mit amerikanischen Präsidenten Barack Obama sprechen, eine Klarheit da sein: Was wird benutzt? Was wird nicht benutzt? Es ist vielleicht auch sehr interessant, dass die Firmen, die jetzt mit dem Wirtschaftsminister gesprochen haben, mich um Hilfe gebeten haben. Das erscheint mir auch zumindest beachtenswert. Aber ich werde darüber sprechen und darum ersuchen, dass wir einen Austausch zwischen den entsprechenden Behörden bekommen. Wir wollen auch gegen den Terrorismus kämpfen, das ist gar keine Frage. Aber das muss auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
Da klingt aber schon ein wenig Verständnis durch bei Ihnen.

Für die Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes auch in Deutschland hat die Kanzlerin Verständnis. Präsident Obama ist daher in Berlin wieder genauso willkommen wie 2008.
(Foto: picture alliance / dpa)
Also Verständnis einerseits, dass wir Terroristen bekämpfen wollen, natürlich. Denn, ich meine, denken wir mal an die Sauerland-Attentäter. Die hätten wir ohne Hinweise aus amerikanischen Quellen nicht bekommen. Wir sind auf diese Zusammenarbeit schon sehr angewiesen. Im Übrigen sind wir darauf angewiesen, dass wir selber auch aktionsfähig werden und nicht bedingungslos Terroristen ausgeliefert sind. Und Kommunikation findet eben heute auch im Internet statt. Das ist aber davon zu unterscheiden, dass wir Transparenz brauchen. Transparenz dafür, was mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger geschieht und dafür werde ich werben.
Präsident Obama wird hier in Berlin auch eine Rede halten. Das letzte Mal hat er an der Siegessäule gesprochen. Damals: großer, großer Beifall von den Bürgern. Hat er jetzt vielleicht ein bisschen von dem Glanz verloren, den er als vermeintlicher Heilsbringer hatte? Nach dem "Yes we can", jetzt ein "Yes we scan?"
Also nein. Ein amerikanischer Präsident ist ein Präsident, der natürlich an vielen Stellen handelt und damit auch sicherlich hier und da Kontroversen hervorruft. Aber wenn ich mir die immer wieder gemachten Umfragen darüber anschaue, wie der amerikanische Präsident in Deutschland dasteht, dann gehören sie noch zu den besten, die amerikanische Präsidenten in Deutschland geschafft haben. Insofern glaube ich: Er ist hier herzlich willkommen und es ist gut, dass er auch Berlin besucht. Er war vorher in Baden-Baden, er war in Dresden, er war in Buchenwald, aber jetzt auch einmal die Hauptstadt.
In ein paar Wochen beginnt die heiße Phase des Wahlkampfs. Was macht Sie so optimistisch, dass Sie diese Wahl wieder gewinnen werden, dass Sie mit der FDP die Koalition fortsetzen können?
Ich habe nicht über Optimismus gesprochen. Ich spreche darüber, was ich möchte, und ich glaube für Deutschland ist es …
Das heißt, sie sind nicht optimistisch?
Da komme ich gleich drauf! Wir glauben, dass wir etliche gute Resultate erzielt haben, dass wir erfolgreich sind und dass wir diesen Erfolg fortsetzen müssen, weil sich die Welt dauernd ändert. Und das ist nach meiner Überzeugung am besten mit der Union und der FDP möglich. Wir kämpfen - abgerechnet wird am 22. September und natürlich wollen wir gewinnen. Und wir haben auch Chancen zu gewinnen, aber ein Wahlkampf ist ein Wahlkampf. Jetzt sind es fast noch 100 Tage und deshalb werden wir uns sehr anstrengen.
Wenn Sie gewählt werden, bleiben Sie für die ganze Legislaturperiode Kanzlerin?
Das hatte ich schon mehrfach beantwortet und ich tue es hier und heute gerne noch einmal: Ich trete für die ganze Legislaturperiode an und das, was ich den Menschen sage, das beabsichtige ich dann auch zu tun.
Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin.
Quelle: ntv.de