Freispruch in Hannover Wulffs großer Irrtum
27.02.2014, 12:25 Uhr
Wulff im Februar im Gerichtssaal in Hannover.
(Foto: REUTERS)
Die Richter in Hannover sprechen Christian Wulff vom Vorwurf der Vorteilsnahme frei. So wichtig dieses Urteil für Wulff sein mag, das was er so sehr erhofft haben mag, kann ihm kein Gericht dieser Welt geben. Denn Respekt ist nicht justiziabel.
Christian Wulff ging es am Ende um seine Ehre. Verbissen kämpfte er um Respekt und vielleicht auch ein wenig um die Selbstachtung. Vom Amt des Bundespräsidenten musste er nach nicht einmal zwei Jahren zurücktreten, weil die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität beantragt hatte. Es sollte wegen des Verdachts der Vorteilsnahme ermittelt werden. Kaum war er aus Berlin nach Niedersachsen zurückgekehrt, trennte sich seine Frau Bettina von ihm. Nicht viel später wurde das Haus in Großburgwedel verkauft, dessen Finanzierung Wulff zuvor so in die Bredouille gebracht hatte.
Nun kann er mit dem Freispruch in der Tasche in die nächste Lebensphase eintreten. Das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass sich Wulff von seinem Freund David Groenewold 2008 ein Wochenende auf dem Oktoberfest mitfinanzieren ließ und dafür den Siemens-Konzern um Unterstützung bei Groenewolds John-Rabe-Film bat.
Neues Leben nimmt Gestalt an
Eine neue Wohnung hat Wulff längst und offenbar auch einen Job. Dem "Focus" zufolge arbeitet Wulff ab März wieder als Rechtsanwalt. Für eine große Wirtschaftskanzlei soll er demnach Unternehmen aus der Türkei und der arabischen Welt als Mandanten gewinnen, die in Deutschland geschäftlich tätig werden wollen. Auch die Geldsorgen, die den umstrittenen Privatkredit für das Haus offenbar nötig machten, dürften mit dem "Ehrensold" der Vergangenheit angehören. Mit 199.000 Euro Ruhestandsgeld im Jahr, das ihm nach seiner Zeit als Bundespräsident zusteht, hat der 55-Jährige jedenfalls ausgesorgt.
Glaubt man zudem Beschreibungen aus dem Umfeld des getrennt lebenden Ehepaares Christian und Bettina Wulff, findet dort alles andere als ein Rosenkrieg statt. Die Besuchszeiten für den gemeinsamen Sohn Linus sind geregelt, alle Beteiligten sind einander freundschaftlich verbunden. Bettina Wulff zeigt sich öffentlich mit ihrem neuen Freund Stefan Schaffelhuber und verliert über Christian Wulff kein böses Wort, wenn man mal von den unbequemen Wahrheiten absieht, die sie in ihrem Buch "Jenseits des Protokolls" niederschrieb. Da erschien Christian Wulff als rücksichts- und irgendwie auch seelenloser Politikroboter, der das Leiden seiner Familie für den ultimativen Karriereschritt nur allzu billigend in Kauf nahm.
Biedere Politkarriere
Auch wenn das alles Umstände sind, um die viele Bürger ihren früheren Bundespräsidenten beneiden dürften, gilt Wulff als Gescheiterter. Dabei hatte er bis dahin eine fast makellose Parteikarriere gemacht. Schon mit 16 war er Mitglied der CDU, kurz darauf niedersächsischer Landesvorsitzender der Schüler-Union, später im Bundesvorstand der Jungen Union und schließlich stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU.
Parallel dazu wurde er Landtagsabgeordneter, Oppositionsführer in Hannover und CDU-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Zweimal scheiterte Wulff gegen Gerhard Schröder, gegen Sigmar Gabriel konnte er sich 2003 endlich durchsetzen. Die Wiederwahl 2008 bestätigte nur, was viele zu diesem Zeitpunkt empfanden: Wulff war angekommen. Dieser Mann wollte nicht Bundeskanzler werden und sagte das auch.
Warum, mag man sich rückblickend fragen, sagte er zwei Jahre später Angela Merkel zu, als sie schnell einen Nachfolger für Horst Köhler finden musste? Konnte er wirklich nicht der Versuchung widerstehen, der jüngste Bundespräsident zu werden, den die Republik je hatte? Oder war es ein Akt der Verwegenheit? Einmal etwas Verrücktes tun, etwas, das niemand von ihm erwartet hätte? Vielleicht war ihm auch einfach nur im Überschwang des neuen Lebens mit der jungen Frau und dem kleinen Kind für einen Moment die realistische Selbsteinschätzung abhanden gekommen. Nur weil Hannover gut läuft, muss nicht gleich die ganze Welt klappen.
Respekt muss man sich verdienen
Der Ernüchterung, erst im dritten Wahlgang von der Bundesversammlung gewählt worden zu sein, folgte eine noch größere. Wulff erwies sich als seltsam konturloser Bundespräsident, dem es nicht gelang, das Amt inhaltlich zu füllen. Im Vergleich mit seinen Vorgängern wirkte er leichtgewichtig, daran konnte auch der Satz nichts ändern, der möglicherweise aus seiner Amtszeit bleibt: "Auch der Islam gehört inzwischen zu Deutschland".
Wie er selbst das wahrgenommen hat, darüber wird Wulff so schnell kaum Auskunft geben. Zunächst erwogene Buchpläne hat er wieder auf Eis gelegt, möglicherweise auch unter dem Eindruck der Reaktion auf das Buch seiner Frau. Große Interviews, die Einblick in sein Seelenleben liefern könnten, gibt er nicht.
In den vergangenen Monaten war er voll auf den Prozess in Hannover konzentriert. Inwiefern hat er Vorteile angenommen oder gewährt? Hier sollte das ein für alle Mal geklärt werden. Und das ist es nun auch für die rund 750 Euro, um die es in dem Verfahren in Hannover ging. Bei der Reise nach Sylt, dem Urlaub auf Mallorca, dem Upgrade bei Air Berlin und dem Hauskredit bleibt ein schaler Geschmack. Aber Wulff misst dem Urteil womöglich größere Aussagekraft zu. In seiner Sicht ist ein Freispruch offensichtlich gleichbedeutend mit einer späten Genugtuung, er hätte nicht zurücktreten müssen. Oder noch mehr, er war ein guter Bundespräsident.
Doch kein Urteil dieser Welt wird die Erleichterung aufwiegen, als das Land mit Joachim Gauck einen Bundespräsidenten bekam, der nicht nur Weisheit, sondern auch Format mit ins Amt brachte. Und selbst wenn man Gauck weniger euphorisch sieht, hat Deutschland mit ihm einfach wieder einen Bundespräsidenten, der seinen Job ohne viel Bohei macht und sich selbst nicht wichtiger als das Amt nimmt.
Denn Wulff ist auch an seinem schlechten Krisenmanagement gescheitert, an seiner Uneinsichtigkeit, seiner Selbstüberschätzung und an seiner Larmoyanz. Und darüber urteilt kein Gericht, sondern das Leben.
Quelle: ntv.de