Gewässer-Experte im Interview "Wo sind die Milliarden?"
04.06.2013, 08:54 Uhr
In Emmersdorf (Österreich) steht das Wasser meterhoch in den Straßen.
(Foto: REUTERS)
Nach dem Hochwasser 2002 sollte vieles besser werden. Die Politik versprach, die Menschen vor den Flüssen zu schützen. Doch viel ist nicht passiert, sagt der BUND-Experte Winfried Lücking im Interview mit n-tv.de. Dabei könnte man einiges tun.
n-tv.de: Warum haben wir schon wieder so ein schlimmes Hochwasser in Deutschland? Woher kommt das Problem?
Winfried Lücking: Hochwasser wird immer so negativ gesehen, aber Hochwasser ist eigentlich etwas ganz Normales bei einem Fluss. Genauso, wie er Niedrigwasser hat. Es ist natürlich immer dann ein Problem, wenn uns das Hochwasser bedroht. Das tut es im Wesentlichen deswegen, weil wir den Flüssen den Raum genommen haben, in dem sie sich normalerweise ausbreiten. Durch die Dämme geht das Wasser in die Höhe und kann dadurch bedrohlich werden.
Also ist die aktuelle Situation tatsächlich menschlich verursacht?

Mit kurzfristigen Maßnahmen versuchen Feuerwehr und THW, das Schlimmste zu vermeiden.
(Foto: REUTERS)
Die verstärkte Bedrohung ist sicherlich menschengemacht. Früher haben die Flüsse mäanderhaft die Landschaft durchlaufen. Heute sind sie begradigt. Das Wasser trifft darum heute schneller an einer Flussmündung ein als das früher der Fall war. Auch die Landschaft um die Flüsse herum hat eine ganz große Bedeutung. Sie kann den Regen normalerweise auffangen. Aber auch da haben wir sehr stark eingegriffen. Die industrielle Landwirtschaft mit ihren schweren Maschinen verdichtet den Boden. Zwischen den Krumen bleibt nicht mehr so viel Raum, um das Wasser aufzunehmen. Darum fließt es einfach weiter in die Flüsse, es wird nicht mehr zurückgehalten.
Der landwirtschaftlich genutzte Boden kann weniger Wasser aufnehmen als der natürliche?
Das sowieso, aber auch die Form der Landwirtschaft ist entscheidend: Ökologischer Anbau mit nicht so schweren Maschinen drückt den Boden nicht so sehr zusammen. Schwere Traktoren dagegen verdichten übermäßig stark den Boden.
Öko-Landbau würde das Problem also mildern?
Ja, aber man kann nicht sagen, dass man mit einzelnen Maßnahmen Hochwasser verhindern kann. Sondern es müssen viele Maßnahmen zusammenkommen. Dazu gehört auch der Umgang mit unseren Wäldern: Mischwälder könnten das Wasser besser zurückhalten. Dazu kommt, dass wir zunehmend Land bebauen und damit versiegeln. Wo ich eine Fläche versiegele, fließt das Wasser an der Oberfläche ab und landet in den Flüssen, anstatt zu versickern. Natürliche Hochwässer werden dadurch verstärkt.
Was kann man tun?
Wir fordern, dass den Flüssen der Raum wieder zur Verfügung gegeben wird. Das wurde ja von der Politik beim Oder-Hochwasser 2002 großspurig verkündigt. Doch da fehlt es an der Umsetzung bis heute.
Ist denn überhaupt nichts passiert in den vergangenen zehn Jahren?
Es sind sicherlich Milliarden verbaut worden. Aber die Frage ist: Wo sind sie hingeflossen? Die internationalen Flusskommissionen haben Flächen ausgewiesen, an denen Deiche zurückgezogen werden können, um dem Fluss wieder mehr Raum zu geben. An der Elbe waren es zum Beispiel 32 Flächen. Von diesen sind aber nur fünf oder sechs zurückgedeicht worden. Die zwei großen sind von Umweltverbänden gemanaged worden: Vom BUND und vom WWF. Im Vergleich zu dem, was die Umweltverbände gemacht haben, haben die Länder sehr wenig geschafft. In Brandenburg werden aber zum Beispiel alte Feuchtgebiete wieder genässt, die vor Jahrzehnten trockengelegt wurden. Damit tut man auch etwas für den Artenschutz.
Wie funktioniert das?
Die natürlichen Feuchtgebiete wurden durch Gräben trockengelegt. Wenn man die wieder zuschüttet oder an ein oder zwei Stellen staut, steigt der Wasserpegel an und das Moorgebiet oder die Feuchtwiese entsteht wieder. Das ist manchmal ganz einfach.
Kann man so wirklich Sicherheit schaffen?
Man kann die Gefahr reduzieren, nicht vermeiden. Die Menschen, die so nah am Fluss leben, müssen damit leben. Man muss sein Haus ja nicht direkt an den Fluss bauen, sondern kann 500 Meter weiter ins Landesinnere gehen.
Aber das hieße doch auch, Altstädte aufzugeben.
Das ist wirklich ein Problem mit den Altstädten. Da kann man am schlechtesten mit Deichen arbeiten. Gerade hier muss man gucken, dass man das Wasser schon in der Fläche zurückhält und die landwirtschaftliche Nutzung verändert.
Und bei diesen Maßnahmen hätte in den vergangenen zehn Jahren mehr passieren können?
Ja, die Maschinen sind immer größer und schwerer geworden, die Aufnahmefähigkeit der Böden ist weiter reduziert worden. Da brauchen wir eine politische Regelung. Es geht nicht, dass jeder vor sich hin wirtschaftet. Die starke Zunahme von Hochwasserereignissen sollte uns doch eigentlich zum Nachdenken bringen.
Mit Winfried Lücking sprach Christoph Herwartz
Quelle: ntv.de